Hirnforschung

Grundlagenforschung: Was die Hirnwellen über unser Bewusstsein aussagen

Stand
Autor/in
Marko Pauli
Onlinefassung
Christian Burg

Der Neurologe und Psychiater Hans Berger entdeckte vor etwa 100 Jahren die Hirnwellen. Damit war das Elektroenzephalogramm, das EEG, erfunden. Heute weiß man, dass die unterschiedlichen Typen von Wellen jeweils mit bestimmten Bewusstseinszuständen zu tun haben. Doch ihre Erforschung steckt noch in den Kinderschuhen.

Vor etwa 100 Jahren entdeckte der Neurologe und Psychiater Hans Berger, dass es so etwas wie Hirnwellen gibt. Bei einem Patienten konnte er über eine offene Stelle am Schädel von der Großhirnrinde elektrische Aktivität ableiten – das Elektroenzephalogramm, das EEG, war erfunden. Eine große Frequenzbreite an Hirnwellen wurde entdeckt, von den ganz langsamen bis hin zu über 100 Schwingungen pro Sekunde.

So kommunizieren Hirnareale miteinander

Hirnwellen entstehen, wenn Nervenzellen sich zusammenschalten und dann gemeinsam anfangen elektrische Impulse auszusenden. So können auch weit entfernt liegende Hirnareale miteinander kommunizieren. Die unterschiedlichen Wellen haben mit bestimmten Bewusstseinszuständen zu tun, weiß Ilka Diester, Professorin für Optophysiologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg:

"Wenn wir bei den Delta-Wellen anfangen, das sind die allerniedrigsten von 1 bis 3 Hertz. Delta-Wellen sind im Tiefschlaf besonders stark. Dann kommen die Theta-Wellen, eine Stufe höher, bei 4 bis 7 Hertz.Wenn die stark sind, ist man eher ein bisschen müde. Bei Alpha-Wellen von 8 bis 12 Hertz, bin ich in einem Zustand der Entspannung, wenn ich die besonders stark habe. Und darüber kommen dann Beta, von 13 bis 25 Hertz und Gamma über 25 Hertz – wo man die Grenze zieht, ist nicht so ganz klar – diese sind für den wachen Zustand charakteristisch."

Schlafendes Baby
Im Tiefschlaf sind die Delta-Wellen besonders stark. Diese schwingen mit einer Frequenz von 1 bis 3 Hertz.

Stark erhöhte Beta-Frequenz bei Parkinson-Patienten

Die Wellen überlagern sich im Gehirn, doch Ilka Diester und ihr Team haben eine Technik entwickelt, um sie einzeln betrachten zu können. Die Arbeitsgruppe hat sich vor allem auf die Beta-Wellen konzentriert. Diese spielen bei der Planung von Bewegungen eine wichtige Rolle. Sie sorgen quasi dafür, dass nicht sofort das Lenkrad gedreht wird, sondern erst dann, wenn man bei der Kurve angekommen ist.

"Bevor ich eine Bewegung ausführe, brauche ich eine gewisse Phase, in der ich mir erstmal überlege, wie ich jetzt genau meine Bewegung durchführen möchte. Und in der Phase helfen die Beta-Wellen, die Bewegung noch nicht ausführen zu lassen. Sie unterdrücken aktiv, dass eine neue Bewegung initiiert wird, auch wenn ich die schon aktiv plane."

Dass Bewegungen und deren Planung mit Beta-Wellen zu tun haben, ist bei der Parkinson-Krankheit zu erkennen. Die Patienten zeigen eine stark erhöhte Beta-Frequenz in bestimmten Hirnarealen. "Diese Beta-Frequenz verhindert, dass die Patienten sich bewegen können", erklärt Ilka Diester.

Hirnwellen lassen sich beeinflussen

Hirnwellen lassen sich nicht nur messen, sondern auch beeinflussen, um positiv auf neurologische Erkrankungen wie z. B. Depression, Schizophrenie, Alzheimer und eben Parkinson einzuwirken. Bei der tiefen Hirnstimulation wird Parkinson-Patienten eine Elektrode in den Subthalamischen Nucleus implantiert, eine tief liegende Struktur im Gehirn.

Parkinson Hände
Eine Unterbrechung der Beta-Wellen im Gehirn führt zu einer Verbesserung bei Parkinson-Patienten.

"Man spielt dann kontinuierlich einen Hochfrequenz-Stimulus ein, 130 Hertz so ungefähr, das ist wesentlich höher als die Beta-Frequenz, die im 20 Hertz-Bereich liegt. Damit störe ich diese Beta-Frequenz und kriege eine extreme Besserung der motorischen Qualitäten der Patienten. Also Patienten, die sich vorher überhaupt nicht bewegen können und einen starken Tremor zeigen, also wirklich nichts mehr greifen können, sobald ich diese Hochfrequenz-Stimulation anstelle, können die sich auf einmal wieder ziemlich normal bewegen und auch sprechen", weiß Ilka Diester.

Auch kleine Wellen haben eine große Wirkung

Eine andere Hirnwelle spielt bei der Dissoziation die Hauptrolle, einer psychischen Störung, die nach traumatischen Erlebnissen auftauchen kann. Manche Patienten fühlen sich dabei wie abgetrennt vom eigenen Körper, andere reagieren nicht mehr auf Außenreize. Der US-amerikanische Psychiater und Neurobiologe Karl Deisseroth hat eine winzig kleine Hirnwelle tief im Hirn von Mäusen entdeckt, die offenbar mit diesem Zustand zu tun hat. Unter Medikamenten die Dissoziationen auslösen, zeigten Mäuse dissoziatives Verhalten, und parallel dazu fand Karl Deisseroth im Hirn ein kleines Muster an langsamen Wellen.

"Delta-Wellen im tiefen Posteromedialen Kortex, eine Hirnstruktur tief versteckt im Großhirn. Viele dieser langsamen Oszillationen durchdringen das gesamte Gehirn, z. B. wenn wir in bestimmte Schlafphasen übergehen, aber diese hier tauchten nur an diesem sehr auffälligen kleinen Fleck auf", erklärt Karl Deisseroth.

Mithilfe der eigenen bahnbrechenden Erfindung, der Optogenetik, einer Technologie, mit der Hirnaktivität von außen kontrolliert und gesteuert werden kann, hat die Arbeitsgruppe um Karl Deisseroth feststellen können, dass diese Delta-Wellen tatsächlich mit dem Zustand der Dissoziation zusammenhängen. Sie konnten die Wellen und damit die Dissoziation bei der Maus quasi an- und ausschalten.

Neuronennetzwerk
Karl Deisseroth hat eine winzig kleine Hirnwelle tief im Hirn von Mäusen entdeckt, die mit dissoziatives Verhalten zusammen hängen. Mittlerweile hat er dies auch für Menschen nachgewiesen.

Doch gilt das alles auch für Menschen?

Es gab einen Patienten, der sich für Untersuchungen zur Verfügung stellte. "Es handelte sich um eine sehr hochrangige Führungskraft, die eine sich verschlimmernde Epilepsie hatte, aber mit einem sehr interessanten dissoziativen Muster in der Aura. Die Aura ist die Zeitspanne direkt vor einem epileptischen Anfall, in dem verschiedene Sinneswahrnehmungen stattfinden können", so Karl Deisseroth. "Dieser Patient beschrieb sehr präzise, seinen Körper als das Cockpit eines Flugzeugs zu sehen, inklusive Steuerung, aber er selbst fühlte sich außerhalb des Cockpits und konnte es bloß beobachten. Das geschah immer wieder genau vor seinen Anfällen."

Die Optogenetik kann bisher nur bei Versuchstieren angewandt werden. Dieser Patient erklärte sich aber bereit, seine Hirnaktivität über ein im Schädel implantiertes EEG beobachten zu lassen.

"Als dieser wache, aufmerksame Mensch dann sagte, ja, ich dissoziiere jetzt, erschien eine Welle mit dem Rhythmus von etwa drei Hertz, und sie war genau im posteromedialen Kortex."

"Das war ein sehr präzises Ereignis, das sich bei den folgenden Versuchen wiederholte. Wir machten Aufnahmen vom gesamten Hirn, aber sie war immer nur in diesem Bereich des Gehirns zu sehen, genau korrespondierend mit dem Mäusehirn", sagt Karl Deisseroth.

Die Wissenschaftler kamen nach weiteren Versuchen zu dem Schluss, dass diese Oszillation tatsächlich sowohl bei der Maus, als auch beim Menschen mit dem Zustand der Dissoziation zusammenhängt. Das sei wichtig, sagt Deisseroth, um zu entscheiden, ob dieser Teil des Gehirns eventuell herausgenommen werden soll. "Was natürlich ein großer Eingriff ist, und da will man sich sehr sicher sein", so Karl Deisseroth.

EEG eines Parkinson-Patienten
Auch wenn schon viel über Hirnwellen bekannt ist, die Frage, die immer noch im Raum steht, ist: Was schwingt da eigentlich genau?

Sicher ist ansonsten recht wenig, was das Wissen über Hirnwellen angeht. Man weiß, dass sie wichtige Informationsträger sind, doch vieles, auch Grundlegendes ist noch unklar, wie Ilka Diester betont: "Eine große Frage, die immer da ist, woher kommen diese Oszillationen? Man ist sich schon einig, dass es eben dieses Summen-Potenzial ist und dass es die Eingänge aus anderen Arealen in ein weiteres Areal sind – aber was genau schwingt denn da?"

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Christian Burg