Künstliche Intelligenz in der Archäologie

KI erleichtert die Entschlüsselung von Keilschrifttafeln

Stand
Autor/in
Kristina Koch

Hunderttausende fragmentierte Keilschrifttafeln können dank KI nun schneller und zuverlässiger übersetzt und zusammengefügt werden. Alltäglicher Schriftverkehr und die Anfänge der Weltliteratur von Hochkulturen aus Mesopotamien werden so zugänglich.

Modernste KI-Technik hilft uns, Jahrtausende alte Schriften zu entschlüsseln und die Entstehung der modernen Zivilisation besser zu verstehen. Forschende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), Hochschule Mainz und der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz treiben mit ihrer Technologie die Übersetzung von Keilschrifttafeln voran.

Die Forschenden aus Halle und Mainz nutzen für ihre KI keine Fotos von Schrifttafeln, sondern fertigten digitale 3D-Modelle an. Das Abbilden von dreidimensionaler Keilschrift liefert bessere Ergebnisse für die automatischen Texterkennung und macht das Übersetzen schneller und deutlich zuverlässiger.

E. Stötzner von der Uni Halle beim Scannen von Tontafeln
Ernst Stötzner von der MLU in Halle scannt eine Keilschrifttafel. Das Ergebnis: ein 3D-Modell für die KI-basierte automatische Texterkennung.

Bisher war das Übersetzen von Keilschrift Sisyphusarbeit

Dass KI bei der Übersetzung von Keilschrift hilft, ist nicht neu. Forschende an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München ist mit KI im Jahr 2022 ein revolutionärer Schritt gelungen. Mit bereits übersetzten Tafeln wurde die KI im Entschlüsseln der akkadischen Keilschrift trainiert. Akkadisch ist eine Sprache, die stark vom Sumerischen beeinflusst wurde. Babylonisch und Assyrisch sind Dialekte des Akkadischen.

Die Künstliche Intelligenz ermittelt, welche Schriftzeichen welche Wörter im jeweiligen Kontext bedeuten. Durch das Abgleichen von Interferenzen, also Überschneidungen von Textstellen, in einer riesigen Datenbank kann die KI einzelne Fragmente zusammenführen und viele weitere Tafeln übersetzen.

Der Mensch beginnt etwa vor 5.300 Jahren zu schreiben. Die Keilschrifttafeln waren ungefähr 3.300 Jahre in Verwendung des Gebietes des Zweistromlands. Das entspricht dem heutigen Iran, Irak bis Türkei, Persien und ein bisschen nach Ägypten.

Tausende Fragmente in vielen Sprachen

Seit 150 Jahren beschäftigt sich die Altorientalistik, die besonders in Deutschland stark vertreten ist, mit den Geheimnissen Mesopotamiens. Die Entschlüsselung der überdauerten Schriftstücke war seitdem ein schier unlösbares Puzzle.

Bei den Fundstücken handelt es sich in den allermeisten Fällen um Bruchstücke von Tontafeln, manche nur fingernagelgroß.

Der erste Friedensvertrag der Welt nach der Schlacht von Kadesh
Tontafeln überdauern: Der erste Friedensvertrag der Welt nach der Schlacht von Kadesh zwischen Ägyptern und den Hethitern 1274 v.Chr. Einige Fragmente fehlen bis heute.

Herausforderung für die Forschung

Das noch viel größere Problem ist die Komplexität der Keilschrift. Das Schriftsystem wurde in mehreren Sprachen verwendet, manche gehen von 40 Sprachen aus. Darüber hinaus veränderte sich die Schrift zu Teilen im Laufe der Jahrhunderte. Forschende der Altorientalistik haben bislang über 10,3 Millionen Wörter auf Keilschrifttafeln entdeckt. Ähnlich wie im Chinesischen haben Wörter teilweise mehrere Bedeutungen. Wenn nur Fragmente einer Tafel vorliegen, ist ein Ableiten aus dem Kontext oft unmöglich.

Forschende der Altorientalistik sind mit mehreren Herausforderungen konfrontiert. Die Mehrdeutigkeit von Zeichen und die Fragmentierung lassen sich nur mit enormen Hintergrundwissen überwinden. Auch die Beschaffenheit der Tontafeln ist ein Punkt: Die Überreste sind meist in einem sehr schlechten Zustand. Um die keilförmigen Abdrücke richtig zu erkennen, benötigt man optimale Lichtverhältnisse.

Entschlüsselung gibt wertvollen Einblick in die Hochkulturen Mesopotamiens

Dank des Fortschritts in der KI-Technik sind Schriftstücke aus der Zeit der Hochkulturen Mesopotamiens viel früher lesbar, als sich die Forschenden das erträumt hätten. Auf den bisher übersetzten Tafeln finden sich Schriftstücke aus allen Lebensbereichen, heute wie damals: Gerichtsurteile, Wirtschaftsbilanzen, Gebetstexte, medizinische Anleitungen und literarische Werke wie auch unterhaltsame Satiren. Der technische Fortschritt treibt die Forschung in Bereichen wie der Altorientalistik erheblich voran.

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Kristina Koch