Christine Langer im Gespräch mit Professor Hans Hauner, Leiter des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin an der TU München.
Gute Ernährung ist wichtig für die Gesundheit. Sich mit viel Obst, Gemüse und Vollkorn ausgewogen zu ernähren kostet auch einiges. Viele Familien mit geringen Einkommen haben inzwischen Probleme, überhaupt genug zu Essen auf den Tisch zu bekommen. Alles wird teurer. Lebensmittelspenden der Tafeln sind nachgefragt wie nie, genauso wie Einrichtungen, die Kindern aus sozial schwachen Familien eine Mahlzeit anbieten. Eine Ernährungsarmut hat Folgen für die Gesundheit von Kindern.
SWR2 Impuls: Was heißt Ernährungsarmut?
Hans Hauner: Ernährungsarmut heißt letztlich, dass Menschen aus meist Finanzgründen, aber auch aus Bildungsgründen nicht in der Lage sind, sich gut zu ernähren. Und zwar dann mit Folgen, die möglicherweise die Entwicklung beeinträchtigen, sowohl die körperliche wie denn auch die geistige Entwicklung. Und das hat natürlich dann gravierende Auswirkungen auf das spätere Leben. Deshalb muss dieser Punkt ernst genommen werden.
Hat sich das Problem in den vergangenen Monaten und Jahren aus ihrer Sicht dramatisch verschärft?
Hans Hauner: Das Ernährugnsproblem hat sich wirklich verschärft. Wir haben das zunächst gesehen in der Corona-Pandemie, als es die Lockdowns gab und die vielen Beschränkungen. Und wir hatten damals auch selbst beobachtet, dass zum einen ein Teil der Kinder zugenommen hat.
Auf der anderen Seite haben wir auch gesehen, dass vor allem ungünstige Lebensmittel in Teilen mehr konsumiert wurden und vor allem in Familien mit weniger Haushaltseinkommen. Die haben dann zum Beispiel mehr Pizzen und mehr Süßigkeiten gegessen, zum Teil auch mehr zuckergesüßte Getränke zu sich genommen. Also alles das, was wir bei Kindern nicht so gern sehen und was einfach nicht ausgewogen genug ist für das, was ein Kind im Wachstum braucht.
Was fehlt bei dieser ungesunden Ernährung? Was fehlt einem an Nährstoffen?
Hans Hauner: Dieses billige Essen oder auch Fastfood, wie wir es auch nennen, enthält oft sehr viel Fett, Zucker und sehr viel Salz. Andere sehr wichtige Nährstoffe fehlen zum Teil völlig. Da sind zum Beispiel wenig Ballaststoffe enthalten, und auch viele Vitamine und andere Mikronährstoffe sind zu knapp, obwohl Kinder für das Wachstum sogar davon ein bisschen mehr bräuchten. Und das ist das, was unter Umständen sogar die körperliche Entwicklung beeinträchtigen kann.
Deshalb ist es wichtig, sich ausgewogen zu ernähren. Auch regelmäßig Obst, Gemüse zu essen ist für Kinder besonders wichtig. Oder eben auch Vollkornprodukte in Nudeln. Das ist etwas, was in Familien mit weniger Haushaltseinkommen oft zu kurz kommt. Das wenige Geld, was vorhanden ist, wird dann für die eigentlich ungünstige Lebensmittelauswahl ausgegeben. Das ist auf den ersten Blick nicht ganz so teuer, bietet dafür viel Energie, macht auch satt. Auf lange Sicht ist das aber nichts, was man empfehlen kann.
Wie äußert sich so eine Mangelernährung bei Kindern - wenn man doch sehr viel Fastfood und zu wenige Vitamine, Mineralstoffe und Nährstoffe zu sich nimmt?
Hans Hauner: Das wäre natürlich eine lange Erklärung, die man geben könnte, weil das von den verschiedenen Nährstoffen abhängt und die natürlich eine unterschiedliche Bedeutung haben. Ich würde es eher als Gesamtpaket sehen. Man kann tatsächlich zeigen, dass eine einseitige Ernährung, eine Fast-Food-Ernährung zum Beispiel die Kinder in der Schule weniger leistungsfähig macht. Zum Teil auch aggressiver. Da gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen, wie sich das auch psychologisch auswirken kann. Das ist für mich Grund genug zu sagen, dass man auf eine gesunde Ernährung achten sollte.
