Etwa alle 90 Sekunden stirbt ein Wildtier auf deutschen Straßen - an Tagen nach der Zeitumstellung sind es noch mehr Tiere. Das zeigen auch die Daten des Fraunhofer-Instituts für Verkehrsforschung in Dresden: Im Frühling und im Herbst gibt es zwei deutliche Spitzen bei der Zahl der Wildunfälle.
In seiner Datenbank sammelt das Institut die Polizeimeldungen und Register zu tausenden Wildunfällen der vergangenen zehn Jahre. Sehr viele dieser Wildunfälle werden allerdings nicht gemeldet, die Dunkelziffer ist hoch.
Mehr Wildunfälle nach Umstellung auf Sommer- oder Winterzeit
An den Tagen nach der Zeitumstellung verzeichnet die Datenerhebung des Fraunhofer-Instituts bis zu zehn Prozent mehr Wildtierunfälle, insbesondere im Frühjahr.
Die Erklärung: Wildtiere wie Rehe richten sich auf ihrem Weg nach der Dämmerungszeit. Kommen aber Autos im Berufsverkehr wegen der Zeitumstellung plötzlich früher oder später als sonst, werden die Tiere überrascht. Auf einmal sind mehr Autos da als sonst und der Rhythmus der Tiere wird gestört. Durch die Zeitumstellung verlängert sich außerdem der Zeitraum, in dem Rushhour und Dämmerung zusammenfallen.
Bei einigen Menschen dauert es zudem eine Weile, bis sich der Schlaf-Wach-Rhythmus auf die Sommerzeit umgestellt hat. Wer aufgrund der Zeitumstellung müde ins Auto steigt, hat womöglich eine geringere Konzentrations- und damit auch langsamere Reaktionsfähigkeit, wenn Wild die Straße quert.
Eine einheitliche Datenerhebung für Wildunfälle fehlt
Welche Ausmaße Wildunfälle über das ganze Jahr haben, ist unbekannt. Denn es gibt kaum Zahlen darüber, wie viele Tiere tatsächlich im Verkehr sterben. Das Statistische Bundesamt kommt bei Unfällen mit Wildbeteiligung auf rund 2.500 verletze Menschen und zehn Todesopfer pro Jahr. Doch hier werden nur die Unfälle gezählt, bei denen Menschen zu Schaden kamen - Unfälle, bei denen nur Tiere verletzt oder getötet wurden, zählen hier nicht.
Es gibt viele Indizien, dass die Zahl des Statistischen Bundesamts deutlich zu niedrig ist. Laut dem Deutschem Jagdverband gibt es jährlich Millionen tierischer Verkehrsopfer - ein Drittel davon Rehe. Aber auch kleinere Wildtiere kommen zu Tode, die amtlich nicht gezählt werden. Das bestätigt auch das Tierfundkataster mit Meldungen aus der Bevölkerung.
Das Portal schätzt Abermillionen statistisch nicht berücksichtigter Säugetiere, zu denen auch noch Reptilien, Amphibien oder Vögel hinzukommen. Auch Autoversicherungen sprechen von einer hohen Dunkelziffer.
Wissenschaftliche Studien ergeben, dass in Europa insgesamt fast 30 Millionen Säugetiere und rund 200 Millionen Vögel pro Jahr bei Unfällen mit Fahrzeugen sterben. Dazu kommt, dass sich seltene und schützenswerte Tierarten wie der Luchs in Deutschland nicht ausbreiten können, weil die Jungtiere sehr oft noch vor ihrer Geschlechtsreife totgefahren werden.
SWR und Fraunhofer-Institut berechnen erstmals die Dunkelziffer bei Wildunfällen
Für die SWR-Wissenschaftsredaktion haben die Forschenden des Fraunhofer-Instituts für Verkehrsforschung auch die Unfälle ohne Personenschaden hinzugerechnet, um die Dunkelziffer von Wildtierunfällen im Sinne des Jagdrechts genauer bestimmen zu können. Das Ergebnis sind bis zu 250.000 Wildunfälle. Dabei sind Kleintiere wie Igel, Marder oder Vögel nicht mitgezählt.
Werden kleinere Wildtiere mit einbezogen, lässt sich laut Fachleuten von einem Wildunfall alle 90 Sekunden sprechen.
Wildunfälle vermeiden: Grünbrücken und Reflektoren helfen nur eingeschränkt
Ansätze zur Prävention von Wildunfällen gibt es einige. In Deutschland werden etwa neu gebaute Straßen mit Querungshilfen - also Grünbrücken - gebaut, damit Tiere sicher über die Straße kommen. Allerdings kann nicht jede Straße mit einer Grünbrücke ausgestattet werden, und eine solche Brücke ist gerade mal fünfzig Meter breit - eine Straße erstreckt sich aber über viele Kilometer.
Standard sind auch Wildwarn-Reflektoren am Straßenrand. Sie sollen mit einem "bedrohlichem blauen Lichtband" nachts die Tiere verschrecken. Doch Tests der Bundesanstalt für Straßenwesen zeigen: Für Menschen im Auto sind die Reflektoren zwar gut sichtbar, sie strahlen jedoch kaum Licht zur Seite ab, und ein Tier nimmt sehr wahrscheinlich kaum etwas davon wahr.
Technische Assistenzsysteme an Straßen und im Auto arbeiten unzuverlässig
Sogenannte automatische Wildwarnanlagen in Form von Tempolimit-Leuchtschildern warnen in Echtzeit, sobald die Kameras ein oder mehrere Tiere entdeckt haben. In einer Bewertungsstudie des Wildtierinstituts der FVA (Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg), zeigt sich jedoch auch hier, dass der Effekt fraglich ist.
In ganz Deutschland gibt es lediglich zehn solcher Wildwarn-Anlagen, häufig mit technischen Mängeln wie Fehlauslösungen der Kameras, etwa durch Spinnweben vor der Linse.
Wildunfälle: Mit richtigem Verhalten den Tod tausender Tiere verhindern
Langsamer fahren und so ein erfolgreiches Bremsen wahrscheinlicher machen, wäre eine wirkungsvolle und einfache Prävention, sind sich Fachleute einig. Auch ein allgemeines Tempolimit von 80 Stundenkilometer auf Landstraßen könne helfen. Bei Tempo 80 beträgt der Bremsweg eines PKW rund 60 Meter, bei Tempo hundert ist er etwa ein Drittel länger.
Wenn ein Zusammenstoß mit einem Tier unausweichlich ist: Mit voller Kraft bremsen und das Steuer gerade halten, nicht ausweichen.
Im Falle einer Kollision sollte die Unfallstelle abgesichert und die Polizei oder der örtliche Jagdpächter benachrichtigt werden. Verletzte Tiere besser nicht anfassen und nicht vom Unfallort entfernen. Die Stelle sollte markiert werden, damit verletzte Tiere gesucht werden können.
Wildtiere anzufahren ist nicht strafbar, Fahrerflucht zu begehen und einen Wildunfall nicht zu melden, allerdings schon.