Es ist eine der großen Fragen der Mainzer Archäologie. Wie hat das große römische Monument auf dem Kästrich in der Oberstadt ausgesehen und wofür war es eigentlich gut? War es ein Tor oder doch eher ein achteckiger Prachtbau? Ein Mammutprojekt von Forschern aus Mainz, Marburg und Frankfurt will dieses Rätsel, aber auch viele weitere Geheimnisse der Römer ergründen.
Recycling römischer Monumente in Krisenzeiten
Im Jahr 1928 sahen sich Archäologen die Steine der antiken Mainzer Stadtmauer zum ersten Mal genauer an. An den Ornamenten erkannten die Forscher schon damals, dass manche Bruchstücke einmal zu einem viel größeren Gebäude gehört haben müssen.
Dieses gewaltige Monument müssen die Römer dann im dritten Jahrhundert nach Christus abgerissen haben. Denn nachdem der Limes, der mächtige Grenzwall, gegen die Alemannen gefallen war, wurde jeder Stein für die Befestigung des römischen Mainz gebraucht, wie der Mainzer Archäologe Jens Dolata erzählt.
„Die Stadtmauer ist in einer Notsituation errichtet worden. Da sind bestehende Gebäude abgebrochen worden und sie sind dann in das Fundament der Stadtmauer geraten. Ein Bauquader kann in einem römischen Tempel, in einem Heiligtum aber genauso in einem Grabgebäude gesteckt haben. Und das Forschungsunternehmen findet jetzt heraus, was der ursprüngliche Zusammenhang war.“
Modernste Technik für antike Rätsel
Das Forschungsunternehmen, von dem Dolata spricht, heißt: „disiecta membra“ – auf Deutsch: versprengte Glieder. Innerhalb dieses gewaltigen Projekts Jahren wollen Wissenschaftler der Universitäten Mainz und Marburg sowie der Römisch-Germanischen Kommission in den nächsten 24 Jahren jeden einzelnen römischen Stein in Deutschland erfassen.
Und zwar zum ersten Mal mithilfe neuester Technik. Dazu fotografieren die Forschenden die Steine von allen Seiten und fertigen 3-D-Rekonstruktionen an, die es möglich machen jedes Bruchstück am Computer genau zu untersuchen, wie Thomas Heide von der Uni Mainz erklärt.
“In dem Zusammensetzen der einzelnen Bau- und Architekturteile kann man dann Gebäude rekonstruieren, die halt heute nicht mehr so im Stadtbild so sichtbar sind und somit ein hoffentlich vollständiges Bild der römischen Stadt geben, was ja größtenteils hier in Mainz verloren gegangen ist.“
Spurensuche in den Bruchstücken der Porta Praetoria
Vielleicht gelingt es den Forschern dabei sogar, das 100 Jahre alte Rätsel um das Monument auf dem Mainzer Kästrich zu lösen.
Heute glauben Archäologen, dass die bereits vor 100 Jahren untersuchten Steine, Teil eines großen Tores zum römischen Legionslager waren – der sogenannten Porta Praetoria – vergleichbar mit der rund 30 Meter hohen Porta Nigra in Trier.
Tor oder Tempel? Rätsel um das Monument auf dem Kästrich
Die Bruchstücke lassen sich aber auch anders zusammensetzen – zu einem achteckigen Prachtbau zum Beispiel, der eher an einen Tempel erinnert, wie Jens Dolata sagt.
„Es sind dieselben Bausteine, die hier 1928/29 mit einem wesentlich kleineren Fundbestand zu einem Oktogon, einem achteckigen Gebäude, gefügt wurden. 70 Jahre später mit mehr Steinen, weil weitere Stadtmauerabschnitte geborgen wurden, hat man aus dem achteckigen Gebäude, eine Porta Praetoria, das Haupttor des Legionslagers rekonstruiert. Das ist also ein spannendes Forschungsthema, das seit 100 Jahren in Mainz kocht.“
Wie das Gebäude wirklich einmal aussah, wissen die Archäologen also noch immer nicht. Mit dem neuen Projekt starten die Forschenden jetzt aber einen weiteren Anlauf, das große Puzzle zu lösen.
Bereits rekonstruiert: der Dativius Victor Bogen
Beim Dativius Victor Bogen, einem steinernen, römischen Rundgang, der im Mainzer Landesmuseum ausgestellt ist, hat das Jahre gedauert, wie Direktorin Birgit Heide erzählt.
„Die Einzelteile wurden über einen längeren Zeitraum gefunden. Und es hat sehr viel Mühe und Zeit damals gekostet, diesen Bogen wieder zusammenzusetzen. Für uns wird das jetzt eine ganz tolle Gelegenheit durch das Projekt vielleicht neue Stücke zu finden, die wir anpassen können, die vielleicht dazu passen.“
Das Mammutprojekt: 20.000 Steine warten
Ein Jahr lang forschen die Archäologen jetzt noch in Mainz. Danach wollen sie in Hessen weitermachen, wie Thomas Heide sagt.
„Mainz ist sozusagen unser Versuchsfeld, um unsere Dokumentationsmethoden zu etablieren und zu verfeiern, die Datenbank aufzubauen. Und wenn wir hier in Mainz unsere Dokumentation abgeschlossen haben, dann bewegen wir uns weiter und werden nach und nach alle Bundesländer abarbeiten, die römische Hinterlassenschaften ihr Eigen nennen.“
Insgesamt warten noch mehr als 20.000 römische Steine in anderen Bundesländern auf das Team. Für die Wissenschaftler ist dies ein Schatz, der jahrzehntelang nicht geborgen wurde.