Triggerwarnungen sind mittlerweile fester Bestandteil von Podcasts, Videos oder Instagram-Posts, in denen Gewalt thematisiert wird. Userinnen und User sollen so vor belastenden Inhalten geschützt werden. Wie sinnvoll ist das?
Helfen Triggerwarnungen Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, wirklich?
Das Wort "Triggern" wird umgangssprachlich oft gleichbedeutend verwendet mit "es nervt". Psychologisch ist das aber klarer definiert. Es bedeutet, dass traumatische Erfahrungen wieder wachgerufen werden.
Ich habe mir das von einem Traumaexperten erklären lassen. Dr. Christian Lüdke ist Kinder- und Jugendpsychotherapeut und behandelt seit vielen Jahren Verbrechensopfer, die Terroranschläge, Amokläufe oder Geiselnahmen miterlebt haben. Er sagt: Traumatisierte Menschen können an sogenannten Flashbacks leiden, bei denen sie sich plötzlich an das traumatische Ereignis erinnern und die Situation wieder durchleben. Diese Flashbacks werden durch unbewusste Reize ausgelöst. Diese Reize, die zum Auslöser für Flashbacks werden, nennt man Trigger.
Diese sind immer unbewusst. Sie sind nicht im Ereignis selbst gespeichert, sondern im Nervensystem. Kleine Reize können Trigger werden: Der Geruch eines bestimmten Parfums, ein Geräusch oder eine bestimmte Umgebung.
In vielen Fällen ist das also sehr individuell – so individuell, dass die Medien darauf letztlich keine Rücksicht nehmen können. Wir wissen ja nicht, welche Musik bei welchen Menschen einen Flashback triggert.
Aber natürlich gibt es auch Fälle, in denen der Auslöser sehr viel Ähnlichkeiten hat mit der traumatisierten Erfahrung. Etwa wenn ein Vergewaltigungsopfer eine Vergewaltigung in einem Film sieht – deshalb liegt der Gedanke nahe zu sagen: Diese Menschen schützt man, wenn man vorher darauf hinweist, dass sie in einem Film mit Beschreibungen einer Vergewaltigung konfrontiert werden und ihnen so die Gelegenheit gibt, auszuschalten.
Schützen Triggerwarnungen davor, dass Menschen die traumatischen Situationen innerlich wieder durchleben müssen?
Das Problem ist: Eine Triggerwarnung kann auch das Gegenteil auslösen. Christian Lüdke hat mir erklärt, dass bei Triggerwarnungen ein Nocebo Effekt entstehen kann. Das ist wie bei einer Placebo-Pille, nur umgekehrt. Bei Placebo denken wir, etwas hilft – und dann hilft es auch. Bei einer Triggerwarnung kann es passieren, dass ich Angst bekomme, weil mir die Warnung ankündigt, dass ich Angst bekommen könnte. Die Triggerwarnung weckt eine negative Erwartung, die zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird.
Gerade Wörter wie "Achtung" oder "Warnung" können selbst Ängste auslösen. Christian Lüdke rät deswegen, eine Triggerwarnung möglichst wegzulassen und dafür den Titel präzise zu formulieren. Beispiel: Es gibt im Podcast SWR2 Wissen eine Folge über "Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe". Hier ist der Titel schon so aussagekräftig, dass eine zusätzliche Triggerwarnung nicht nötig gewesen wäre. Wer diese Folge anklickt, ist sich bewusst, was kommen kann.
