Es gibt Themen, mit denen setzt man sich erst auseinander, wenn man selbst davon betroffen ist. Wer würde schon freiwillig ein Pflegeheim für Menschen mit Demenz besuchen, ohne dass hier ein Angehöriger lebt?
Stefan Sick hat dies für seinen Film „Das innere Leuchten“ getan und hat die Bewohner des Gradmann Hauses in Stuttgart über den Zeitraum eines Jahres mit der Kamera begleitet. Entstanden ist ein rein beobachtender Dokumentarfilm über den Alltag der dort lebenden Menschen, ohne Interviews oder Off-Kommentar. Der Film nimmt sich Zeit für den Augenblick, entdeckt gemeinsam mit seinen Protagonisten die Langsamkeit, Mühseligkeit und Verlässlichkeit der stets wiederkehrenden, Halt gebenden Rituale des Alltags. Traurigkeit, Heiterkeit und Nachdenklichkeit dürfen für sich sprechen.
Manfred Volz war früher Schreiner. Seine berufliche Vergangenheit spürt man deutlich, wenn man ihn geduldig dabei beobachtet, wie er die Arbeitsflächen der gemeinschaftlichen Küche des Wohnbereiches bearbeitet. Auf den ersten Blick hilft er einer Pflegerin beim Putzen, beim genaueren Hinschauen bemerkt man, dass es eher die gewohnten Handbewegungen seiner längst vergangen Schreinertätigkeit sind, die ihn antreiben. Er fällt vor allem durch seine Lebendigkeit, seine Lebensfreude und seine Liebe zu Musik und Tanz auf. So summt er den ganzen Tag vor sich hin, singt gerne, tanzt bei der Weihnachtsfeier Walzer oder einfach mal so zur Klaviermusik seines Sohnes, die dieser bei einem sonntäglichen Besuch anstimmt. Frei von Vergangenheit und Zukunft erwächst eine Möglichkeit, nur den Moment zu erleben. Trotz großer Einschränkungen kann der Alltag lebenswert sein, können Begegnungen und Momente entstehen, die von großer Menschlichkeit und Zuneigung geprägt sind. Der Film legt bewusst seinen Fokus auf diese positiven Situationen des Alltags, ohne hierbei die Schwere der Thematik Demenz auszusparen.
„Das innere Leuchten“ taucht in die Welt seiner Protagonisten ein und wagt einen poetischen Blick auf den besonderen Zustand der Demenz. Wenn Herr Volz beispielsweise nach dem Musizieren mit Sohn und Enkel erwähnt, dass es draußen ganz hell sei und man vielleicht hinaus müsse, dann folgt der Film dieser Aufforderung und nimmt seine Hauptfigur gleich mit auf eine sommerliche Wiese. Die Gedanken der Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen schweifen und man wird als Betrachter dazu eingeladen, ebenfalls in das Geschehen an diesem besonderen Ort einzutauchen.
Ein Film, der Mut machen und das Thema Demenz aus der Verdrängung herauslösen will.
„Das innere Leuchten“ feierte auf der Berlinale 2019 seine Weltpremiere, weitere Aufführungen gab es bei DOK.fest München, dokKa Karlsruhe, Shanghai International Film Festival und SWR Doku Festival in Stuttgart.
Sendung
Junger Dokumentarfilm „Das innere Leuchten“ am 7. November 2019, 23:15 Uhr im SWR Fernsehen