Warten kann mühsam sein. Und wir müssen es tatsächlich alle erst lernen: Kleine Kinder können es noch kaum. Die fragen bekanntlich auf dem Weg in den Urlaub schon nach ein paar Minuten: "Wann sind wir da?"
Marshmallow-Experiment: Kinder, die warten können, sind später erfolgreicher
Berühmt ist das "Marshmallow-Experiment" des US-amerikanischen Psychologen Walter Mischel, der ab Ende der 1960er-Jahre Kindern ein Marshmallow vorsetzte und sie dann einige Minuten mit der Süßigkeit allein ließ mit dem Versprechen, sie würden ein zweites bekommen, wenn sie das erste nicht vorher schon aufessen.
Längst nicht alle Kinder konnten so lange warten. Diejenigen, die es konnten, die also den sogenannten Belohnungsaufschub aushielten, erwiesen sich, zumindest gemäß Walter Mischels Beobachtungen, später im Leben als die erfolgreicheren.
Sind wir dabei, das Warten zu verlernen?
Der Frankfurter Journalist und Autor Timo Reuter nennt das Warten eine "verlernte Kunst". So der Untertitel des Buchs, das er über das "Warten" geschrieben hat – angestoßen von seinen Erlebnissen bei Reisen auf anderen Kontinenten, wo man regelmäßig Zeit mit Einheimischen an irgendwelchen Haltestellen verbringt.
Der Soziologe Andreas Göttlich, Professor an der Uni Konstanz, hat zum Thema "Warten" geforscht. Nach Göttlich hätten wir in der westlichen Moderne gelernt, die Zeit als Ressource zu begreifen, die man effizient nutzen müsse.
Und da sähe eben Warten sehr schnell als ungenutzte, schlecht genutzte Zeit aus, so Göttlich. Eine Art negative Zeit also, die man totschlagen muss.
Alles muss sofort passieren
Professor Peter Vorderer, Medienpsychologe an der Uni Mannheim, erforscht die Nutzung und Wirkung von Medien und auch die im Lauf der letzten Jahrzehnte rasant beschleunigte Taktung von Inhalten jeglicher Art.
Mit neuen und schnelleren kommunikativen Möglichkeiten wachsen auch die Erwartungen daran. Und oft zeigt sich dann, dass wir meist keine Zeit gewinnen dadurch, dass wir schneller geworden sind.
Tipps gegen toxisches Warten
Die Psychologin Kate Sweeny, Professorin an der University of California in Riverside, erforscht, wie wir mit Unsicherheit beim Warten umgehen. Dafür sieht sie sich Menschen in Wartesituationen an: beim Warten auf eine mögliche Krebsdiagnose, Klausuren-Ergebnisse und die Entscheidung nach dem Vorstellungsgespräch.
Toxisch sei, dass man einerseits nicht wisse, was kommt, und andererseits keinen Einfluss darauf nehmen könne, so die Psychologin. Und dann beginne man sich Sorgen zu machen. Kate Sweeny empfiehlt, sich in solch belastenden Wartesituationen mit etwas zu beschäftigen, was einen komplett in Anspruch nimmt und idealerweise in einen Flow-Zustand bringt – ein aktiveres Tun also, als sich nur mit dem Smartphone abzulenken. Auch Meditieren kann helfen. Oder man soll etwas betreiben, das Kate Sweeney präventive Nutzenfindung nennt. Dafür stellt man sich den schlimmsten Ausgang vor und versucht, trotzdem etwas Gutes darin zu finden.
Warten kann krank machen
Ohne Sicherheit beim Warten besteht die Gefahr, dass die unsichere Wartezeit krank macht. Das Risiko, eine Depression zu entwickeln, ist beispielsweise bei Menschen erhöht, die sich einer Kinderwunsch-Behandlung unterziehen und darauf warten müssen, ob die künstliche Befruchtung geklappt hat und ob sie vielleicht bei weiteren Versuchen klappen wird.
Wartezeichen und Wartezeiten sollen uns das Warten erleichtern
Auch mit dem ganz alltäglichen Warten kommen wir besser klar, wenn wir wissen, wie lange es dauern wird. Daher begegnen wir heute überall sogenannten "Wartezeichen" wie der roten Ampel, dem Ladebalken beim PC, die Durchsage am Bahnsteig, die uns sagt, wie lange wir noch auf den Zug warten müssen; im Fernsehen der Countdown nach dem Werbeblock, der die Sekunden bis zur nächsten Sendung herunterzählt. Alles kleine Hilfen für den modernen Menschen der Gegenwart mit seinem besonders kurzen Geduldsfaden.
Es steckt auch ein emotionaler Trick hinter der Angabe von Wartezeiten. Wir freuen uns nämlich, wenn der Zug, die Lieferung oder das Gepäck pünktlich kommt oder sogar noch früher, obwohl diese "Pünktlichkeit" überhaupt erst durch die Zeitanzeige entsteht. Und wir erinnern uns dadurch positiver an diese Wartezeit, selbst wenn sie unangemessen lang gedauert haben sollte.
Wartenlassen bedeutet Macht
Für die Soziologie sei das Thema Warten vor allem wegen des Macht-Aspekts interessant und deswegen überhaupt zum Forschungsgegenstand geworden, sagt Andreas Göttlich. Macht lasse sich verfestigen oder zumindest demonstrieren, indem man andere warten ließe. Überall dort, wo eine Hierarchie besteht. Diese Erfahrung hat auch Timo Reuter gemacht:
Warten als Schicksal. Als Ausdruck von Machtlosigkeit. Als Zumutung für die Unterprivilegierten. Vielleicht – denn wie jede Emotion bringt manchmal auch die Ungeduld Großes hervor – die Revolte im Großen, Politischen und den Widerspruch, im Kleinen, Privaten.