Etwa die Hälfte der Deutschen ist laut Robert Koch-Institut übergewichtig – fast jeder Fünfte hat Adipositas, das ist starkes Übergewicht mit einem Body-Mass-Index über 30.
Das zusätzliche Gewicht loszuwerden, sei in vielen Fällen nicht das größte Problem, erklärt Tobias Meile. Er leitet das Adipositas-Zentrum im Klinikum Stuttgart. „Natürlich ist es mühsam, zwanzig Kilo abzunehmen. Aber die größte Herausforderung ist es, das niedrigere Gewicht langfristig zu halten.“
Der Jo-jo-Effekt sei nicht ohne Grund berühmt-berüchtigt. Die meisten Menschen, die sich in der Adipositas-Ambulanz vorstellten, hätten bereits viele Diäten hinter sich, die alle keinen langfristigen Erfolg mit sich gebracht haben. Erklären konnte man diesen Effekt bisher nicht.
Jo-jo-Effekt bei Übergewicht liegt nicht an mangelnder Willenskraft
„Es gibt eine gewisse Stigmatisierung von Menschen die übergewichtig sind, abnehmen und es dann nicht schaffen, das Gewicht zu halten“, erklärt auch Ferdinand von Meyenn. Er forscht an der ETH Zürich an Fettzellen.
Gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam hat er jetzt in der Fachzeitschrift Nature eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass es offenbar molekulare Mechanismen gibt, die den Körper dazu bringen, gegen den Gewichtsverlust anzukämpfen.
Dafür haben die Forschenden Fettgewebe von Menschen analysiert, deren Adipositas mit einer Magen-Operation behandelt wurde. Die Proben wurden ihnen vor und nach der massiven Gewichtsabnahme entnommen. Das Ergebnis: Auch zwei Jahre nach der Operation „erinnerten“ sich die Fettzellen noch an das Übergewicht – durch unterschiedliche Genaktivitäten.
Fettzellen werden dauerhaft umprogrammiert
Denn an sich haben alle Zellen die gleichen Gene – aber es werden nicht immer dieselben genutzt. Eine Zelle markiert beispielsweise zur Anpassung an ihre Umwelt, welche Gene abgelesen werden.
Die Konsequenz: Die Zellen haben andere Eigenschaften. Das kann dazu führen, dass Fettzellen bei Übergewichtigen zum Beispiel größer werden oder schneller Energie aufnehmen. Und diese Eigenschaften behielten die Zellen auch nach einer Gewichtsabnahme.
„Dabei muss man bedenken, dass Fettzellen sehr langlebig sind. Die sind zum Teil bis zu zehn Jahre im menschlichen Körper, sie können Veränderungen also wirklich langfristig speichern.“, so Ferdinand von Meyenn von der EHT Zürich.
Das gleiche Ergebnis erhielten die Forschenden mit Versuchen an übergewichtigen Mäusen. Deren Fettzellen hatten ebenfalls veränderte Markierungen im Erbgut, auch bei ihnen wurde veränderte Genmuster abgelesen. Das Ergebnis: Selbst Monate nach einer Abnahme nahmen die Zellen noch mehr Zucker und Fett auf als Zellen von Mäusen, die immer normalgewichtig waren. Die ehemals dicken Mäuse nahmen schneller zu – der Jo-jo-Effekt.
"Wir müssen viel früher in der Therapie anfangen"
Mit dieser Studie sei noch nicht bewiesen, dass die entdeckten genetischen Markierungen wirklich der Grund für den Jo-jo-Effekt sind, das sagen auch die Studienautoren und -autorinnen.
Doch für Tobias Meile vom Adipositas-Zentrum am Klinikum Stuttgart ist die jetzt vorgestellte Studie sehr interessant: „Das erleuchtet manche Dinge, bei denen wir uns schon lange fragen, warum das so ist.“
Für ihn unterstreichen diese Ergebnisse, wie wichtig Prävention bereits im Kindes- und Jugendalter ist: „Wir müssen viel früher in der Therapie anfangen. Wenn man eine Diät oder eine drastische Gewichtsreduktion braucht, ist es eigentlich schon zu spät, dann sind die Zellen bereits auf Übergewicht programmiert.“ Viel sinnvoller sei es, die Gewichtszunahme an einem Zeitpunkt zu stoppen, an dem man nur nicht weiter zunehmen muss.
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Studie kann weitere Forschung antreiben
Von einer gezielten Behandlung, die die jetzt entdeckten, genetischen Markierungen rückgängig machen könnte, sei man noch weit entfernt, da sind sich die Fachleute einig. Studienautor von Meyenn erklärt, die Ergebnisse der jetzt vorgestellten Studie könnten aber für weitere Forschung genutzt werden.
Denn auch aktuelle Medikamente wie die sogenannte Abnehmspritze müsse man dauerhaft verwenden, wenn man nicht wieder zunehmen will. „Hier ist noch viel Forschung gefragt, um festzustellen, ob man diese Signaturen diagnostisch nutzen könnte oder welche Medikamente, welche Interventionen sie vielleicht löschen könnten, wie Sport oder eine bestimmte Ernährung“, so von Meyenn.