Das neue Coronavirus attackiert nicht nur die Lunge, sondern verändert wohl auch das Blut – vor allem bei schwer Erkrankten ist die Blutgerinnung oft gestört, es kann zu lebensgefährlichen Gerinnseln kommen.
Die Deutsche Gesellschaft für Intensiv- und Notfallmedizin fordert deshalb, dass blutverdünnende Medikamente eine stärkere Rolle bei der Behandlung von Covid-19 spielen müssen. Viele wichtige Fragen für den klinischen Alltag sind dabei aber noch offen.
Erhöhte Gefahr von Thrombosen oder Lungenembolien
Mindestens einer von vier Patienten mit Covid-19 entwickelt eine Thrombose oder bekommt eine Lungenembolie – so die aktuelle Schätzung vieler Forscher. Bei einer deutschen Autopsiestudie mit 12 verstorbenen Patienten lag die Rate sogar noch höher: Bei mehr als der Hälfte der Untersuchten entdeckten die Pathologen eine tiefe Thrombose in den Beinvenen; in einem Drittel der Fälle war eine Lungenembolie die direkte Todesursache.
Hamburger Studie beruht auf geringen Fallzahlen
Diese Hamburger Studie hatte zuletzt für Schlagzeilen gesorgt, auch die Deutsche Gesellschaft für Intensiv- und Notfallmedizin beruft sich nun darauf. Allerdings lassen sich die Ergebnisse wegen der geringen Fallzahlen nicht einfach hochrechnen. Außerdem ist die Blutgerinnung vermutlich bei sehr schwer Erkrankten stärker gestört als bei leichten Fällen.
Verschiedene mögliche Ursachen für erhöhte Gefahr von Thrombosen
Die entscheidende Frage ist allerdings: Welche Rolle spielt dabei das neue Coronavirus? Denn bei Patienten auf der Intensivstation ist die Blutgerinnung immer ein Problem – allein schon durch das lange Liegen und Entzündungen im Körper. Auch Sauerstoffmangel ist ein bekannter Risikofaktor für Thrombosen, und jede längere Beatmung erhöht die Wahrscheinlichkeit für Gerinnsel -- ganz unabhängig von Corona.
Ärzte wissen das und steuern entsprechend gegen. Insgesamt scheinen die Komplikationen bei Covid-19 etwas häufiger zu sein als bei anderen Intensivpatienten. Ärzte berichten auch von ungewöhnlichen Gerinnseln in den Kapillaren, den allerfeinsten Blutgefäßen. Eine mögliche Erklärung: Das neue Coronavirus kann nicht nur an Lungenzellen andocken, sondern auch an die sogenannten Endothelzellen: die sitzen in den Gefäßwänden.
Erhöhte Thromboseneigung bei Vorerkrankungen
Auf diesem Weg könnten SarsCov2-Viren möglicherweise auch Blutgefäße befallen und so Thrombosen auslösen. Oder liegt es an den Vorerkrankungen? Covid-19 Patienten sind überdurchschnittlich häufig übergewichtig, haben zu hohen Blutdruck oder Diabetes – auch damit lässt sich eine erhöhte Thromboseneigung erklären.
New Yorker Studie zu Blutverdünnern entspricht nicht strengen wissenschaftlichen Standards
Was aber heißt das jetzt konkret für die klinische Praxis? Eine beim Journal of the American College of Cardiology eingereichte Studie hat eine Antwort versucht. Das Ergebnis ist aber unbefriedigend: In einer New Yorker Klinik zeigte sich bei mehr als 2700 Patienten kein besserer Behandlungserfolg, wenn die Kranken Blutverdünner bekommen hatten. Nur in einer kleinen Untergruppe war ein scheinbarer Vorteil zu beobachten: Bei den beatmeten Coronakranken überlebten mit Blutverdünnern etwa doppelt so viele wie ohne.
Das klingt dramatisch, aber unabhängige Experten sehen die Ergebnisse kritisch. Es sind reine Beobachtungsdaten, die noch unveröffentlichte Studie entspricht nicht strengen wissenschaftlichen Standards. Vor allem ist völlig unklar, welche Kranken Blutverdünner bekamen und welche nicht. Denkbar ist etwa, dass besonders gebrechliche Patienten aus Angst vor Komplikationen keine Blutverdünner erhielten – bei ihnen wäre das Sterberisiko aber von vornherein stark erhöht, das hätte die Ergebnisse verfälscht.
Weitere Studien zur Thromboseprophylaxe müssen folgen
Die New Yorker Mediziner fordern daher selbst weitere Testreihen, um endlich die wichtigsten Fragen klären: Sollte man auch leicht Erkrankten vorbeugend hochdosierte Blutverdünner geben? Oder könnte das zu gefährlichen Blutungen führen? Wie aggressiv muss die Thromboseprophylaxe in schweren Fällen sein? Das alles müssen jetzt weitere Studien zeigen – diesmal hoffentlich endlich nach strengen wissenschaftlichen Standards.