Mittlerweile lässt jede dritte Schwangere einen Pränataltest durchführen, selbst wenn kein Verdacht auf eine Trisomie besteht. Das ist ein Problem: Denn die Tests sind häufig falsch-positiv. Sie zeigen eine Trisomie an, obwohl keine vorliegt. Abgeordnete des Bundestags fordern daher, die Folgen der Kassenzulassung dieser Tests systematisch auszuwerten. Darüber berät jetzt der Bundestag.
Ein betroffener Vater berichtet
Zu welchen gravierenden psychischen Folgen ein falsch-positives Ergebnis führen kann, zeigt der Fall von Mark (Name von Red. geändert) und seiner Frau. Sie erwarten ein Kind. Es ist die erste Schwangerschaft. Das Paar will sichergehen, dass alles stimmt. Durch Freunde kommen sie auf den Pränataltest. Auch bei ihrer Frauenärztin liegen Flyer aus. Dann der Schock:
Trisomie 18, auch als Edward Syndrom bekannt, ist eine schwere Chromosomenstörung. Die meisten Kinder sterben noch im Mutterleib oder in den ersten Tagen nach der Geburt.
Auch Ärzte sind über die Tests nicht aufgeklärt
Die Frauenärztin von Mark und seiner Frau ist überfordert: Bisher waren alle Ultraschalluntersuchungen unauffällig – ohne Anzeichen auf eine Trisomie. Doch sie vertraut dem Testergebnis, redet schnell von einer möglichen Abtreibung - in der vierzehnten Schwangerschaftswoche.
Invasive Untersuchungen nach positivem Testergebnis
Einen Tag nach der Diagnose gehen Mark und seine Frau es an die Uniklinik. Dort laufen weitere Untersuchungen, auch hier ist alles unauffällig. Doch um eine Trisomie 18 ausschließen zu können, empfiehlt der Arzt eine invasive Fruchtwasseruntersuchung. Vier Wochen dauert es, bis das Ergebnis da ist.
Aber dann kommt endlich die Entwarnung: Das Kind ist kerngesund.
Expertengespräch: Falsch-Positive Testergebnisse sind nicht selten
Ralf Caspary, SWR2 Impuls, hat mit Thomas von Ostrowski vom Berufsverband Niedergelassener Pränatalmediziner zu den nichtinvasiven Pränataltests und ihren Fehlern gesprochen.
SWR2 Impuls: Ist der Fall von Mark und seiner Frau typisch?
Thomas von Ostrowski: Es ist ein typischer Fall, insbesondere für die Trisomie 18 und 13, weil wir hier durchaus sehr häufig mit falsch-positiven Befunden zu tun haben, insbesondere bei sehr jungen Frauen, wenn sie diesen Test durchführen. Da sind die positiven Vorhersagewert durchaus kritisch zu beurteilen und häufig falsch-positiv.
Keine Aussicht auf bessere Tests
SWR2 Impuls: Jetzt ist das Thema ja schon lange in der Kritik, auch in der öffentlichen Debatte. Hat man diese Tests von Seiten der Anbieter nicht irgendwie nachgebessert?
Thomas von Ostrowski: Das können Sie nicht machen, denn die Tests sind Screening-Tests, keine diagnostischen Tests. Wir untersuchen bei diesen Tests die fetale DNA. Und das ist schon der erste falsche Begriff, den ich ihnen dabei zitiere. Denn eigentlich müssten wir von plazentarer DNA sprechen. Wir untersuchen plazentare DNA. Plazentare DNA ist eben nicht die fetale DNA.
Und dort können wir auch durchaus falsch-positive Befunde rekrutieren. Zum Beispiel die Trisomie 18 oder 13, die häufig als Mosaik-Befunde in der Plazenta vorkommen, aber nicht beim Kind vorliegen. Das heißt, der Hersteller kann sie gar nicht optimieren, denn es wird einfach aufgrund der biologischen Methode zwangsläufig immer falsch auffällige Befunde geben.
Pränataltests untersuchen Blut der Mutter, nicht des Kindes
SWR2 Impuls: Ist das eine Blutuntersuchung?
Thomas von Ostrowski: Genau, das ist eine Blutabnahme bei der Mutter. Und wir finden im Blut der Mutter eben die DNA der Mutter. Und wir finden im Blut der Mutter auch die sogenannte zellfreie DNA. Das sind Bruchstücke der Plazenta des ungeborenen Kindes.
