Neurostimulation kann bei chronische Knieschmerzen helfen

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Neurostimulation kann bei chronischen Knieschmerzen helfen

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Frank Wittig
Frank Wittig, Reporter für SWR Wissen aktuell
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Martina Janning

Stromschläge eines Zitter-Rochens können Schmerzen lindern - das war schon in der Antike bekannt. Heute behandelt der Neurochirurg Daniel Martin mit "Neurostimulation" vor allem Menschen mit chronischen Knieschmerzen.

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Es sind sogenannte neuropathische Schmerzen, die von verletzten Nerven herrühren, die Daniel Martin so erfolgreich mit der Neurostimulation behandelt. Davon gibt es in Deutschland jedes Jahr viele Zehntausend:

Patienten stürzen halt eine Treppe runter oder stürzen mit dem Fahrrad. Es werden immer irgendwo Nerven gequetscht und gedehnt, erklärt Daniel Martin. Hinzu kämen Patienten und Patientinnen, die durch eine Operation an den Nerven neuropathische Schmerzen erleiden. "Gerade beim Knieschmerz ist es so, dass es zu 90 Prozent Patienten sind, die eine Knieoperation hatten oder eine Arthroskopie und dabei Nerven geschädigt worden sind."

Vor der Operation wird ermittelt, welcher Nerv die Knieschmerzen auslöst

Was den Dresdner Neurochirurgen an der Methode so begeistert, ist die Möglichkeit, vor der OP den Erfolg des Eingriffs zu testen. "Im Vorfeld wollen wir natürlich herausfinden, ob der Nerv wirklich für den Schmerz verantwortlich ist", sagt Daniel Martin und erklärt, wie er vorgeht: "Mit dem Ultraschallgerät wird der Nerv aufgesucht und wird mit wenigen Millimetern Lokalanästhetikum umspült und somit ganz selektiv ausgeschaltet."

Wenn die Schmerzen nach der gezielten Schmerzmittelgabe am Nerv für einige Stunden verschwinden, ist klar: Genau dieser Nerv ist der Grund für die chronischen Schmerzen. Er ist dann ein Kandidat für die Behandlung mit der Neurostimulation.

Der Neurochirurg Daniel Martin demonstriert die Elektrode, die er bei der Methode Neurostimulation gegen chronische Knieschmerzen implantiert. Sie sei letztendlich nichts anderes als ein Stück Draht, findet er.
Der Neurochirurg Daniel Martin demonstriert die Elektrode, die er bei der Methode Neurostimulation gegen chronische Knieschmerzen implantiert. Sie sei letztendlich nichts anderes als ein Stück Draht, findet er.

Neurostimulation: Die Elektrode muss genau auf dem Nerv liegen

Daniel Martin hält einen etwa vier Zentimeter langen Draht in der Hand. Seine auffällige farbliche Segmentierung lässt erahnen, dass es sich bei dieser medizinischen Elektrode um ein Stück Hightech handelt. Auch wenn der Neurochirurg hier etwas Understatement betreibt:

"Die Elektrode ist letztendlich nichts anderes als ein Stück Draht. Vereinfacht gesagt natürlich - mit viel Elektronik drin, aber es ist im Prinzip wie ein Draht um einen Millimeter Durchmesser, und dieser wird am umliegenden Bindegewebe fixiert, sodass der nicht mehr verrutschen kann."

Für die Operation braucht Daniel Martin mindestens eine Lupenbrille, manchmal auch ein Mikroskop. Die exakte Lage der Elektrode genau auf dem Nerv ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Operation.

Neurostimulation verändert das Signal zum Gehirn

Daniel Martin sagt dazu: "Der Nerv ist gequetscht, der Nerv wurde durchtrennt, der Nerv hat eine Narbe. Und kurz nach dieser Narbe, nach dieser Schädigung gehen wir mit einer Elektrode auf den Nerven, um das Signal zum Gehirn zu modulieren, zu verändern, so dass das Schmerzsignal verändert im Gehirn ankommt."

Es ist noch nicht abschließend geklärt, was dabei genau im Gehirn passiert, aber maximal zwei mal zwei Stunden Stimulation am Tag genügen, um die Schmerzen massiv zurückzudrängen oder sogar ganz zum Verschwinden zu bringen.

Die Stromstärke wird individuell angepasst

Die benötigte Energie erhält die Elektrode per Induktion aus einem kleinen Gerät von außen. Über diesen Computer lassen sich viele Parameter bestimmen, auch die Frequenz des Stroms. Die Stromstärke lasse sich "so verändern, dass wir für den Patienten das optimale Programm finden."

Diese Anpassung dauert einige Wochen, bis die passende Frequenz und Signalstärke gefunden und individuell eingestellt ist.

Neurostimulation bei chronischen Knieschmerzen: Es dauert ein paar Wochen, bis die elektronische Stimulation so gut angepasst ist, dass sie optimal helfen kann.
Neurostimulation bei chronischen Knieschmerzen: Es dauert ein paar Wochen, bis die elektronische Stimulation so gut angepasst ist, dass sie optimal helfen kann.

Kann Neurostimulation helfen? Das sagen Patientinnen nach der OP

Sindy Hoppe, die in der Nähe von Dresden wohnt, gehört zu den 40 Patientinnen und Patienten, denen Daniel Martin mit der Neurostimulation wieder zu einem besseren Leben verholfen hat. Nach einer Knieverletzung und diversen Operationen musste sie so starke Schmerzmittel nehmen, dass sie arbeitsunfähig wurde. Und heute?

"Heute geht es mir wieder super", berichtet Sindy Hoppe. Sie sei so gut wie schmerzfrei. "Ich merke nur noch ganz selten was, würde ich mal aufs Wetter schieben. Aber es ist nicht mehr zu vergleichen mit den Schmerzen, die ich hatte."

Auch Peggy Meißner hat nach einer missglückten Operation am Fußgelenk starke Dauerschmerzen. Sie kritisiert die gängige Praxis in Schmerzkliniken, zu sehr auf Pharmazeutika zu setzen. Die Neurostimulation, wie Daniel Martin sie anwendet, müsste viel bekannter sein.

Oftmals ist es eben so, dass die Schmerzkliniken nicht mit den Neurologen zusammenarbeiten, und dass da nur auf die Medikation und die Hochdosierung geschaut wird", sagt Peggy Meißner. "Das ist so ein Punkt, wo ich Kritik üben würde. Da müsste die Zusammenarbeit besser werden, damit mehr Patienten davon profitieren können.

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