"Für mich ist Tetris eines der prototypischen Games, die mit ihrem Design ein ganzes Genre geprägt haben", sagt Andreas Rauscher, Professor für Medientheorie. Also im Fall von Tetris die Puzzle-Spiele, bei denen die herabfallenden Objekte genau so angeordnet werden müssen, dass fertige Reihen abgebaut werden. Das ist ein Prinzip, was ebenso simpel und intuitiv wie auch genial und herausfordernd ist.
Tetris wurde in Moskau entwickelt
Tetris wurde 1984 an der sowjetischen Akademie der Wissenschaften in Moskau entwickelt, von dem jungen Informatiker Alexei Paschitnow. Anfangs lief es nur auf den Kühlschrank-großen Elektronik-60-Rechnern, die weder Farben noch Musik ausgeben konnten. Aber für Tetris reichten eckige Klammern und andere Schreibzeichen - und etwas Gepiepe.
In einem Interview mit der Zeitschrift Wired berichtete Paschitnow Anfang der 1990-er Jahre:
"Es ist kaum zu glauben, aber ich konnte den Prototypen nicht fertigstellen, den Code nicht fertig schreiben. Denn die Leute [im Labor] spielten immer weiter und weiter. Mein bester Freund sagte, er könne ohne Tetris nicht mehr leben."
Schon diese frühen Reaktionen machten deutlich, dass Tetris mehr ist als seichte Daddelei. Denn es waren nicht Kinder - bis dahin das Hauptpublikum für digitale Spiele - sondern Wissenschaftler, die die Finger nicht mehr vom Spiel mit den fallenden Blöcken lassen konnten.
Weltweiter Siegeszug des Computerspiels
Es dauerte zwar noch ein paar Jahre, bis sich westliche Firmen die verschiedenen Lizenzrechte für Tetris sichern konnten, aber der globale Siegeszug des Spiels war unumgänglich.
Allein mit dem Nintendo Game Boy wurde das Computerspiel Tetris über 30 Millionen Mal verkauft, verteilt über alle Plattformen mehr als 500 Millionen Mal.
Bald erlebten Menschen weltweit, wie sie nach einer langen Tetris-Session von fallenden Blöcken träumten oder unterbewusst suchten, welche Formen in ihrer Umgebung ideal zusammenpassen könnten. Wissenschaftler haben dieses Phänomen später "Tetris Effekt" genannt. Aber Nintendo warb schon 1988 damit: "Wenn plötzlich, wie aus dem Nichts, vor deinen Augen Formen erscheinen, wenn die ganze Welt sich transformiert… wurdest Du tetrisiert! [..] Es wird Dich verzaubern. Tetris fordert Deinen Geist heraus und bringt Deine Vorstellungskraft an ihre Grenzen."
Das Spiel kann man ausschalten, aber oft nicht den eigenen Kopf, der immer weiter spielt - das erleben viele, die Tetris spielen, damals wie heute. Im Apple-TV-Spielfilm "Tetris" wird dieses Phänomen schön beschrieben: "Ich habe Tetris nur für fünf Minuten gespielt, ja? Und sehe seitdem in meinen Träumen fallende Blöcke. Tetris macht nicht nur abhängig. Es brennt sich bei dir ein. Es ist Poesie, Kunst und Mathearbeit in magischer Synchronität. Es ist… das perfekte Spiel."
Tetris trainiert das Gehirn
Die auffällig fesselnde Qualität von Tetris wurde schon Anfang der 1990-er Jahre von Neurologen untersucht. Tatsächlich trainiert Tetris das Gehirn, und zwar messbar: Der Energieverbrauch der grauen Substanz wird durch langfristiges Spielen deutlich gesenkt - das Gehirn arbeitet also effizienter.
Moralwächter hingegen erkannten die Gefahr der kollektiven, digitalen Spielsucht. Über diese Vermutung lachte Entwickler Alexei Paschitnow schon früh und meinte im Wired-Interview: "Viele sagen, dass Tetris süchtig macht. Aber ich finde, dass es eher Musik gleicht. Für mich ist Tetris wie ein gutes Lied, ein Ohrwurm, den Du in Deinem Innern nicht aufhören kannst zu singen."
Mit Tetris gegen Süchte und Traumata
Ironischerweise kann Tetris sogar zur Suchtbekämpfung eingesetzt werden, denn es reduziert das Verlangen nach den suchtbehafteten Substanzen oder Verhaltensweisen.
Seit ein paar Jahren wird Tetris begleitend auch zur therapeutischen Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt. In einem Youtube-Video dazu erklärt die medizinische Fakultät an der Universität von British Columbia: "Tetris zu spielen kann die Art und Weise verändern, nach der das Gehirn traumatische Erinnerungen abspeichert, so dass die negativen Gefühle getrennt von der eigentlichen Erinnerung gespeichert werden."
Im Flow-Zustand dank Tetris
Tetris fasziniert nicht nur, weil es ein ziemlich perfekt designtes Spiel ist. Sondern es fasziniert auch, weil es tiefe Blicke in emotionale und kognitive Prozesse unseres Gehirns zulässt.
Ein Zustand, in den Tetris uns so schnell wie wenige andere Tätigkeiten versetzen kann, ist der des "Flow", in dem unser Geist ruhig vor sich hinfließt. Das sei eine Art Zwischenzustand, erklärt Medienforscher Andreas Rauscher. "Einerseits darf die Herausforderung nicht zu leicht sein, weil sonst fühlt man sich gelangweilt. Und andererseits darf es nicht zu schwer sein, weil dann fühlt man sich frustriert."
Tetris sei einerseits gut zugänglich und es habe, auch wenn es schwieriger wird, nicht so einen "hohen Frustfaktor, dass man jetzt ein Hardcore Gamer sein müsste, um das zu spielen", sagt Andreas Rauscher.
40 Jahre Tetris - und kein Ende
Es macht Tetris ziemlich einzigartig, dass es von fast jeder Person bedient werden kann und nach 40 Jahren noch immer gespielt und neu interpretiert wird. Vielleicht ist es tatsächlich das archetypische Game und wird uns als dieses noch lange begleiten.