Wenn wir uns schneiden oder draußen das Knie aufschlagen, dann sollten wir die Wunde am besten auswaschen, sie desinfizieren, mit einem Pflaster oder Verband versorgen und vielleicht noch einer Salbe, die die Wundheilung unterstützt, entzündungshemmend ist und kühlt.
Doch was tun, wenn man unterwegs im Dschungel keine Salbe dabei hat? Es gibt auch einige Pflanzen, die bei Verletzungen helfen - zum Beispiel antiseptisch wirken. Und das wissen nicht nur wir Menschen. Auch manche Menschenaffen behandeln Wunden mit Pflanzen. Das hat ein Forschungsteam jetzt zum ersten Mal ganz konkret beobachtet, bei einem Orang-Utan auf Sumatra.
Das Männchen hatte sich beim Kämpfen im Gesicht verletzt und danach die Wunde aktiv mit einer bestimmten Lianenart behandelt. Dr. Isabel Laumer ist Kognitionsbiologin und erforscht Menschenaffen am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz. Sie hat mit ihrem Team das Verhalten des Orang-Utans beobachtet und dokumentiert. Impuls-Moderatorin Christine Langer hat mit ihr über das Verhalten des Menschenaffen gesprochen.
Orang-Utans werden in Forschungsgebiet beobachtet
SWR Kultur Impuls: Wo und wie hat der Orang-Utan sich behandelt?
Dr. Isabelle Laumer: Wir beobachten wilde Sumatra-Orang-Utans schon seit 1994 am Forschungsstandort Suaq Balimbing. Das ist ein geschütztes Regenwaldgebiet, das hauptsächlich aus Torf-Sumpfwald besteht. Es ist die Heimat von circa 150 vom Aussterben bedrohten Sumatra-Orang-Utans.
Bei den täglichen Beobachtungen von den Orang-Utans in der Gegend ist uns aufgefallen, dass der männliche Orang-Utan Rakus eine Gesichtswunde erlitten hatte. Höchstwahrscheinlich kam das durch einen Kampf mit einem benachbarten Männchen.
Orang-Utan-Männchen heilt Wunde mit Pflanzensaft als Salbe
Dr. Isabelle Laumer: Drei Tage danach haben wir ihn dabei beobachtet, wie er von einer Liane gefressen hat. Diese Liane wird sehr selten von Orang-Utans verzehrt.
Er hat erst davon gefressen. Und dann hat er plötzlich aufgehört zu schlucken und hat dann diesen Pflanzensaft aus seinem Mund wiederholt für sieben Minuten lang auf seine frische Wunde im Gesicht gestrichen.
"Sehr besonderes und seltenes Verhalten"
SWR Kultur Impuls: Was ging Ihnen durch den Kopf, nachdem klar war, dass der Orang-Utan sich so verhalten hat?
Dr. Isabelle Laumer: Mir war sofort klar, dass das ein sehr besonderes und sehr seltenes Verhalten ist. Bei bei Menschenaffen ist bisher eigentlich nur bekannt, dass Schimpansen ihre Wunden behandeln. Es gibt eine einzige Schimpansengruppe in Gabun, die Fliegen aus der Luft fangen und dann diese Fliegen im Mund immobilisieren und sie dann auf Wunden packen.
Leider haben die Forscher bisher noch nicht herausfinden können, was denn die Art dieser Fliegen ist. Deswegen konnte man noch nicht feststellen, ob diese fliegen medizinische Wirkung haben.
Orang-Utan nutzte Pflanze mit heilender Wirkung
SWR Kultur Impuls: Das ist jetzt bei dieser Pflanze, die der Orang-Utan benutzt hat, anders. Welche Pflanze war das genau? Und wie wirkt die?
Dr. Isabelle Laumer: Diese Pflanze heißt Fibraurea tinctoria. Das ist eine Kletterpflanze, also eine Liane. Sie wird auch in der traditionellen Medizin verwendet.
