Wildtiere zu beobachten oder auch nur zu zählen, ist keine einfache Aufgabe. Die meisten der Tiere sind scheu, viele nachtaktiv, oder sie treiben sich in sehr dünn besiedelten Gegenden herum. Eine große Hilfe für die Beobachtung sind deshalb Wildtierkameras. Die machen automatisch Bilder oder Aufnahmen von den Tieren, sobald ihnen eines vor die Linse kommt.
Aber solche Bilder müssen danach normalerweise mühevoll ausgewertet werden. Forschende aus Freiburg haben jetzt die Fotodaten aus zehn deutschen Nationalparks mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz auswerten lassen und konnten damit wichtige Rückschlüsse über den aktuellen Wildtierbestand gewinnen.
SWR2 Impuls Moderator Martin Gramlich im Gespräch mit den Wildtierökologen Prof. Marco Heurich.
KI hilft bei der Auswertung von Fotos aus Fotofallen
SWR2 Impuls: Was kann eine KI bei der Auswertung von Wildtierfotos besser als der Mensch?
Marco Heurich: Die KI ist einfach schneller. Das ist der wesentliche Punkt. Wir hatten nämlich im Projekt 1,2 Millionen Bilder. Und bei diesen 1,2 Millionen Bildern mussten wir jeweils bestimmen. Ist da jetzt ein Mensch auf dem Bild? Ist da ein Fahrzeug auf dem Bild? Oder ist da ein Leerbild, beispielsweise ein Grashalm, der vor der Kamera hin und her wackelt? Oder ist da ein Tier? Und wenn ja, welches Tier? Und bei 1,2 Millionen Bildern dauert das sehr lange.
SWR2 Impuls: Wie lange hat es gedauert, die KI zu trainieren?
Marco Heurich: Wir haben da durchaus auch KIs, die es auf dem Markt gibt, genutzt. Und da geht dieses Training relativ schnell, weil diese KI diese groben Klassen, um die es uns zunächst ging, also: Mensch, Tier, Leerbild oder Fahrzeug, quasi von selbst trainieren kann.
Auch Wölfe und Luchse wurden von Fotofallen erfasst
SWR2 Impuls: 1,2 Millionen Bilder haben sie ausgewertet. Was hat diese Auswertung ergeben? Und gab es da irgendwelche Überraschungen?
Marco Heurich: Vom Prinzip her haben wir geschaut, wie viele Wildtiere leben in welchem Gebiet, um die Nationalparks darüber zu informieren. Und bei so einem Projekt gibt es natürlich immer ganz viele tolle Bilder von Jungtieren, vom Nachwuchs. Wir hatten auch Wölfe in den neuen Bundesländern, dem Wildnisgebiet Königsbrücker Heide, das schon seit längerer Zeit von Wölfen besiedelt wird.
Und man sieht dann zum Beispiel, dass da auf dem einen Bild noch ein Rotwild, also ein Hirsch drauf ist. Und kurz später kommt ein Wolf vorbei. Da gibt es also ganz viele spannende Ergebnisse. Und auch im Vergleich zwischen den Nationalparks sieht man dann, dass in den Gebirgsnationalparks doch viel weniger Tiere vorhanden sind als im Flachland, wo wir zum Teil fast die zehnfache Dichte von Tieren gehabt haben.
SWR2 Impuls: 36 Wölfe, 16 Luchse haben sie gezählt. Wie ist das einzuschätzen, ist das viel oder wenig?
Marco Heurich: Man muss sehen, dass die Schutzgebiete in Deutschland relativ klein sind, das heißt um die 10.000 Hektar. Die größeren haben dann so um die 30.000 Hektar. Und wenn man von einem Wolfsrevier ausgeht, dass quasi eine Wolfsfamilie ein Gebiet von etwa 20.000 bis 25.000 Hektar hat, dann ist das eigentlich eine Zahl, die zu erwarten ist.
Auch die Luchse haben große Streifgebiete. Da hat auch so ein Weibchen ein Streifgebiet von 10.000 Hektar, sprich ein Schutzgebiet. Und da passen die Zahlenreihen, auch wenn sie jetzt erst einmal wenig erscheinen. Und es ist ja auch so, dass die Wölfe aktuell Deutschland wiederbesiedeln in vielen Gebieten und aktuell waren sie nur in vier Schutzgebieten vorhanden. Und beim nächsten Durchgang, der aktuell läuft, wird es wahrscheinlich auch noch in weiteren Nationalparks tatsächlich Wölfe geben.
