Eine kleine Revolution in der Automobilbranche
Manfred Gotta ist auf dem Gebiet der Namensfindung das, was man gemeinhin eine Koryphäe nennt: Der 76-jährige ist hauptberuflicher Wortschöpfer. Und damit ist der gebürtige Hesse, der im Nordschwarzwald wohnt, sehr erfolgreich. Manche nennen Manfred Gotta deshalb „Namenspapst“, andere bezeichnen ihn als Erfinder des internationalen Marken-Brandings, der Spiegel widmete ihm unter dem Titel „In Gottas Namen“ ein Porträt.
Vor 25 Jahren ließ er sich einen Namen einfallen, der heute zu einem Synonym für Mini-Autos geworden ist: „Smart“. Die Markteinführung des zweisitzigen Kleinstwagens – eine Kooperation zwischen dem Uhrenhersteller Swatch und dem Automobilkonzern Mercedes Benz – war 1998 nicht weniger als eine kleine Revolution in der Automobilbranche. Gängige Verkaufsargumente wie Größe oder Leistung eines Autos wurden nun um praktische Aspekte erweitert, denn mit dem spritsparenden Mini-Mobil kam man in nahezu jede Parklücke.
Manfred Gotta: Ungekürter König unter den Erfindern von Autonamen
Doch über den Namen wurde vor der Markteinführung noch gegrübelt. Sollte es einfach „Swatch-Mobil“ heißen? Oder wäre ein eigenständiger Name vielleicht doch besser? Man konsultierte Manfred Gotta, zu diesem Zeitpunkt bereits der wohl renommierteste Namenserfinder Deutschlands und zudem der ungekrönte König unter den Autonamen-Schöpfern: „Vectra“ für ein Opel-Modell war sein erster Coup, auch der „Twingo“ von Renault ist seine Erfindung oder der „Cayenne“ und der „Panamera“ von Porsche.
Zunächst sei er als „Autofreak“ nicht überzeugt gewesen von dem Gefährt, erzählt er: „Da spuckt jeder LKW-Fahrer drauf und lacht sich tot, wenn der nebendran fährt“, habe er anfangs gedacht. Doch bei genauerer Betrachtung sei das Auto viel größer gewesen, als angenommen. Und er habe Mercedes gesagt: „Wenn ihr den Mut habt, das Ding zu bauen, habe ich auch den Mut, das Auto zu benennen“.
S für Swatch, M für Mercedes und Art für die Kunst, ein solches Auto zu bauen
Also machte Gotta das, was er am besten kann. Er erfand einen neuen Namen: „S für Swatch, M für Mercedes und Art für die Kunst, dieses Auto zu bauen“, fasst er seine Idee zusammen. Wichtig sei ihm gewesen, „dass jeder sich in der Identität wiederfindet“, also sowohl Mercedes als auch Swatch und gleichzeitig die Kundinnen und Kunden.
Zu gewollt wäre der Name rübergekommen, zu pseudo-intellektuell, wenn kein innovatives Konzept dahinter gestanden hätte, meint er.
Auch 25 Jahre nach Markteinführung des „Smart“ ist Manfred Gotta zufrieden mit seinem Namen. Generell sei er in der Rückschau „happy“ mit den Erfindungen, vor allem die Autonamen sind seine Lieblinge, wie er sagt.
„Das Geheimnis ist, dass Name und Produkt zusammenpassen“
Doch was ist das Geheimnis für einen guten Produktnamen? Der Erfinder von Bezeichnungen wie „Megapearls“, „Twingo“, „Evonik“, „Targobank“ oder „Vectra“ hat da ein klares Erfolgsrezept: „Das Geheimnis ist, dass Name und Produkt zusammenpassen und die Leute das Gefühl haben: Eigentlich könnte es nicht anders heißen“, sagt er.
Es gehe nicht darum, ein Produkt möglichst umfassend zu beschreiben, sondern Ziel sei es, einen Namen zu erfinden, der nach Produkteinführung für sich selbst stehe, im besten Fall vielleicht sogar zum Synonym werde. „Tabasco“ etwa, so sein Beispiel, stehe für nichts weiter, außer für jene scharfe, rote Sauce. Der Begriff funktioniert international – auch das ist neben den markenrechtlichen Bedingungen eine wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Branding.
Sich Namen ausdenken, die eigens für ein Produkt entwickelt wurden? Dafür sei er anfangs ausgelacht worden, aber es habe sich bewiesen, dass es funktioniert, sagt Manfred Gotta heute.
Zugleich lautet die Devise: Neugierde wecken, ein „Was-ist-das?“-Gefühl herstellen. Es gebe tausende Produkte im Supermarkt, erzählt Gotta etwa in einem Interview mit Joko Winterscheidt: „Und jetzt musst du es schaffen, dass jemand stehen bleibt, weil's neu ist und sagt: „Das hab ich ja noch nie gesehen. Was ist das denn?“ Und jetzt hast du eine Riesenchance: Du hast die Chance, dass du bestimmen kannst, was andere da drüber sagen.“
Manfred Gotta im Gespräch mit Joko Winterscheidt:
Annäherung an namenlose Dinge
Um ein Gespür für den Charakter eines Produkts zu bekommen, nähert sich Manfred Gotta den namenlosen Dingen mit dem ganzen Körper, er riecht und fühlt, steigt ein und kostet: „Ich brauche direkten Kontakt mit einem Produkt. Das ist für mich wie ein Mensch. Ein Auto hat einen Hintern, ein Auto hat ein Gesicht. Ein Auto hat Beine, ein Auto hat ein Herz. Ein Auto guckt blöd oder ein Auto sieht liebenswert aus. Und dann liege ich halt vor dem Auto, sitze rein und rieche“, beschreibt er sein Vorgehen bei der Namensfindung.
Gottas Arbeit ist also eine wilde Mischung aus Einfühlungsvermögen, Kreativität, Handwerk – und natürlich einer Portion Glück, die richtige Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben.
Generell sind bei der Namensfindung also kaum Grenzen gesetzt – aber eben nur kaum. Denn obszöne Markennamen sind tabu. In Deutschland wird deshalb „Wick Vaporub“ nicht wie andernorts mit V geschrieben und in Spanien heißt der „Pajero“ von Mitsubishi „Montero“, um einen Kraftausdruck nicht auf die Straßen zu bringen.