Wir wissen zum Beispiel auch, dass ein gutes Frühstück besonders wichtig ist für die Schulleistungen, aber auch für das Verhalten in der Schule. Es gibt interessante Hinweise, die es wirklich notwendig machen, dass man den Kindern künftiges Essen anbietet. Gleiches gilt auch in der Schule. Die Schulverpflegung, die wir heute haben, ist immer noch nicht gut, obwohl wir schon lange Empfehlungen dafür haben.
Hier wird der Staat natürlich gefordert. Gerade um diese Unterschiede in den in den Familien auszugleichen, wäre es notwendig, dass wirklich ein gesundes Schulessen überall angeboten wird und eventuell auch kostenlos ist, in vielen Ländern längst üblich ist. Hier diskutieren wir seit Jahren, sind aber nicht wirklich vorwärtsgekommen.
Welche Gründe gibt es noch, abgesehen von wenig Geld in der Familie, weshalb die Ernährung nicht ausreichend gesund ist?
Hans Hauner: Die Gründe für die ungesunde Ernährung sind natürlich verschiedene. Zum einen sicherlich das Geld. Wenn man allein mal von den Regelsätzen ausgeht, die im Bürgergeld für Kinder und Jugendliche vorgesehen sind. Das reicht im Grunde nicht aus, um eine bedarfsgerechte, ausgewogene, gesunde Ernährung anzubieten. Hier müsste man wirklich etwa 50 Prozent draufschlagen. Wenn man wirklich an jeder Ecke sparen muss und nur das billigste beim Discounter kauft, dann kann da einfach keine ausgewogene, gute Ernährung resultieren.
Also es fehlt sicherlich auch an den Finanzen in den Familien. Aber es fehlt natürlich auch oft an Bildung, es fehlt an Angeboten. Deshalb, denke ich, ist es sehr, sehr wichtig, dass zum Beispiel über die Schule regelmäßig Obst und vielleicht auch andere gesunde Produkte angeboten werden. Denn wir wissen, dass ungefähr in einem Drittel der Familien und vor allem den sozialschwachen, zum Beispiel gar kein Obst gekauft und den Kindern angeboten wird. Wir haben also sehr große Unterschiede, je nach Bildungsstand und Haushaltseinkommen in den Familien.
Was können wir verbessern, dass sich Kinder aus einkommensschwachen Familien gesünder ernähren können?
Hans Hauner: Ich halte es wirklich für notwendig, diese Regelsätze anzupassen. Nicht zuletzt, weil im letzten Jahr die Nahrungsmittelpreise im Handel auch um etwa 20 Prozent gestiegen sind. Wir befinden uns in einer Inflation, die betrifft vor allem auch die Preise für Lebensmittel und denen kann kein Mensch ausweichen. Jeder muss essen. Und da trifft das die Familien besonders hart. Also das wäre sicherlich eine notwendige Maßnahme.
Die andere wäre natürlich in den Schulen, wo jedes Kind hingeht, Angebote zu schaffen, damit Kinder in den Pausen oder ein vernünftiges Mittagessen bekommen. Am besten kostenlos, wenn das Haushaltseinkommen nicht reicht, um dann noch einen eigenen Obolus beizutragen.
Welche Krankheiten sind typisch, die Kinder entwickeln können, die nicht gut und gesund ernährt sind?
Hans Hauner: Das sind zum einen Konzentrationsstörungen, die immer wieder beschrieben worden sind, aber auch die körperliche Entwicklung kann natürlich unter Umständen leiden. Wir haben vor allem das Problem, dass bei dieser einseitigen Fast-Food-Ernährung auch das Übergewicht zunimmt. Oder über zuckergesüßte Getränke, die überall günstig erhältlich sind, kann vor allem ein Kind leicht zunehmen.
Gewichtszunahme bei Kindern ist nicht so harmlos, wie man lange geglaubt hat. Das führt zum Beispiel häufig zu einer Fettleber, aber auch zu anderen Störungen, wie wir sie von Erwachsenen kennen. Viele Organe leiden darunter, auch die Gelenke sind unter Umständen schon betroffen. Da gibt es wirklich eine ganze Reihe von typischen Folgen einer schlechten und zum Teil einer Überernährung, die dann bereits im Jugendalter auftreten. Bestehen sie länger, kann das natürlich im frühen Erwachsenenalter auch zu Krankheiten führen, die dann eine Behandlung brauchen.
Es wäre also sehr, sehr wichtig vorzubeugen. Und natürlich auch gesellschaftlich sinnvoll, denn man würde sich später viele Ausgaben im Gesundheitssystem einsparen können.Es gibt also viele Gründe, um sich um dieses Thema wirklich zu kümmern.