Auch Triggerwarnungen bei Inhalten mit Spinnen oder Spritzen hält er für übertrieben. Solche Warnungen sollten nicht inflationär eingesetzt werden. Einen Hinweis braucht es nur, wenn der Inhalt überrascht. Der Hinweis sollte nicht als Warnung formuliert werden, sondern einfach neutral über den Inhalt informieren. Wörter wie "Achtung", "Warnung" oder "Angst" lässt man lieber weg. Zum Beispiel: "Hinweis, in dieser Sendung geht es um …“
Bestärken funktioniert besser als warnen
Menschen funktionieren laut dem Psychotherapeuten Christian Lüdke eher durch positive Erwartungen als durch Warnungen. Es ist psychologisch gesehen wirksamer zu bestärken, als zu warnen. Deswegen ist ein Hinweis sinnvoll. Ein Beispiel hierfür ist die Triggerwarnung, die beim Podcast "Ein Mensch verschwindet – Daniel Küblböck" eingesetzt wird. Dort heißt es:
"Bevor wir beginnen, möchte ich euch auf Folgendes hinweisen: Es werden in dieser und anderen Folgen Suizid, psychische Erkrankungen, Homophobie, Gewalt und Transfeindlichkeit thematisiert. Falls ihr auf diese Themen sensibel reagiert, hört den Podcast vielleicht lieber mit einer vertrauten Person, mit der ihr die Folgen auch unterbrechen könnt, um euch über das Gehörte zu unterhalten."
Dieser Hinweis regt dazu an, nicht direkt abzuschalten, sondern ermutigt den Hörenden, eine Situation zu schaffen, in der er die Sendung hören kann.
Hirnforschung Was passiert, wenn man sein Gedächtnis verliert?
Es gibt verschiedene Gedächtnissysteme und wir haben mindestens vier davon. Was passiert bei einer Schädigung? Von Martin Korte
Entsteht ein "Stress-Gedächtnis", wenn man längerer Zeit Stress ausgesetzt ist?
Wir wissen, dass bestimmte Strukturen im Gehirn, die sogenannten Mandelkerne, ganz empfindlich darauf reagieren und das registrieren, was wir in den letzten Wochen, Monaten oder auch Jahren erlebt haben. Dass dort allerdings etwas eingespeichert wird, das auf einen Fingerzeig abgerufen werden kann, können wir so nicht nachweisen. Von Clemens Kirschbaum
Psychologie Wie viel Aberglaube steckt in Ritualen von Sportlern?
Da spielt eine Art von magischem Denken mit rein. Man könnte es Aberglauben nennen, aber ich mag den Begriff "magisches Denken" lieber. Darin steckt etwas sehr Kindliches: dass ich selbst der Mittelpunkt der Welt bin und alles mit meinem Verhalten beeinflusse. Und wenn ich morgens beim Bäcker nicht mein Rosinenbrötchen mit dem Schokoguss gekriegt habe, weil das gerade aus war, dann ist vollkommen klar, dass am Nachmittag im Stadion meine Mannschaft nicht gewinnen kann. Von Dagmar Hänel
Mehr zu Traumata
Psychologie Traumatisiert – Die Psyche im Ausnahmezustand
Traumatische Erlebnisse können sich massiv auf Seele und Körper auswirken. Wissenschaftler erforschen unter anderem, wie sich traumatisierte Kinder entwickeln.
Erinnern
Gedächtnis Wie zuverlässig sind Erinnerungen?
Wir erinnern die Dinge so, wie wir sie das letzte Mal erzählt haben, denn immer, wenn wir neu erzählen, wird wieder neu abgespeichert. Von Martin Korte
Hirnforschung Wie entsteht ein Déjà-vu-Erlebnis?
Etwas wiederzuerkennen besteht aus drei Schritten: Wir erleben (sehen, hören, riechen …) etwas. Parallel ruft unser Gehirn Erinnerungen aus der Vergangenheit ab und gleicht die neuen Eindrücke mit den alten Erinnerungen ab. Und wenn es Übereinstimmungen gibt, kommt das das Signal: "Kenne ich schon!" Man könnte nun ein Déjà-vu so erklären, dass sich dieser letzte Schritt gelegentlich verselbständigt. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0
Hirnforschung Was passiert bei einem Blackout im Gehirn und was kann man dagegen tun?
Einen Blackout hat man häufig in Situationen, die man als stressbehaftet erlebt. Dabei werden enorme Mengen von Glukokortikoiden, dazu gehört zum Beispiel das Kortisol, ausgeschüttet. So wird dem Gehirn und der Muskulatur viel Energie zur Verfügung gestellt. Daneben wirkt es aber auch aufs Gehirn, unter anderem auf den Hippocampus. Der Hippocampus ist einer der Strukturen, die wir für das Abspeichern von Informationen brauchen, aber auch um Erinnerungen zum Leben zu erwecken. Von Martin Korte