In einem Naturschutzgebiet bei Tübingen wurde eine neue Wespenart entdeckt. Durch intensive Forschung am Naturkundemuseum Stuttgart und am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wurde die neue Art erstmals beschrieben. Gefunden hat die Wespe Marina Moser, eine Doktorandin am Naturkundemuseum. Benannt wurde die neue Art Aphanogmus kretschmanni nach Winfried Kretschmann, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg benannt. Das solle seinen Einsatz für den Erhalt der Biodiversität ehren.
Warum gibt es so viele Insektenarten?
Auf Expedition am Hirschauer Berg
Auf Expedition durch das Naturschutzgebiet am Hirschauer Berg wollte die Biologin erfassen, welche Insektenarten dort vorkommen und wie sie sich in Zahl und Zusammensetzung verändern. Die Insekten, die in die speziellen Fallen fliegen, fallen dann in achtzigprozentigen Alkohol. Dort werden sie dann konserviert, erklärt Moser.
Dass ihr dabei auch ein ganz besonderes Insekt in die Falle gegangen ist, findet die Doktorandin dann zurück am Naturkundemuseum heraus: Als sie die Insekten nach Art und Größe sortiert, entdeckt sie unterm Mikroskop eine Wespe, die anders ausgesehen habe, „als alle anderen“.
Insektenbestimmung im Naturkundemuseum Stuttgart
Um sicher zu sein, dass es sich um eine neue Art handelt, haben Marina Moser und Lars Krogmann, wissenschaftlicher Direktor und Leiter des Stuttgarter Naturkundemuseums, die Wespe mit anderen Insekten der Museumssammlung verglichen. Es handelt sich um eine der größten Insektensammlungen Europas. In Stuttgart gibt es fast 5 Millionen präparierte Insekten, darunter 350.000 die wie die Wespe zur Ordnung der „Hautflügler“ gehören.
Ihre Analysen bringen dann die Gewissheit, dass es sich tatsächlich um eine bislang unentdeckte Art handelt. Ihr besonderes Merkmal: Eine Reihe an Dornen am Hinterleib.
Moser vermutet, dass die Wespe mit der Stachelreihe möglicherweise die Oberfläche ihrer Wirtsinsekten öffnet. Die Wespe gehört nämlich zu den sogenannten parasitoiden Wespen, die wie andere Parasiten einen anderen Organismus zum Überleben benötigen, einen „Wirt“. Wie andere Wespen der Familie Ceraphronoidea legen sie ihre Eier in anderen Insekten ab.
Röntgen am KIT liefert hochauflösende Bilder
Zur weiteren Forschung ging es für Moser und die Wespe dann ans KIT. Mit einem „Hochdurchsatz-Röntgen-Mikro-Tomograph“, einer besonderen Form der Computer-Tomographie, können Strukturen von nur wenigen Mikrometern Größe sichtbar gemacht werden. Dadurch kann auch die nur millimetergroße Wespe genau untersucht werden. Sogar die innere Muskulatur wird hochaufgelöst sichtbar. Auch Dr. Thomas van de Kamp, Biologe am KIT, war erstaunt:
Aus den Röntgen-Daten konnte das Forschungsteam um Moser Aufnahmen und Animationen der neuen Wespenart anfertigen.
Wespe braucht Wirt zum Überleben
Obwohl die Forscherinnen und Forscher bereits viel über die Wespe herausfinden konnten, bleibt einiges über die neue Art unklar. Zum Beispiel in welchen Insekten die Wespe ihre Eier ablegt und welche Rolle sie in ihrem Ökosystem spielt. Weitere Untersuchungen werden erschwert. Denn: Parasitoide Wespen sind durch die Abhängigkeit von bestimmten Wirtsinsekten überproportional durch das Insektensterben bedroht.
Mosers neu gefundene Wespe ist das bislang einzige Exemplar dieser Art.
Unbekannte Artenvielfalt: Dark Taxa
Arten, über die man nichts oder kaum etwas weiß, werden „Dark Taxa“ genannt. Dark Taxa aus Fliegen, Mücken und parasitoiden Wespen machen zusammen geschätzt etwa ein Viertel der in Deutschland heimischen Tierwelt aus. Tausende Arten könnten damit noch unentdeckt sein.
Mosers Forschung ist Teil des GBOL III: Dark Taxa-Großprojekts. Fünf Einrichtungen arbeiten gemeinsam darin, die Biodiversität in Deutschland besser zu erschließen:
- Das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn,
- die Zoologische Staatssammlung München,
- der Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der Universität Würzburg,
- der Entomologische Verein Krefeld und
- das Naturkundemuseum Stuttgart.
Auch Marina Mosers Forschung ist noch nicht abgeschlossen. „Wer weiß, was wir hier in dem Gebiet noch alles entdecken können“, sagt die Biologin. „Da wartet bestimmt noch ganz viel Unbekanntes auf uns.“
Dark Taxa besser zu erforschen, ist auch für den Artenschutz von großer Bedeutung. Auf der Webseite des GBOL III-Projekts heißt es: Aktuell können die unbekannten Arten nicht in Arbeiten im Bereich Biodiversitätsmonitoring, Naturschutz oder Ökologie einbezogen werden. Sie können ebenso wenig auf ihre Rolle und ihren Nutzen in natürlichen und menschengemachten Ökosystemen sowie ihre mögliche Gefährdung hin evaluiert werden.
Insekten in Gefahr
Insekten nehmen eine wichtige Rolle im Ökosystem ein, da sie beispielsweise für viele Arten die Nahrungsgrundlage sind und dafür sorgen, dass Böden fruchtbar bleiben.
Doch seit einiger Zeit zeigt sich ein besorgniserregenden Insektensterben, das vielfältige Gründe hat: Unter anderem intensivierte Landwirtschaft, Pestizide, Lichtverschmutzung und auch der Klimawandel gefährden viele Arten.