Die Tiefsee ist ein faszinierender und gleichzeitig noch weitgehend unentdeckter Ort. Was wir jedoch wissen, ist, dass am Meeresboden dunkle und kalte Bedingungen herrschen. Daher nahm man lange an, dass in der Tiefsee kein Sauerstoff produziert werden kann. Schließlich kann ohne Licht auch keine Photosynthese stattfinden – der wichtigste Prozess zur Sauerstoffproduktion auf unserem Planeten.
Unerwartete Sauerstoffproduktion in der Tiefsee
Eine neue Studie liefert nun allerdings Hinweise darauf, dass auch in der Tiefsee Sauerstoff produziert werden kann. Mithilfe von Sensoren maß ein internationales Forschungsteam den Sauerstoffgehalt am Meeresboden unter verschiedenen Bedingungen.
Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass der Sauerstoffgehalt in einem Zeitraum von knapp zwei Tagen anstieg. Laut Matthias Haeckel, Experte für Prozesse am Tiefseeboden am GEOMAR Heimholtz-Zentrum in Kiel, sind diese Ergebnisse überraschend:
„Für mich ist das jetzt schon erstmal wirklich was komplett Unerwartetes. Normalerweise haben wir in der Tiefsee Sauerstoffverbrauch durch Mikroorganismen, die Organik umsetzen, durch Veratmung der höheren Organismen. Und das hier widerspricht allem, was in den Lehrbüchern steht."
Lange Zeit gingen die Forschenden deshalb von einem Fehler aus. Allerdings wurde zusätzlich zu den Sauerstoffsensoren auch eine bewährte Referenzmethode angewandt, um die Ergebnisse der Sensoren im Labor zu überprüfen.
Tobias Hahn, Co-Autor der Studie und ebenfalls vom GEOMAR Kiel, erklärt deshalb: „Durch diese verschiedenen Setups konnten wir versuchen, verschiedene Erklärungen zu finden, und sind letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass es sich tatsächlich um ein Phänomen handelt, das nicht durch einen systematischen Fehler zu erklären ist.“
Manganknollen liefern eine mögliche Erklärung für die Sauerstoffproduktion
Die Entdeckung wirft die Frage auf, wie die Sauerstoffproduktion ohne Photosynthese überhaupt möglich ist. Da in die Tiefe der Meere kein Licht vordringt, wird der nachgewiesene Sauerstoff auch als „dunkler Sauerstoff“ bezeichnet.
Eine potentielle Ursache für die Produktion von Sauerstoff könnten die Manganknollen sein. Zwischen den metallreichen Knollen entstehen elektrische Spannungen, sodass wie bei einer Batterie Strom fließen kann. Diese elektrische Spannung könnte dafür sorgen, dass Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird – ein Vorgang, der als Wasserelektrolyse bezeichnet wird.
Um diese Vermutung bestätigen zu können, sind laut den Forschenden allerdings noch weitere Untersuchungen notwendig. Klar ist aber, dass die Sauerstoffproduktion viele Fragen mit sich bringt. Gleichzeitig zeigt sich wieder einmal, wie wenig wir erst über die Tiefsee wissen.
Was die Sauerstoffproduktion für den Tiefseebergbau bedeutet
Die Manganknollen der Clarion-Clipperton-Zone sollen in der Zukunft abgebaut werden, da sie beispielsweise für Windräder, Solaranlagen oder Batterien von Elektroautos verwendet werden können. Diskussionen um den Tiefseebergbau gibt es allerdings schon seit langer Zeit.
Die Erkenntnisse dieser Studie werfen laut Haeckel demnach erneut Fragen darüber auf, inwiefern sich der Tiefseebergbau auf das Ökosystem der Meere auswirken könnte:
„Darum geht es jetzt einfach, dass wir wirklich verstehen, ob dieser Prozess wichtig ist. Und wenn er relevant ist, welche Rolle er tatsächlich da unten im Tiefsee Ökosystem spielt. Wenn er wichtig ist, dann muss er über Regularien, die die internationalen Meeresbodenbehörde jetzt für den Tiefseebergbau vorschreibt, berücksichtigt und entsprechend diese Systeme dann auch geschützt werden.“
Dass im untersuchten Gebiet offenbar Sauerstoff produziert wird, verändert unser Verständnis der Tiefsee komplett. Wie genau, das erfordert laut den Forschenden allerdings noch weitere Untersuchungen.