Mental Health

Psychische Erkrankungen: Zu wenig Unterstützung für Studierende

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Autor/in
Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell.
Onlinefassung
Lena Schmidt

Immer mehr Studierende haben mit psychischer Belastung zu kämpfen. Doch die Hochschulen und Unis sind darauf nicht ausreichend vorbereitet. Das Deutsche Studierendenwerk fordert mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote.

Die Zahl der Studierenden mit psychischen Einschränkungen und Erkrankungen ist von 2016 bis 2021 um 12 Prozentpunkte angewachsen, von 53 Prozent auf 65 Prozent. Dazu kommt noch die hohe Dunkelziffer an Studierenden, die Unterstützung brauchen.

Das deutsche Hochschulsystem ist jedoch nicht ausreichend auf die wachsende Zahl von Studierenden mit psychischen Erkrankungen vorbereitet, sagt die Präsidentin des deutschen Studierendenwerkes (DSW), Beate Schücking. Es gebe viel zu wenig Beratungs- und Unterstützungsangebote für die Studierenden.

Das DSW berichtet: Die psychologischen Beratungsstellen der Studierendenwerke werden auch nach dem offiziellen Ende der Pandemie förmlich überrannt.

Unterstützung suchen kostet Überwindung

Es liegt nicht nur an fehlenden Plätzen, dass Studierende mit psychischer Bealstung keine Beratung in Anspruch nehmen. 

70 Prozent der Studis mit psychischen Problemen hat Beratungsbedarf zu Lern- und Leistungsproblemen oder Prüfungsangst, aber nur gut jeder dritte hat Beratung dazu bisher in Anspruch genommen.

Viele Studierende wissen nicht, wohin sie sich für Beratung und Hilfe wenden können, andere dagegen haben Hemmungen eine psychische Krise offen anzusprechen. Das bestätigt auch die Bildungswissenschaften-Studentin Victoria Engels von der Universität Heidelberg.

Das Bild zeigt einen Studenten, der über seinen Lernsachen den Kopf hängen lässt. Symbolbild.
Nicht alle Studierenden reden offen über ihre mentale Gesundheit. Es kostet teils viel Überwindung, sich Hilfe zu suchen.

Deutsches Studierendenwerk fordert mehr Mental Health-Angebote

Man brauche relativ lange, so Engels, bis man sich überwinde, sich an die psychosoziale Beratungsstelle zu wenden - und dann sei das Kind meistens schon halb in den Brunnen gefallen. "Und dann kriegt man eine Nachricht: Ja, vielen Dank für Ihre Mitteilung in sechs bis 12 Wochen können wir uns bei Ihnen für einen Termin melden", berichtet die Studentin. Sie hält die langen Wartezeiten für problematisch.

Auf einer Fachtagung in Berlin tauschten sich im November 170 Teilnehmende aus Politik, Hochschulen, Ministerien, Studierendenwerken und Verbänden über die aktuellen Herausforderungen aus. Es braucht mehr Menschen, die sich um die psychische Gesundheit der Studierenden kümmern, auch um Krisen aufzufangen und nicht größer werden zu lassen. Das fordert auch DSW-Präsidentin Schücking. Die vorhandenen Angebote müssten deutlich ausgebaut werden.

Doziernde für psychische Erkrankungen sensibilisieren

Doch auch die Hochschulen selbst müssen ihre Kultur überdenken und besser auf psychisch belastete Studierende eingehen.

Victoria Engels engagiert sich auch in der Studierendenvertretung und berichtet, dass Lehrende oft nicht wissen, wie sie mit Studierenden in einer psychischen Krise umgehen sollen. Da gebe es oft eher ablehnende Reaktionen. Es heiße dann beispielsweise: 'Wenn Sie psychisch krank sind, können Sie nicht studieren oder da kann ich Ihnen jetzt auch nicht weiterhelfen'.

In Vorlesungen und Seminaren werde immer noch häufig Konkurrenzverhalten geschürt, statt einen positiven Zusammenhalt zu fördern. Gerade in den ersten Semestern höre man oft: 'Gucken Sie mal nach Rechts/Links. Gucken Sie mal, wer von Ihnen übrig bleiben wird'.

Das Bild zeigt eine Dozentin und einen Studenten im Gespräch. Symbolbild.
Manche Dozierende reagieren überfordert auf die Probleme Studierender. Sie finden dann nicht die richtigen Worte und können nicht an hilfreiche Stellen vermitteln.

Den Studierenden Mut machen

Dabei sei laut Victoria Engels es doch viel besser zu sagen:

Hören Sie zu: erstes Semester ist hart, wir sind hier an der Hochschule, das geht Ihnen allen so, aber es gibt Möglichkeiten, wie Sie das durchhalten können.

In Zuge dessen könnten die Erstsemester direkt auf Unterstützungsangebote und andere Aktivitäten aufmerksam gemacht werden. Zum Beispiel Sportkurse. "Man kann ja auch präventiv drangehen und nicht erst, wenn es zu spät ist", sagt Engels.

Neben der Sensibilisierung von Lehrenden können die Hochschulen die Situation auch verbessern, indem sie zum Beispiel weniger Prüfungen verlangen. Denn mit der Prüfungsdichte hat etwa die Hälfte aller psychisch belasteten Studierenden Probleme - so das Ergebnis der jüngsten Befragung.

Das Bild zeigt Studierende im großen Hörsaal am Tag der Erstsemesterbegrüßung zum Wintersemester 2023 2024 an der Uni Köln. Symbolbild.
Ein Vorschlag des DSW: In Vorlesungen über Unterstützungsangebote und Prävention aufklären.

Wissenschaftsrat empfiehlt weniger Prüfungen

Hier kann zum Beispiel die Möglichkeit, in Teilzeit zu studieren, helfen. Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat sich deshalb für mehr Teilzeit-Studiengänge ausgesprochen, wie HRK-Generalsekretär Jens-Peter Gaul berichtet. Das sei eine Reaktion auf die Veränderung in der Studierendenschaft: Auf die steigende Zahl an psychischen Belastungen, an Careaufgaben, einer höheren Diversität.

Die Prüfungen selbst stehen ebenfalls auf dem Prüfstand. Der Wissenschaftsrat hat empfohlen, dass es insgesamt weniger Prüfungen geben sollte und diese stärker auf die Kompetenzen ausgerichtet werden sollen. Das soll den immer unterschiedlicher werdenden Lebenssituationen der Studierenden gerecht werden. Ein dringend notwendiger Schritt, findet die Präsidentin des Studierendenwerks Schücking:

Dass ein Studium abgebrochen oder auf einen Master verzichtet wird, weil es an der Vereinbarkeit von Studium und psychischer Beeinträchtigung fehlt, können und dürfen wir uns nicht leisten. Die Gesellschaft braucht die Fachkräfte von morgen - wir alle sind gefordert, entschlossen für eine bessere Vereinbarkeit von Studium und psychischer Erkrankung zu sorgen. 

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