Kulturkampf: 1996 saß Stefan Raab zum ersten (und vorletzten) Mal in der NDR Talk Show. Auf Youtube kann man sich den Clip immer noch ansehen. Er verrät einiges darüber, wie sehr sich unsere Medienlandschaft in den letzten 30 Jahren verändert hat.
Als Stefan Raab in der NDR Talk Show saß …
Hier die distinguierte Dame im sehr grünen Kostüm, dort der „Fernsehclown“ mit Ziegenbärtchen. Raab ist damals 30, Alida Gundlach, die Moderatorin, Mitte 50. Warum man ihn eingeladen hat, ist nicht so ganz klar. Scheint eine „redaktionelle“ Entscheidung gewesen zu sein. Wahrscheinlich fiel in der Diskussion irgendwann mal das Stichwort „Verjüngung“.
Gundlach tut jedenfalls alles dafür, damit ja nicht der Eindruck entsteht, sie würde sich für ihren Gast auch noch interessieren. Mit spitzeren Fingern kann man kaum moderieren. Wer ihn nicht kenne, Stefan Raab sei einer dieser VIVA-Moderatoren, erklärt sie ihrem Fernsehpublikum mit säuerlicher Miene. „Einer von den ganz Tollen.“ Die hochgezogenen Augenbrauen sind förmlich zu hören.
Vom Enfant terrible zum Fernsehmacher des 21. Jahrhunderts
Altes trifft auf neues Fernsehen. Öffentlich-rechtlicher Bildungsstolz auf privates Trash-TV. Zu allem Überfluss sitzt auch noch Joachim Kaiser in der Runde, die graue Eminenz der Süddeutschen Zeitung, letzter Großkritiker des bundesrepublikanischen Musikfeuilletons. Der Kontrast könnte schärfer nicht sein.
Gut tut das keinem der Anwesenden. Jeder spielt seine Rolle, so erwartbar und langweilig, wie es eben geht: Arroganz gegen Provokation. Aber interessant ist dieses Fernsehtheater schon, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Raab binnen nur zehn Jahren zum wahrscheinlich einflussreichsten Mann im deutschen Fernsehgeschäft aufsteigen wird. Ein Unterhaltungsmacher für das 21. Jahrhundert.
Hat der „Hämehumor“ noch eine Chance?
Vor allem für die Millennials, die aktuell von ihrem ersten Nostalgiefieber durchgeschüttelt werden, wurde Raab zu einer Art Ikone. TV-Total gehört zum Inventar der Medienbiografie einer ganzen Generation. Raabs Witze waren das Hintergrundrauschen der 2000er – der ausdrücklich anti-politische Comic Relief einer Zeit, in der nach dem „Ende der Geschichte“ die großen Krisennarrative zurückkehrten. Terrorismus in den Nachrichten, unendlicher Spaß auf Pro Sieben.
Über Raabs „Hämehumor“ wurde ja schon viel geschrieben, seit seine Rückkehr ins TV-Geschäft ruchbar wurde. Tatsächlich bestand Raabs Masche immer schon vor allem darin, die auszustellen, die anders waren. Während Harald Schmidt den intellektuellen Zyniker gab, spielte Raab den Bully, der sich über alles lustig machte, was irgendwie von der Norm abwich.
In diesem Sinn übrigens ein ganz reaktionärer Konservativer. Sexistische, rassistische oder homophobe Späße gehörten selbstverständlich dazu. Nachdem sich der Fußballer Thomas Hitzelsberger als schwul geoutet hatte, witzelte Raab, dieser spiele nun für „Zenit St. Penisburg“.
Die Rückkehr des Heroischen ins Unterhaltungsfernsehen
Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass TV-Total genauso innovativ war. Gerade formal. Ein Beispiel wären die kurzen Clips, die Raab via Buzzer zu allen möglichen Gelegenheiten einspielte. Eigentlich sowas wie die Vorform des digitalen Memes – und das im linearen Fernsehen.
Noch wichtiger aber war sein Körpereinsatz. „Wok-WM“, „Turmspringen“, „Promi-Boxen“ und dann natürlich „Schlag den Raab“: Während Harald Schmidt konsequent den Uneigentlichen gibt, hat Raab das Eigentliche, vielleicht auch das Heroische in die Fernsehunterhaltung zurückgebracht. Nicht in einem moralischen oder politischen Sinn, klar. Aber in einem körperlichen auf jeden Fall. Die Show kennt keine Rücksicht.
Die Instagram-Clips, mit denen er seit Monaten seine TV-Rückkehr orchestriert, lenken sozusagen ex negativo den Blick darauf. Raab im Fatsuit oder Raab mit gemachten Zähnen – das ist nicht der Raab, den wir kennen. Der sich beim Boxen blaue Augen einfing, der blutete, der sich mit übertriebenem Ehrgeiz in „Schlag den Raab“ mit weitaus sportlicheren Bewerberinnen und Bewerbern maß und nicht selten als Sieger das Studio verließ. Ein mittelalter, mittelschlanker Mann gegen Modellathleten. Mainstreamtauglich.
Von seinen Erben überholt
Joko und Klaas haben dieses Prinzip in Shows wie „Duell um die Welt“ oder „Joko und Klaas gegen Pro Sieben“ weiterverfolgt. Wie Raab mit vollem Körpereinsatz. So gesehen ist er immer noch präsent, auch wenn sein Rückzug jetzt schon zehn Jahre zurückliegt. Dass er sein Comeback ausgerechnet mit einem Boxkampf gegen Regina Halmich startet, wirkt da schon irgendwie folgerichtig. Aber doch auch ein wenig gestrig.
Die teilweise lebensgefährlichen Mutproben, die Joko und Klaas sich und ihren Showgästen verordnen, lassen einen Boxkampf erstmal wie ein Kinderspiel aussehen. Ein nicht besonders kreatives außerdem. Von den Erben überflügelt: In dieser Hinsicht ist der Vatermord an Raab längst vollzogen.
Der Erfolg seines Comebacks dürfte also eher davon abhängen, was Raab noch so plant. Wenn man der BILD glaubt, dann hat seine Produktionsfirma mit RTL „Millionenverträge“ ausgehandelt. Mehr ist nicht bekannt. Über die Details schweigen beide Parteien aktuell. Noch ist also offen, auf welcher Seite Raab künftig steht: altes oder neues Fernsehen.