SWR2 Wissen: Aula

Deutschlands Protestkultur (1/2)

Stand
Interview
Armin Nassehi im Gespräch mit Ralf Caspary

Armin Nassehi im Gespräch mit Ralf Caspary

Tausende gehen regelmäßig auf die Straße, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Dabei gibt es bisher nie dagewesene Konstellationen: Verschwörungsideologen marschieren zusammen mit Rechtsradikalen, Impfgegner mit Hippies und Linken. Ist das eher Popkultur als Politik? Wie sah die Protestkultur früher aus?

Warum verbünden sich so heterogene Gruppierungen bei den Querdenker-Demos?

Es geht nur vordergründig um Corona und die Kritik an den Corona-Maßnahmen. Im Hintergrund dieser Demos steht die Kritik am Establishment, die Menschen sind unzufrieden mit der politischen Elite, das verbindet sie und eben nicht die Zugehörigkeit zu einer Partei oder einer bestimmten Gruppe.

Was braucht eine wirkungsvolle Protestbewegung?

Sie braucht wie bei den Fridays-for-Future-Protesten ein konkretes Thema, also den Kampf für ein besseres Klima. Und sie braucht eine gute symbolisch aufgeladene Strategie.

Bei den Klima-Protesten gehen die Jugendlichen eben nicht in die Schule und zeigen so ihr starkes Engagement und ihre Distanz zu der Elterngeneration, die ja den Kindern immer gesagt hat: "Geht zur Schule, das sichert eure Zukunft." Und sie braucht Symbolfiguren an vorderster Front, wie Greta.

Gehören Protestbewegungen zur modernen Gesellschaft?

Auf jeden Fall. Ohne eine kritische Öffentlichkeit gäbe es keine Proteste.

Und wenn man sagt, dass die Moderne durch viele Krisen gekennzeichnet ist, weil es immer wieder Umbrüche, Veränderungen, Fortschritt , dann wird deutlich, dass die Protestbewegungen notwendig zur Moderne gehören, sie entstehen, wenn Krisen auf nicht mehr zu lösende gesellschaftliche Probleme deuten. 

Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Von dieser Sendung ist kein Manuskript verfügbar.


(Teil 2, Sonntag, 6. Dezember, 8.30 Uhr)

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