Jede(r) Einzelne von uns ahnt es und der Sozialpsychologe Prof. Ulrich Wagner spricht es aus: Die Corona-Situation mitsamt ihrer Regeln wird anstrengend für uns. Zu allem Überfluss steigen trotz der Einschränkungen „die Zahlen“: Neuinfektionen, 7-Tage-Inzidenz, die Anzahl der Wellen – welche genau, darauf kommt es kaum an, um dieses tückische Gefühl zu schüren: Das bringt irgendwie alles nichts. Für die Überzeugung, dass egal, was wir tun, es nichts ändern würde, gibt es ein Fachwort: Der Psychologe Wagner von der Universität Marburg sagt, wir reagieren mit „gelernter Hilflosigkeit“.
In dieser gelernten Hilflosigkeit wird es müßig, Regeln einzuhalten. „Einige Menschen gleiten vor dem Hintergrund einer solchen Gefühlslage tatsächlich ab in Depressionen und lassen dann so alles laufen“, sagt Wagner. Andere würden extra das Gegenteil machen, der Psychologe spricht von Reaktanz.
Die Bereitschaft, zu verzichten, sinkt
Die Menschen treffen sich in größeren Gruppen als erlaubt, umarmen sich, gehen lax mit Masken und Handdesinfektion um. Es gibt eine Studie, aus der hervorgeht, dass dieses kontraproduktive Verhalten zunimmt: Die Cosmo-Studie an der Universität Erfurt untersucht die Wahrnehmung der Corona-Pandemie in der Bevölkerung. Im Vergleich zum ersten Lockdown gibt es in den Worten von Psychologieprofessorin Cornelia Betsch „einen deutlichen Unterschied“: Zurzeit würden weniger Menschen freiwillig auf bestimmtes Verhalten verzichten als im ersten Lockdown.
Generell beeinflusst die Beziehungskultur eines Landes das Infektionsgeschehen. Wo die Menschen besonders offen sind für neue Freundschaften und viele Kontakte pflegen, verbreiten sich Viren schneller.
Von den Regeln überzeugt sein
Verstöße zu bestrafen, kann da nur teilweise zur Motivation der Menschen beitragen. „Das ist extrinsische Motivation: Wir verhalten uns auf eine bestimmte Art und Weise, weil wir befürchten, sonst sanktioniert zu werden“, erklärt Ulrich Wagner. „Eigentlich funktionieren Gesellschaften nur dann, wenn wir alle von den Regeln, die wir haben, tatsächlich überzeugt sind, also intrinsisch motiviert sind.“
Politische Kommunikation ist Stellschraube bei der Motivation
Die Pandemiemüdigkeit nimmt zu. Es seien Misserfolge wie bei der Corona-App und „merkwürdige“ Debatten wie um den AstraZeneca-Impfstoff, die die Politik und ihre Kommunikation wenig überzeugend machen würden. Dabei würde es laut Wagner helfen, wenn wir von der Kompetenz derjenigen überzeugt seien, die uns die Regeln vermitteln – und nicht den Eindruck hätten, sie wollten ihre Wahlchancen verbessern. „Ich unterstelle jetzt der Politik nicht, dass sie alle diesen negativen Motiven folgen. Aber so kommt die Kommunikation der Politik aus Berlin und aus den Bundesländern leider im Moment in der Bevölkerung an.“
Gefühl, in der eigenen Stadt etwas bewirken zu können
Die von mehreren Seiten vorgetragene Idee, Lockerungen mit einem Wettstreit zwischen Städten zu verbinden, findet Wagner gut. Weniger wegen des Wettstreits als vielmehr wegen der lokalen Komponente, dass also die Einschränkungen an lokalen Inzidenzwerten festgemacht wären: „Dann habe ich nämlich als Bürger der Gemeinde den Eindruck, durch mein Verhalten kann ich tatsächlich das, was in meiner Umgebung geschieht, beeinflussen.“ Das würde uns stärken und uns den Eindruck geben, wieder mehr Kontrolle über die Situation zu haben. Mehr Kontrolle, weniger gelernte Hilflosigkeit.
Ulrich Wagner kennt das Argument des „Shopping-Tourismus“; dass Menschen aus einem Bezirk mit geschlossenen Geschäften einfach in einem Bezirk einkauften, wo die Geschäfte wieder geöffnet sind. Aber spätestens bei Schulöffnungen gelte das nicht mehr: