Früherkennung von Brustkrebs hat nicht nur einen Nutzen für Frauen, sondern birgt auch das Risiko von Überdiagnosen und unnötigen Therapien.

Medizin

Brustkrebs: Mehr Überdiagnosen durch ausgeweitete Früherkennung?

Stand
Autor/in
Frank Wittig
Frank Wittig, Reporter für SWR Wissen aktuell
Onlinefassung
Martina Janning

Die Früherkennung von Brustkrebs kann Leben zu retten. Aber sie birgt auch die Gefahr von Überdiagnosen. Gewebeveränderungen werden als gefährlich eingestuft, obwohl sie es eigentlich nicht sind. Die Folgen sind: oft unnötige Therapien.

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Ab dem 1. Juli 2024 wird die Brustkrebsfrüherkennung ausgeweitet. Bisher war das von 50 bis 69 Jahren eine Kassenleistung. Ab Juli sollen Frauen bis zum 75. Lebensjahr alle zwei Jahre zum Früherkennungsprogramm eingeladen werden. Doch das Mamma-Screening steht schon seit langem in der Kritik. Denn Früherkennung hat nicht nur Nutzen, sie schadet auch.

Nicht jeder Krebs ist gefährlich

Schaden durch Brustkrebsfrüherkennung? Was sich im ersten Moment wie Unsinn anhört, ist leider ein gravierendes, allgemeines Problem der Früherkennungsmedizin. Früherkennung führt immer auch zu Überdiagnosen.

Das heißt: Es werden Gewebeveränderungen erkannt und behandelt, die gar nicht gefährlich geworden wären. Es gebe Krebsformen, insbesondere bei Brustkrebs, die sich sehr, sehr langsam entwickelten und nie zum Tod führten, erläutert Jörg Heil vom Brustkrebszentrum in Heidelberg. "Und deshalb ist Krebs nicht gleichbedeutend mit Tod. Und deshalb ist nicht jede Therapie hilfreich, um den Tod zu verhindern."

Früherkennung bei Brustkrebs: Chancen gegen Risiken abwägen

Es stellt sich die Frage, wie hoch ist das Risiko, Opfer einer Überdiagnose und damit sinnloserweise zur Krebspatientin zu werden. Und, wie hoch ist im Gegensatz dazu die Chance, durch die Früherkennung vor dem Tod durch Brustkrebs bewahrt zu werden?

Um das herauszufinden, wurden immer wieder Studien durchgeführt. Die einen Frauen gingen regelmäßig zur Früherkennung, die anderen taten das nicht. Stefan Sauerland, der im Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen die Abteilung für nichtmedikamentöse Verfahren leitet, kennt die Zahlen aus diesen Studien. Sie beziehen sich typischerweise auf einen Zeitraum von zehn Jahren.

Alle zwei Jahre werden Frauen zwischen 50 und 75 Jahre zum Mammografie-Screening eingeladen. Sinn der Untersuchung ist die Früherkennung auf Brustkrebs.
Alle zwei Jahre werden Frauen zwischen 50 und 75 Jahre zum Mammografie-Screening eingeladen. Sinn der Untersuchung ist die Früherkennung auf Brustkrebs.

Vorteile der Früherkennung

Eine gängige Faustregel laute, "eine Frau auf tausend Frauen kann vor einem Brustkrebstod bewahrt werden", sagt Jörg Heil vom Brustkrebszentrum in Heidelberg. "Das wirkt erst einmal wenig. Natürlich muss man das auf die Bevölkerungszahlen hochrechnen, dann kommen da schon ein paar tausend raus."

Natürlich ginge es nicht nur darum, den Tod durch Brustkrebs zu verhindern, sagt Heil. Wenn ein Mammakarzinom in einem früheren Stadium erkannt wird, bedeute dies: "Es hat seltener Lymphknotenmetastasen und seltener zum Zeitpunkt der Diagnose Fernmetastasen. Und das führt unweigerlich zu besseren Heilungschancen und auch zu einer weniger radikalen Therapie.“

Nachteile der Früherkennung

Aber wie steht es mit den Überdiagnosen, die Frauen zu Krebspatientinnen machen, die in ihrem Leben nie Probleme mit ihrer Gewebeveränderung bekommen hätten? Es sind fünf von Tausend. Also macht die Früherkennung fünfmal mehr Frauen unnötig zu Krebspatientinnen, als sie tatsächlich rettet.

Ein echtes Dilemma, denn natürlich lässt sich bei der Früherkennung in vielen Fällen nicht sicher ermitteln, welche Gewebeveränderung einmal zu einem Problem wird und welche nicht.

Den betroffenen Frauen bleibt nur die Risikoabwägung. Entweder sie gehen zur Früherkennung und akzeptieren ein um fünf Promille höheres Risiko durch eine Überdiagnose unnötig zur Krebspatientin zu werden oder sie gehen nicht zur Früherkennung und haben dann ein um ein Promille höheres Risiko für den Brustkrebstod. Eine schwierige Entscheidung, über die selten deutlich gesprochen wird.

Wenn bei der Früherkennung eine Gewebeveränderung entdeckt wird, die auf Brustkrebs zurückzuführen sein könnte, folgen weitere Untersuchungen nötig. Für die betroffenen Frauen ist dies eine sehr belastende Situation.
Wenn bei der Früherkennung eine Gewebeveränderung entdeckt wird, die auf Brustkrebs zurückzuführen sein könnte, folgen weitere Untersuchungen nötig. Für die betroffenen Frauen ist dies eine sehr belastende Situation.

Hohe psychische Belastung durch Überdiagnosen

Ein weiterer Schaden durch das Screening kommt hinzu: Von 1.000 Frauen, die zehn Jahre zur Früherkennung gehen, erhalten 100 einen sogenannten abklärungsbedürftigen Befund. Weitere Untersuchungen sind dann nötig. Eine psychisch außergewöhnlich belastende Situation für die Betroffenen.

Und noch ein anderes Ergebnis der Studien schürt Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Brustkrebsfrüherkennung: Was die allgemeine Krebssterblichkeit anbelangt, konnte kein Unterschied gezeigt werden zwischen den Frauen, die zur Früherkennung gingen und denen, die das nicht taten.

Doch es gibt eine Gruppe, die profitiert deutlich mehr von der Früherkennung. Dieser Gruppe wird deshalb dringend empfohlen, am Mamma-Screening teilzunehmen: Frauen mit einer Krebsgeschichte in der Familie.   

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