Individuelle Entscheidungen bei der Nestsuche
Manche sehr kleine Ameisenkolonien leben in Eicheln. Angenommen, ein Reh tritt auf die Eichel und die Eichel ist kaputt. Dann muss eine neue Nistgelegenheit her. Bestimmte Arbeiterinnen schwärmen nun aus und suchen nach neuen Nistgelegenheiten. Wenn sie welche finden, kommen sie zurück und holen andere Ameisen hinzu, indem sie ihre Kollegen im Tandemlauf zu diesem Nest führen.
Das Interessante ist, dass diese Rekrutierung keine Überzeugungsarbeit darstellt, sondern die anderen Arbeiterinnen gucken sich die neue Eichel an und müssen individuell eine eigene Entscheidung treffen: Finde ich gut / Finde ich ich nicht so gut.
Wenn sie es gut finden, dann holen sie auch andere Tiere herbei. Und wenn ungefähr zehn bis 15 Prozent der Ameisen diese neue Eichel gut finden, dann beschließen sie, umzuziehen.
70 verschiedene Drüsen: Ameisen kommunizieren chemisch
Ameisen kommunizieren hauptsächlich auf chemische Weise. Untersuchungen zeigen, dass sie auf jeden Fall auch auf Vibrationen und auf Tasten reagieren. Die meisten Arten haben Augen, die sie außerhalb des Nestes nutzen. Gerade Wüstenameisen orientieren sich visuell. Da es aber innerhalb des Nestes dunkel ist und sie nichts sehen können, erfolgt die Kommunikation dort über chemische Prozesse.
Man hat bei Ameisen über 70 verschiedene Drüsen beschrieben, über die Botenstoffe abgegeben werden können, die teilweise komplexe Botschaften enthalten. Die Tiere können untereinander anzeigen, wo z. B. eine neue Nahrungsquelle ist.
Ein Genom – zwei mögliche "Modelle": Königin oder Arbeiterin
Ameisen sind auch deswegen so spannend, weil aus einem Ei eine Königin werden kann, die bis zu 40 Jahre lebt. Das ist extrem lang für ein so kleines Insekt.
Aus dem Ei kann aber auch eine Arbeiterin entstehen, die nur wenige Wochen bis Monate lebt. Also: In dem Genom sind zwei verschiedene Modelle.
Das ist so ähnlich, also würden Sie einen Lego-Kasten kaufen, mit dem Sie zwei: verschiedene Modelle bauen können: das Arbeiterinnen-Modell und das Königin-Modell.
Es ist spannend, dass Ameisen zwar dasselbe Genom haben, aber dennoch so unterschiedlich lange leben – je nachdem, ob sich das Ei in eine önigin oder eine Arbeiterin entwickelt.
(SWR 2020)
Professorin Susanne Foitzik lehrt und forscht beim Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie der Johnannes Gutenberg-Universität in Mainz