„Ohne Çay und Simit kann ich gar nicht leben“
Das erste, was ich tue, immer wenn ich wieder in meiner Heimatstadt Istanbul bin, ist aufs Schiff zu gehen und dort zu dem Duft des Meeres unseren türkischen schwarzen Tee (Çay) zu trinken. Dazu gibt es Simit, ein türkisches Gebäck. Für mich gehört beides zusammen. Schon als Kind haben wir das immer so getan. Das ist eine Tradition bei uns. Diese beiden Dinge erzeugen in mir ein tiefes Gefühl von Heimat, ein Glücksgefühl. Und ich muss zugeben: „Ohne Çay und Simit kann ich gar nicht leben.“
Typisch deutsch: Frauen in den Cafés
Zu Deutschland gehören für mich zweifelsohne und zwar auch als Zweierkonstellation „Kaffee und Kuchen“. Früher gab es mit meinen neu gewonnenen Freundinnen aus der Fabrik sehr oft nachmittags Kaffee und Kuchen. Ich kannte das nicht, fand es aber toll. Mir gefiel dieser Moment der Ruhe und der Gemeinsamkeit, der dadurch entstand. Und ich fand es irgendwie witzig, die Frauen in den Cafés hierzulande zu sehen, mit ihrem Kaffee und Kuchen. Für mich ist das „typisch deutsch“.
Ich bin 1974 nach Deutschland gezogen. Damals war ich 24 Jahre alt. Mein damaliger Mann war schon ein paar Jahre zuvor als so genannter Gastarbeiter gekommen. Mein erster Sohn und ich kamen nach. Mir hat Deutschland sofort gefallen. Ich fand die Ordnung und Sauberkeit hier toll, und auch die Freundlichkeit. Ich kam aus der Großstadt Istanbul, war also eine moderne junge Frau, deswegen war für mich der Kulturschock nicht so groß. Allerdings habe ich kein Wort Deutsch gesprochen. Das war nicht so einfach.
Einkaufen war ein kleines Abenteuer
Allein einkaufen zu gehen war ein kleines Abenteuer, denn damals gab es hier im eher ländlichen Bereich keine großen Supermärkte, in denen man einfach nach den Dingen greift. Man musste bestellen. Da habe ich die Gastfreundlichkeit meiner deutschen Nachbarn kennen und schätzen gelernt. Sie haben mir Wörter und Sätze beigebracht, waren immer für mich da, sind mit mir einkaufen gegangen... ich habe sehr schöne Erinnerungen aus dieser Zeit.
Kolleginnen aus aller Welt in der Strumpffabrik
In Istanbul hatte ich Schneiderin gelernt und so fand ich hier schnell Arbeit in der Strumpffabrik in Neckarbischofsheim. Dort hatte ich Kolleginnen aus aller Welt, aus Russland, Spanien, Türkei, Deutschland... Wir haben uns oft getroffen und haben gemeinsam die Spezialitäten unserer jeweiligen Länder gekocht. Das war sehr lustig. Außerdem gab es hier eine große türkische Gemeinde. Wir haben uns getroffen, haben gemeinsam gefeiert, und wir haben auch Geld für Projekte in der Türkei gesammelt.
Nun, mit der Zeit habe nicht nur Deutsch gelernt, ich habe hier ein richtiges zu Hause gefunden. Jetzt bin ich natürlich in Rente. Zurück in die Türkei will ich aber nicht. Meine drei Kinder leben und arbeiten hier. Den Kontakt zu meinem Heimatland habe ich aber nie verloren. Ich brauche ihn. In diesem Corona-Jahr ging es nicht, aber ansonsten fliege ich jedes Jahr nach Istanbul. Und dann geht’s gleich ans Meer, ich steige auf einem Schiff, und dann gibt es türkischen Tee mit Simit.