Das "erste Mal" mit 17
Es gab noch nie so viele Informationen über Sex wie heute, mit einem Klick am Computer kann jede Person jederzeit daten und sich explizit zum Sex verabreden. Und in den sozialen Medien versprechen Fotos und Videos von schönen Körpern erotische Erlebnisse und tolle Partnerschaften.
Aktuelle Studien zeigen jedoch auch, dass die meisten jungen Menschen zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden können. Außerdem fällt auf, dass die Zahlen zum "ersten Mal" bei Jugendlichen leicht zurückgehen: Die meisten machen heute mit etwa 17 Jahren ihre ersten sexuellen Erfahrungen, also später als noch vor zehn Jahren. Damals waren etwas mehr 14- bis 16-Jährige schon sexuell aktiv.
Was wollen Jugendliche wirklich über Sex wissen?
Die Sexualpädagogin Agi Malach vom Podcast „Frag mal Agi“ weiß aus Gesprächen mit vielen Jugendlichen, dass die Fragen immer wieder dieselben sind: "Ist das normal? Bin ich normal? Was möchte ich eigentlich? Was möchte ich nicht? Was finde ich gut? Was nicht?" Junge Menschen wissen heute viel mehr über sexuelle Praktiken, müssen aber lernen, mit dem neuen Druck an Informationen und mit den Bildern umzugehen.
Daraus kann eine Art Kompetenzangst entstehen, so der Sexualwissenschaftler Konrad Weller vom Merseburger Institut für Angewandte Sexualwissenschaften: "Kann ich meinem Gegenüber genügen? Werd ich das richtig machen?" Weller sagt aber auch, es gebe viele Befunde, die darauf hinweisen, dass Jugendliche heute gar nicht so sehr unter Leistungs- und Normendruck stehen wie vermutet.
Werden falsche Informationen zum Beispiel aus Pornos enttarnt, nimmt das den Jugendlichen den Druck, den sexuellen Akt nach vermeintlichen Standards performen zu müssen. Konrad Weller zitiert dazu Studienergebnisse aus Hamburg und Leipzig, die unter anderem zeigen, dass junge heterosexuelle Männer es gut und erregend finden, passiv zu sein und von Frauen aktiv verführt zu werden.
Was können Eltern tun?
Eltern berichten immer wieder, sie hätten das Gefühl, dass ihnen ihre Kinder auf der Suche nach Antworten im Internet entgleiten und sie gegen die starken und auch falschen Bilder dort kaum ankommen könnten. Die Hamburger Sexologin Ann-Marlene Henning weist auf Studien hin, die zeigen, dass gute Aufklärung und Schutz der Jugendlichen erst entstehen kann, wenn Eltern sich aktiv an der Aufklärung und Gesprächen über Sex beteiligen.
Konrad Weller rät zum Beispiel den Eltern, dass sie „Co-Viewing“ betreiben sollten. Sie sollten sich zeigen lassen, auf welchen Kanälen ihre Kinder welchen Menschen folgen. Denn sie bilden dabei ihre sogenannten „sexuellen Skripte“ aus, also ein eigenes Verständnis dafür, was Sexualität ist und was alles dazugehört. Diese Skripte verändern sich im Lauf des eigenen Lebens, aber auch innerhalb von Generationen. Heute, heißt es, seien junge Menschen durch ihre Alltagswelt und die Medien eher „over-scripted“. Das bedeutet, dass die Jugendlichen schon viele Dinge in der Theorie wissen, aber nicht die Erfahrung dazu haben.
Was ist heute anders?
One-Night-Stands. Sex ohne Liebe. Anonymer Sex. – Sexualwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler haben beobachtet, dass die Verbindung zwischen Lust und Beziehung brüchiger geworden ist. Manche sagen auch „dynamischer“.
Doch die meisten leben noch den „ganz normalen/durchschnittlichen Beziehungssex“, so Silvia Plahl, Expertin für Jugend- und Bildungsthemen und Autorin dieser Sendung. Und es gibt mehr serielle Monogamie, also den Wechsel zur nächsten Beziehung. Manche steigen auch erst im dritten Lebensjahrzehnt oder später in eine Paarbeziehung ein, so Plahl. Und vor allem Solo-Sex steht inzwischen relativ emanzipiert neben partnerschaftlichem Sex.
Solosex: bessere Erfahrungen machen, wenn man sich selber kennt
Die Sexologin Ann-Marlene Henning plädiert dafür, Solo-Sex weiterhin auch neben Sex mit anderen zu haben. Denn erst wenn man sich mit sich selbst auseinandersetzt, so könne man das auch mit einem Gegenüber. Es scheint, als könne man bessere Erfahrungen haben, wenn man sich selber gut kennt.
Was gefällt und was nicht, muss gut kommuniziert werden können. Dazu passt der Befund, dass sich alle beim Sex mittlerweile stärker an der anderen Person – männlich, weiblich oder nicht-binär – orientieren, so Silvia Plahl. Es wird mehr aufeinander geachtet und mehr aufeinander eingegangen. Und die nachwachsenden Generationen treiben diese Entwicklung voran.
SWR 2021 / 2022