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Rainer Guldin – Philosophie des Windes. Versuch über das Unberechenbare

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Autor/in
Andrea Gnam

Rainer Guldin betrachtet ein seit der Aufklärung aus der Philosophie weitgehend ausgegrenztes Gebiet: Wind und Wetter.

Dem Wind ist schwierig beizukommen, er ist unbeständig, er befruchtet und zerstört. Guldin schildert den Wind in seiner Ambivalenz und analysiert die Metaphern, die man verwendete, um sich dem Windgeschehen anzunähern.

Wer bleibt für uns unsichtbar, und obwohl man ihn nicht anfassen kann, spürt und hört man ihn? Solchen Erscheinungen, denen wir in bildlichen Darstellungen des Windes begegnen, geht Rainer Guldin in seiner „Philosophie des Windes“ nach – anhand von klassischen Texten zu Wetterphänomenen von Aristoteles, Theophrast, Lukrez und anderen.

Er zieht antike und mittelalterliche Wind- und moderne Wetterkarten zu Rate, erklärt rätselhafte Kupferstiche der Neuzeit und folgt dem Wind auf den luftigen Pfaden postmoderner Theoriebildung, wie wir sie bei Vilém Flusser oder Michel Serres finden können.

Ambivalenz des Phänomens Wind

Über die Jahrhunderte hinweg von der Antike bis in die Neuzeit hinein erkennen wir mit Guldin das Bemühen, ordnende Systematiken zu entwickeln, um so etwas Immaterielles, wie den Wind einzufangen.

Der Wind hat erhebliche Auswirkungen auf die Welt, die uns umgibt. Er kann als Luftzug inspirierend und belebend sein, er kann für Energie und Fortbewegung nutzbar gemacht werden. Er tritt auf der anderen Seite aber auch als Sturm und Orkan auf: entfesselt, ungestüm, ja verheerend.

Diese Ambivalenz teilt der Wind nach mittelalterlicher Vorstellung mit den Engeln, die Heilverkünder oder Dämonen sein können und so sehen wir auf mittelalterlichen Windkarten an den Ecken auch Engel mit aufgeplusterten Backen abgebildet, die den Winden hilfreich blasend zur Seite stehen. Bis zur Aufklärung gehörte der Wind beim Nachdenken über den Menschen zu den Aufgaben der Philosophie und stellte sie mit seiner Unbeständigkeit und Unberechenbarkeit vor kaum zu lösende Probleme.

Ausschluss des Windes aus der Philosophie

Mit dem Einzug der Meteorologie in die empirischen Wissenschaften, war damit Schluss: Das Klima wurde losgelöst vom Menschen beobachtet. Wind und Wetter nicht mehr gemeinsam mit dem Menschen zu betrachten, zeitigte weitreichende ökologische Folgen und zeugt davon, wie wichtig es ist, naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Fragestellungen nicht getrennt voneinander zu behandeln.

Guldin interessiert sich indes speziell für die Metaphern, mit denen der Wind beschrieben wird, denn sie haben bis heute Auswirkungen auf Theoriebildung und Visualisierung:

Metaphern zeichnen nicht nur vorhandene Beziehungen nach, sondern sie generieren neue Perspektiven

schreibt Guldin. Für die Bewegung des Windes sind zunächst ordnende Metaphern wie der Fluss gebräuchlich, später wird das Kampfgeschehen oder die Schlacht zur Metapher für stürmische Winde.

Eine wichtige Zäsur bilden Leonardo da Vincis Forschungen und Zeichnungen, die Windturbulenzen in ornamentale Formen fassen, sie treten an die Stelle der antiken Windgottheiten und blasenden Engel. Damit ist im Keim der Blick auf das globale Windgeschehen  und seine Darstellung in  der modernen Meteorologie bereits angelegt. Heute  werden Wetterfronten und Wechselwirkungen von Luftdruck und Temperaturschwankungen auf Karten mit neutralen Symbolen wie farbigen Dreiecken, Linien und Halbkreisen  visualisiert.

Das Wetter wird wichtiger auch für die Philosophie

Das philosophische Umherschweifen ist das erklärte Vorhaben Guldins. Das ist vor allem zu Beginn des Buches überaus inspirierend und klug, aber wir finden auch langatmige Beschreibungen von antiken und mittelalterlichen, dem Wind gewidmeten Denkgebäuden, denen Guldin nur jeweils eine knappe Analyse voranstellt.

Beim Blick auf Film, Literatur, aktuelles Kunstschaffen und andere Kulturen wird im Gegensatz dazu dann oft recht kursorisch verfahren und zusammengestellt, wo auch immer das Blasen des Windes erwähnt wird. Das kann mitunter zu seltsamen Priorisierungen auf eher schmaler Basis führen, irgendein signifikantes Wetter gibt es schließlich in Romanen und Filmen immer.

Dennoch: Guldins Philosophie des Windes bläst das Denken durch und wirft die Frage auf, die Michel Serres so schön formuliert hat: „Warum schreiben Philosophen nicht mehr über das Wetter“? Angesichts von Klimakrise und ökologischen Zerstörungen sollten sie es unbedingt tun: Guldins anregendes Buch bietet dazu einen schönen Anstoß.

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