Können Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag erinnern? Da gab es doch bestimmt diesen älteren Kollegen, der Sie erstmal auf eine Tour durch den Betrieb mitgenommen hat und ihnen alles gezeigt hat. Manager nennen das heute „Onboarding“ – auf Deutsch: jemanden an Bord nehmen.
Doch einen Mitarbeiter dafür abzustellen, den Nachwuchs einzuarbeiten wird in Zeiten des Fachkräftemangels immer schwieriger. Vor allem für Firmen auf dem Land, die ohnehin zu viel Arbeit und zu wenig Personal haben.
Wie Künstliche Intelligenz in Rheinland-Pfalz genutzt wird
Mitarbeiter aus dem Ruhestand als Chatbot zum Einarbeiten
Eine Lösung könnte die Unterstützung durch eine Künstliche Intelligenz sein. Ebendiese wird derzeit in einem speziellen Labor in Bitburg entwickelt, von Carsten Maletzki, Informatiker am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, und seinem Team zusammen mit Unternehmen.
Der Name des Chatbots: "Fritz Mayer". Sein Portrait auf dem Bildschirm zeigt einen Mann mit breiter Nase, braunen Haaren und einem blauen Polohemd. Das Vorbild für Fritz Mayer war ein fiktiver älterer Mitarbeiter, der in den Ruhestand geht und seine Erfahrungen an die jüngere Generation weitergeben will, erklärt Maletzki:
„Wenn ich jetzt hier einen Mitarbeiter hab, der in den Ruhestand gegangen ist, der weiß natürlich alles, was er damals gemacht hat, was man generell beachten muss. Dieses System ist nicht dazu da, um den Mitarbeiter zu ersetzen. Sondern es geht darum, neue Mitarbeiter anzuleiten, dass hier eine entsprechende Kollaboration zwischen Mensch und KI stattfindet.“
Künstliche Intelligenz als Abhilfe in Zeiten des Fachkräftemangels
Gefüttert wird die Künstliche Intelligenz mit Dokumenten, E-Mails und Chatverläufen des früheren Mitarbeiters. Das Programm lernt dazu und soll irgendwann Unternehmen beim „Onboarding“ von neuen Mitarbeitern helfen. Denn gerade dazu werden Fachkräfte gebraucht, die vielen Unternehmen gerade in der Eifel fehlen, sagt der Trierer Professor Ralph Bergmann, der das Projekt leitet:
„Das Problem des Fachkräftemangels, das wir natürlich deutschlandweit haben, ist in dieser Region besonders ausgeprägt. Und von daher müssen die Unternehmen natürlich versuchen durch KI bestimmte Aufgabenteile zu automatisieren, um letztendlich mit weniger Personal die gleichen Aufgaben bewältigen zu können. Das können Chatbots sein, die Hilfestellungen geben für Mitarbeiter.“
Der Bot könnte dann schon am ersten Arbeitstag die Fragen der Neuen beantworten: Wo beantrage ich was, wer ist für welche Aufgaben zuständig, wo geht’s zur Kantine? Dafür könnte die Künstliche Intelligenz wirklich hilfreich sein, glaubt auch der Psychologe und Betriebspädagoge Michael Dick.
Der Professor der Universität Magdeburg gibt allerdings zu bedenken, wie wichtig das „Onboarding“ für Unternehmen ist – wie viel davon abhängt, ob es funktioniert.
„Also es ist doch wie bei jeder Beziehung: Die ersten Monate sind wichtig und damit meine ich nicht nur das Flirten, sondern der Beginn eines gemeinsamen Alltages muss irgendwie gut funktionieren. Wenn man beim Onboarding Fehler macht, ist die Gefahr groß, dass Menschen das Unternehmen frühzeitig verlassen.“
Wo sind die Grenzen von KI beim Onboarding?
Kann man den wichtigen ersten Eindruck einer Maschine überlassen? Michael Dick ist skeptisch. Er gibt zu bedenken, dass KI keine Authentizität und Empathie hat. Dass eine KI sich nicht in einen hineinversetzen kann und keine eigene Persönlichkeiten hat, der man Vertrauen entgegenbringen kann sind Punkte, an denen Dick zufolge KI derzeit scheitert und auch in Zukunft scheitern wird.
Er sieht die Chatbots eher als Ergänzung, um mehr Zeit für echte Begegnungen zu ermöglichen:
„Der Chatbot ist die virtuell animierte Einführungsmappe, nichts anderes. Ich glaube durchaus es gibt viele Unternehmen, Technologieunternehmen, wo man sagen würde: So ein Chatbot ist super, der ist auch viel schlauer als die Mappe, der blättert die Seiten um, ich brauche kein Inhaltsverzeichnis mehr, also da hätte man mit so einem Chatbot, glaube ich überhaupt keine Nachteile.“
Deutschlandweit einzigartige Kooperation mit Unternehmen
Andererseits ist die Entwicklung einer KI üblicherweise teuer – meist zu teuer für kleinere Firmen. Anders in Bitburg: Hier haben sich 20 Unternehmen aller Größen und Branchen mit den Trierer KI Forschern zu einer deutschlandweit einzigartigen Kooperation zusammengeschlossen. Dabei ist zum Beispiel die Bitburger Brauerei. Geschäftsführer Jan Niewodnidszanski verspricht sich einiges von dem Projekt:
„Künstliche Intelligenz ist für mich heute vergleichbar zu der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Wir glauben, dass wir hier die Themen besetzen können, die die Region nachhaltig wirklich und zukunftsfähig aufstellen können. Und letztendlich profitieren wir als Wirtschaft davon.“
Bis es soweit ist, dürfte es allerdings noch ein bisschen dauern, denn derzeit ist Fritz Mayer noch ein Prototyp.