Studie

Wer länger arbeitet, ist früher tot

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Autor/in
Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell.
Onlinefassung
Ralf Kölbel

Eine deutsch-spanische Studie hat herausgefunden, dass ein späterer Eintritt in die Rente zu einer geringeren Lebenserwartung führen kann.

Politisch ist es erstrebenswert, wenn wir später in Rente gehen, denn dann zahlen wir länger in die Rentenkasse ein und erhalten erst später Geld daraus. Das ist angesichts der demographischen Entwicklung in Deutschland kaum anders machbar. Aber ein späterer Renteneintritt hat auch Nebenwirkungen – denn er kann eine geringere Lebenserwartung bedeuten.

Wer länger arbeitet, ist früher tot.
Die deutsche Bevölkerung wird immer älter. Und auch das Renteneintrittsalter verschiebt sich immer weiter nach hinten.

Späterer Renteneintritt erhöht Sterblichkeit

Das Forschungsteam der Universitäten Barcelona und Mannheim hat untersucht, ob es zwischen Sterblichkeit und Renteneintrittsalter einen Zusammenhang gibt. Und sie konnten empirisch nachweisen, dass ein späterer Renteneintritt die Sterblichkeit erhöht.

Die Forscher*innen haben nachgewiesen, dass ein späterer Renteneintritt zu einem früheren Tod führt.
Die Forscher*innen haben nachgewiesen, dass ein späterer Renteneintritt, zu einem früheren Tod führt.

Dabei haben sie auf Sozialversicherungsdaten aus Spanien zurückgegriffen. Dort gab es eine Rentenreform, die das Eintrittsalter von 60 auf 65 Jahre angehoben hat. Wer vor dem 1. Januar 1967 Beiträge in das Rentensystem eingezahlt hat, konnte freiwillig mit 60 in Rente gehen, alle anderen mussten bis zum Alter von 65 Jahren warten. Han Ye von der Universität Mannheim erklärt:

"Um die kausalen Auswirkungen dieser Reform abzuschätzen, haben wir Personen verglichen, die im selben Jahr geboren wurden, aber 1966 und 1967 mit der Beitragszahlung in das Rentensystem begonnen haben. Und dabei haben wir festgestellt, dass eine Verzögerung des Renteneintritts um ein Jahr das Sterberisiko im Alter zwischen 60 und 69 Jahren um 4,2 Prozentpunkte erhöht. Das entspricht einem relativen Anstieg von 43 Prozent."

Bausektor und Berufe mit viel psychischem und sozialem Stress besonders betroffen

Durch die Verschiebung des Renteneintrittsalters von 60 auf 65 Jahre steigt das Sterbe-Risiko also mit jedem Jahr, das länger gearbeitet wird. Aber nicht pauschal, bestimmte Gruppen sind besonders betroffen:

"Wir konnten zeigen, dass der Anstieg der Sterblichkeit bei denjenigen stärker ist, die in Branchen mit einer sehr hohen Anzahl von Arbeitsunfällen gearbeitet haben. Zum Beispiel im Bausektor. Und wir haben festgestellt, dass die Sterblichkeit bei Personen in Berufen mit hoher psychosozialer Belastung stärker ist – also bei denen, die im Beruf ein hohes Maß an psychischem und sozialem Stress erleben."

Die Forschungsgruppe warnt: Wenn gerade diesen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit schwerer körperlicher Belastung und hoher psychischer Belastung das Recht auf eine Frühverrentung genommen wird, dann kann das zu vorzeitigem Tod führen.

Personen, die im Bausektor oder in Berufen mit hoher psychosozialer Belastung arbeiten, sind besonders von einem höheren Sterberisiko betroffen, wenn sich das Renteneintrittsalter nach hinten verschiebt.
Personen, die im Bausektor oder in Berufen mit hoher psychosozialer Belastung arbeiten, sind besonders von einem höheren Sterberisiko betroffen, wenn sich das Renteneintrittsalter nach hinten verschiebt.

Längerer Verbleib im Job kann auch positive Effekte auf Lebenserwartung haben

Und diese Ergebnisse seien gut auf Deutschland übertragbar, versichert Forscherin Han Ye. Doch wie geht das zusammen mit den zahlreiche Studien, die zeigen, dass ein längeres Verbleiben im Job die geistige Fitness und das soziale Netzwerk fördert und die Menschen so "jünger" erhält. Das ist kein Widerspruch, sagt Wirtschaftswissenschaftlerin Han Ye. Aber es greift eher bei Menschen mit höherem Qualifikationsniveau. Und dazu kommt es auch stark auf das Arbeitsumfeld der einzelnen Personen an.

"In unserer Arbeit stellen wir beispielsweise fest, dass Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz Erfolgserlebnisse und Anerkennung verspüren, aufgrund der Verzögerung des Ruhestands keine negativen Auswirkungen auf die Sterblichkeit haben."

Gerade die Arbeitsbedingungen in den letzten Beschäftigungsjahren spielen nach dieser Auswertung also eine wichtige Rolle für die Lebenserwartung. Dabei sind neben der körperlichen und psychosozialen Belastung, der Selbstwert der Arbeit und das Qualifikationsniveau entscheidende Faktoren. Die Forschungsgruppe warnt: Ein pauschales späteres Renteneintrittsalter verschärft die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ungleichheiten bei der Lebenserwartung.

Bei Menschen mit höherem Qualifikationsniveau kann sich ein längeres Verbleiben im Job auch positiv auf ihre Lebenserwartung auswirken.
Bei Menschen mit höherem Qualifikationsniveau, kann sich ein längeres Verbleiben im Job auch positiv auf ihre Lebenserwartung auswirken.

Flexible Lösungen für einen besseren Übergang in den Ruhestand

Einen Ausweg bietet der schrittweise Übergang in den Ruhestand. Genau das haben in Spanien zahlreiche Menschen versucht – sie haben zunächst eine Teilrente beantragt. Und unter diesen Teilrentnern war die Sterblichkeitsrate deutlich niedriger. Forscherin Han Ye aus Mannheim zieht das Fazit:

"Die politischen Entscheidungsträger müssen die Folgen für Gesundheit und Sterblichkeit berücksichtigen, wenn sie Vorruhestandsoptionen abschaffen – und zwar gerade für die Untergruppen, die stärker gefährdet sind. Eine mögliche Lösung ist es, flexible Optionen anzubieten, beispielsweise die Möglichkeit, in Altersteilzeit zu arbeiten. Da haben wir in Spanien gesehen, dass diese Möglichkeit der Teilzeitarbeit und Teilzeitrente die Sterblichkeitsrate unter den Betroffenen deutlich gesenkt hat."

Außerdem empfiehlt die deutsch-spanische Forschungsgruppe, eine weitere Anhebung des Rentenalters grundsätzlich mit einer besseren Gesundheitsvorsorge zu koppeln. 

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