Das ist eine sehr potente Heilpflanze: Sie ist antientzündlich, wirkt gegen Bakterien, Viren und Pilze, und ist schmerzstillend und auch fiebersenkend.
Erste Beobachtung einer Wundversorgung bei Orang-Utans
SWR Kultur Impuls: Gehen Sie davon aus, dass Orang-Utans regelmäßig solche Wunden mit dieser Heilpflanze versorgen?
Dr. Isabelle Laumer: Das wissen wir leider nicht. In all den Jahren, in denen wir wilde Orang-Utans im Suaq Forschungsgebiet beobachten, haben wir bisher noch nie so etwas beobachtet.
Deswegen ist die die Beobachtung, die wir bei Rakus gemacht haben, dass er tatsächlich seine Wunde mit einer Pflanze, die medizinische Wirksamkeit hat, wiederholt bestrichen hat, sehr besonders.
Steckbrief Orang-Utan
Orang-Utans sind scheu, aber schlau, und ihr sympathisches Wesen fasziniert. Sie gehören zur Familie der Menschenaffen.
Orang-Utan könnte heilende Wirkung zufällig entdeckt haben
SWR Kultur Impuls: Können Sie sich erklären, woher die Orang-Utans wissen, welche Pflanze die Richtige ist?
Dr. Isabelle Laumer: Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Das Verhalten könnte durch individuelle Innovation entstanden sein. Das bedeutet, es könnte sogar sein, dass er zufällig mit seinem Finger, an dem dieser Pflanzensaft klebt, auf die Wunde gekommen ist. Und dadurch, dass die Pflanze schmerzstillende Eigenschaften hat, hat er wahrscheinlich herausgefunden, dass das gut tut und hat es dann wiederholt auf die Wunde gestrichen.
Was natürlich auch sein kann ist, dass er dieses Verhalten in der Vergangenheit schon ganz oft gezeigt hat. Nur es war an dem Tag das erste Mal, dass wir das Verhalten gesehen haben.
Hat Rakus das Verhalten von anderen Orang-Utans gelernt?
Dr. Isabelle Laumer: Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Und zwar ist Rakus nicht im Suaq Forschungsgebiet geboren. Es kann sein, dass die Geburtspopulationen von Rakus dieses Verhalten zeigt.
Vielleicht hat er es von seiner Mutter oder von einem anderen Orang-Utan gelernt und hat es dann, als er selbst verwundet war, angewendet. Denn Orang-Utans zeigen auch soziales Lernen.
Keine Entzündung dank pflanzlicher Heilung der Wunde?
SWR Kultur Impuls: Ist Rakus' Wunde wieder komplett verheilt?
Dr. Isabelle Laumer: Rakus hat sich nur an einem Tag mit dieser Pflanze behandelt. Wir haben Rakus auch die folgenden Tage genau beobachtet. Und wir haben festgestellt, dass die Wunder sich nicht entzündet hat. Innerhalb von vier Tagen war die Wunde auch schon komplett geschlossen.
Orang-Utan Männchen schläft mehr für die Heilung der Wunde
Dr. Isabelle Laumer: Was auch noch interessant war, Rakus hat auch mehr geschlafen als sonst. Wir haben uns das Schlafverhalten tagsüber angeschaut und haben das mit der Zeit zuvor verglichen. Und wir haben festgestellt, dass er während er die Wunde behandelt hat und danach mehr als 50 Prozent des Tages geschlafen hat.
Man weiß ja auch, dass generell Schlaf für die Wundheilung sehr wichtig ist, weil da die Zell-Reperatur-Mechanismen besser funktionieren. Anscheinend hat er gespürt, dass es ihm nicht gut geht und hat dann auch mehr geschlafen als sonst.
SWR Kultur Impuls: Also nicht nur wir Menschen wissen, was uns gut tut und, dass bestimmte Pflanzen heilen können. Auch Menschenaffen behandeln sich mit Pflanzen.