Erfassung der genauen Zahl von Beständen schwierig
SWR2 Impuls: Ihr Projekt in Freiburg ist das erste standardisierte Monitoring von Wildtierpopulationen in deutschen Großschutzgebieten. Können Sie uns kurz sagen, was das heißt?
Marco Heurich: Es gibt Naturschutzgebiete, die haben wenige Hektar bis wenige hundert Hektar an Größe. Großschutzgebiete wie Nationalparks und Wildnisgebiete haben alle eine Größenordnung von mindestens über 7.000 Hektar. Das standardisierte Monitoring haben wir deshalb eingeführt, weil natürlich in manchen Schutzgebieten die Huftierbestände, also das Schalenwild auch hohe Bestände annehmen kann, oft keine natürlichen Feinde hat.
Und deshalb reguliert man die Wildtiere in diesen Nationalparks. Mit unserem Monitoring kann man zum einen genau feststellen, wie groß die Bestandsgröße ist, aber auch zum Beispiel der Verbiss und kann dadurch dann auch ein gezieltes Management der Tiere betreiben.
Künftig sollen auch Schutzgebiete im Ausland mit erfasst werden
SWR2 Impuls: Und welche Rolle spielen dabei die Kameras in diesen großen Schutzgebieten oder überhaupt für unseren Umgang mit Wildtieren? Ist das tatsächlich die einzige praktikable Möglichkeit, überhaupt zu solchen Zahlen oder einen Eindruck zu bekommen, wie groß diese Populationen sind?
Marco Heurich: Es ist extrem schwierig, Wildtiere zu zählen. Man stellt sich vor, man sieht ein Reh draußen im Wald, und die sehen alle gleich aus. Und das heißt, das Reh, was auf der einen Wiese steht, könnte das gleiche sein, was auf der anderen Wiese steht, weil die auch große Streifgebiete haben. Deshalb kann man die mit normalen Methoden nicht zählen. Und dann gibt es verschiedene Ansätze. Ein Ansatz ist, Fotofallen systematisch im Gebiet zu verteilen. Dann kann man anhand der fotografierten Tiere mit statistischen Methoden auch die Bestandshöhe zeigen.
SWR2 Impuls: Das heißt, die Statistik kommt dafür zum Tragen, weil ein Tier möglicherweise auch manchmal mehrmals durch eine Fotofalle durchläuf?
Ein Tier kann mehrmals durch eine Fotofalle streifen. Das Tier kann auch unterschiedlich schnell durch die Fotofalle gehen. Und wir müssen auch immer die Fläche berücksichtigen, die das Tier auf der Fotofalle überstreicht, weil die Fotofalle ja nur eine gewisse Fläche abdeckt. Das, heißt ein kleines Tier wird quasi nur in der unmittelbaren Nähe zur Fotofalle fotografiert. Aber ein großes Tier, wie zum Beispiel ein Rothirsch, der kann auch noch in 10, 15 oder 20 Metern Entfernung fotografiert werden. Aber je weiter ich von der Kamera weg und desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich Ihn noch fotografiere. Und das muss statistisch berücksichtigt werden.
SWR2 Impuls: In der nächsten Projektrunde sollen jetzt auch Bilder aus Schutzgebieten in Rumänien oder Albanien ausgewertet werden. Was versprechen Sie sich von diesen Daten?
Marco Heurich: Zum einen unterstützen wir die Kollegen im Zuge von einer Partnerschaft in Albanien und auch in Rumänien beim Wildtier-Monitoring, dass wir quasi unser Know-how auch dort einsetzen, die Mitarbeiter schulen, dass sie das auch selbständig machen können. Es ist ein wichtiger Grund, und der andere Grund liegt darin, dass wir da auch sehr naturnahe Gebiete haben, wo beispielsweise die großen Beutegreifer vorkommen, also der Wolf, der Luchs und auch der Bär. Und wir wollen auch sehen und lernen, wie sich diese großen Beutegreifer auf die Schalenwildbestände auswirken, sodass wir dann auch Rückschlüsse für unser Management hier in den deutschen Nationalparks und Großschutzgebieten ziehen können,