Der Schutz der Weltmeere gehört zu den aktuell drängendsten Umweltproblemen. Der Kampf gegen Wasserverschmutzung, die Erwärmung und Versauerung der Meere und die zunehmende Sauerstoffknappheit in manchen Meereszonen sind große Herausforderungen. Doch wer über Klimaschutz spricht, muss auch über Mikroben reden.
Die Rolle der Mikroben
In Antje Boetius haben die kleinen Helfer eine leidenschaftliche Fürsprecherin: Wo sie kann, macht die renommierte Tiefseeforscherin und Leiterin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven auf die unschätzbare Bedeutung der Mikroben aufmerksam. Denn sie reinigen die Meere auch vom Dreck, den wir Menschen dort hinterlassen:
- ausgelaufenes Erdöl
- eingeleitetes Methan
- unendliche Mengen an Plastik.
- Mikroben produzieren außerdem Sauerstoff, den wir zum Leben benötigen.
Plastik bleibt nur zu einem Prozent an der Meeresoberfläche
Etwa zehn Millionen Tonnen Plastik landen jährlich in den Meeren, Tendenz steigend. 99 Prozent davon schwimmen im Meer, nur ein Prozent bleibt an der Oberfläche. Große Plastikteile bilden in allen Ozeanen riesige Strudel. Doch das Mikroplastik, das sind Teile, die kleiner sind als fünf Millimeter, schwimmt überall. Die Menge an Mikroplastik soll Schätzungen zufolge schon halb so groß sein wie die Menge an Plankton.
Wolfgang Streit leitet die Abteilung für Mikrobiologie und Biotechnologie an der Universität Hamburg. Sein Forschungsteam hat bereits Bakterien gefunden, die in der Lage sind eine bestimmte Art Plastik abzubauen, und zwar Polyethylenterephthalat. Die Bausteine, aus denen beispielsweise PET-Flaschen aufgebaut sind, bieten Nährstoffe für die Mikroorganismen.
Fressen oder Filtern von Mikroplastik durch Mikroben
Doch die bisher gefundenen Mikroorganismen fressen das Plastik viel zu langsam. Und für alle anderen wichtigen Kunststoffe – Polyethylen, Polyamide, Polyvinylchlorid Polypropylen, Polystyrol – gibt es bisher keine verfügbaren Organismen oder Enzyme, die die Polymere angehen.
Am besten verhindert man, dass das Plastik überhaupt in die Meere gelangt. Laut einer Studie der Weltnaturschutzunion IUCN werden 98 Prozent des in die Ozeane eingespülten Mikroplastiks an Land erzeugt. Mehr als ein Drittel der Partikel entsteht, wenn synthetische Textilien gewaschen werden. Ein weiteres knappes Drittel stammt vom Abrieb von Autoreifen.
Reiche Beute für Klärung von Mikroplastik durch Membrane
Es könnte in Kläranlagen abgebaut werden – durch Plastik zersetzende Mikroorganismen. Die Mikrobiologen um Wolfgang Streit haben die Idee entwickelt, Mikroben auf Membranen aufzubringen und diese als eine Art Netz ins Wasser zu legen oder den Klärschlamm damit anzureichern – denn besonders dort befindet sich das Mikroplastik. Reiche Beute wäre ihnen jetzt schon gewiss: In den deutschen Kläranlagen landen einer Fraunhofer-Studie zufolge jährlich etwa 1000 Tonnen Mikroplastik, die über Straßenabflüsse und Abwässer dorthin gelangen.
Doch die Suche geht weiter, schließlich verbergen sich unter der Meeresoberfläche unzählige mikrobielle Geheimnisse. Erst ein Prozent der existierenden Bakterien sind bekannt. Und die spielen häufig eine positive Rolle, weiß Antje Boetius.
Sie selbst hat Bakterien im Meeresschlamm nachgewiesen, die riesige Mengen des starken Treibhausgases Methan fressen und auf diese Weise davon abhalten in die Atmosphäre aufzusteigen.
Algen produzieren die Hälfte unseres Sauerstoffs
Die Hälfte des Sauerstoffs in unserer Atemluft stammt von Algen. Besonders fleißig ist das - selbst für Bakterienverhältnisse - winzige "Prochlorococcus marinus". Die grünlich schimmernde Cyanobakterie betreibt Photosynthese, lebt also vom Licht und erzeugt daraus organisches Material, das als Nahrung in tiefere Meeresregionen hinabfällt. Rund fünf Prozent allen Sauerstoffs, den wir atmen, erzeugt allein Prochlorococcus.
Die Ozeane sind auch ein wichtiger Puffer im Klimasystem, sie und die Mikroben in ihnen nehmen einen großen Anteil CO2 aus der Atmosphäre auf. Doch werden die Mengen immer größer, gut 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid sind es mittlerweile - pro Tag. Daher verringert sich der PH-Wert, die Ozeane werden immer saurer, die Mikroben-Gemeinschaften verändern sich – noch beschleunigt durch den Klimawandel und die sich erwärmenden Meere.
90 Prozent der gesamten Biomasse in den Ozeanen besteht aus Mikroben. Höchste Zeit, ihre zentrale Rolle beim Klimawandel zu beachten. Trotzdem sind ihre Arten und Effekte auf das Ökosystem Erde zu einem Großteil für uns Menschen bis heute immer noch unbekannt.
SWR 2019 / 2021