Diese können wir dann in einem sehr aufwendigen, labortechnischen Prozedere analysieren, quantifizieren und dabei - und dieser Hinweis ist sehr wichtig - keine Diagnose stellen, sondern nur Hinweise auf überzählige oder fehlende Chromosomen feststellen.
Experte empfiehlt Ultraschall vor Pränataltest
Thomas von Ostrowski: Und ebenfalls sehr wichtig ist, dass den Eltern vor der Durchführung des nicht invasiven Pränataltests (NIPT) ganz klar vermittelt wird: Was ist der NIPT? Was kann er? Was kann er nicht?
Deswegen ist es so essenziell, dass vor einem NIPT immer ein Ultraschall durchgeführt wird. Insbesondere die falsch-positiven Befunde und das Beispiel der Trisomie 18 und 13 ist im Ultraschall im Grunde genommen in über 95 Prozent der Fälle erkennbar.
Wenn also ein Kind im Ultraschall unauffällig ist und der NIPT ist auffällig, dann beruhigen wir die Eltern in aller Regel. Wir sagen es ist ein falsch positiver Befund, welcher dann durch die invasive Methode abgeklärt werden muss.
Und das muss jede Frau, bevor sie sich auf diesen Test einlässt, wissen, dass die Gefahr dieser Untersuchung, die invasive Methode sein kann. Und dann müssen die Patientinnen wissen, was sie mit dieser Information machen.
Tests bei Trisomie 21 zuverlässiger
SWR2 Impuls: Wie sieht es mit Trisomie 21 aus?
Thomas von Ostrowski: Der Test ist für die Trisomie 21 eigentlich recht zuverlässig. Das Problem sind aber auch hier die falsch-positiven Ergebnisse, insbesondere junge Eltern, müssen diese Problematik wissen.
Wenn sie beispielsweise eine Patientin nehmen, die 25 Jahre alt ist und sich auf diesen Test einlässt und der Bluttest ist auffällig. Dann muss man dieser Patientin sagen, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 bis 50 Prozent der Test falsch-positiv ist und nur die Fruchtwasseruntersuchung dann klären kann, ob er die Wahrheit sagt oder sich irrt.
Falsch-negative Tests sind seltener
SWR2 Impuls: Wie sieht es denn mit falsch negativ aus?
Thomas von Ostrowski: Ja, das kommt schon auch vor. Also konservative Schätzungen sagen jetzt für die Trisomie 21, 18 und 13 gesprochen, dass etwa ein bis drei Prozent der genannten Chromosomenstörungen trotz unauffälligem NIPT nicht erkannt wurden.
Was man dagegen tun kann: Man muss aufklären. Man muss diese Ungenauigkeit kommunizieren.
Experte fordert mehr Aufklärung über Pränataltests
SWR2 Impuls: Wird da genug getan? Oder gibt es aus Ihrer Sicht da noch Defizite?
Thomas von Ostrowski: Es gibt sicherlich Möglichkeiten, das zu verbessern. Also der erste Schritt ist sicherlich, den Eltern klarzumachen, dass dieser Test ein Screening-Test und kein diagnostischer Test ist. Dass also, wenn der Test unauffällig ausfällt, er nicht ein gesundes Kind garantiert, dass es neben den Chromosomenstörungen ganz viele andere Auffälligkeiten gibt, die es vielleicht auch zu berücksichtigen gibt.
Außerdem brauchen wir eine klare Indikation für den Test. Und das ist das eigentliche Problem, welches auch der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), welcher das höchste Beschlussgremium im deutschen Gesundheitswesen ist, leider bei der Umstellung zu einer Kassenleistung nicht umgesetzt hat.
Zu viele Schwangere machen den Pränataltest
Thomas von Ostrowski: Aktuell ist es so, dass jede Schwangere diesen Test für sich erwirken kann, wenn sie mit dem Frauenarzt im Gespräch erkennbar macht, das in ihrer individuellen Auseinandersetzung mit dieser Thematik dieser Test benötigt wird.
Das birgt die Möglichkeit, dass jede Schwangere nur aus Angst, ohne tatsächliche Risiken, sei es jetzt durch das Alter oder Auffälligkeiten im Ultraschall, diesen Test bekommen kann. Und somit ist eine Ausbreitung dieses Tests möglich.
Der Gesetzgeber wollte genau das eigentlich verhindern, indem er sagt, dass es eine Einzelfalllösung ist. Das ist es aber nicht. Also, das ist das Problem: wir haben keine richtige medizinische Indikation dafür.