Dieses Hörstück hat alle Beethovensonaten zum Thema. Es spielt sie inklusive Ansagen und Erläuterungen in knapp 2 Stunden mit den Mittel künstlerischer Überschreibung und Neukomposition. In modernen, mit fluiden Identitäten spielenden digitalen Zeiten stehen mit viel Spaß und großer Seriosität Dada, Fluxus und Concept Art hier Pate. Vorsicht: Nichts für Klassikpuristen!
Hermann Kretzschmar notierte über seine Arbeit, die sich zwischen einem Gesprächs-Konzert Neuer Musik und einem Performance-Hörspiel bewegt:
„‚DIE 32 SCANSONATEN‘ sind eine kompositorische Interpretation der 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven.
Die Sonaten sind so bearbeitet worden, dass sie nacheinander in ca. 85 Minuten als ein Stück min 32 Sätzen komplett aufgeführt werden können. Die entstandenen Werke sind neue eigenständige Kompositionen, die aber gewissen formalen Abläufen ihrer Vorbilder folgen.
Das Verfahren des ‚Scannens‘, quasi ein postdigitales Verfahren, wäre ohne digitale Erfahrungen nicht denkbar, bedient sich aber primär digitaler Techniken nicht.
‚DIE 32 SCANSONATEN‘ sind für den Kenner der Beethovenschen Klaviersonaten eine Art schneller Erinnerung, schnellen Durchlaufs durch dieses charakteristische prozesshafte Klavierwerk. Beim Hören stellt sich oftmals ein inneres Schwanken zwischen der gegenwärtigen Klanglichkeit und deren Vorbildern ein.
Für den Nichtkenner ist es eine Reise durch über 100 kurze Klavierstücke, in denen aus Raffung eines alten Stils verschiedene neue entstehen.
Dabei wird nur der erste Klang jeden Taktes der Originale gespielt und auf ein metrisches Raster gelegt. Durch das Raster ergibt sich eine gewisse rhythmische Gleichförmigkeit, die durch Agogik, Dynamik und eine Pausenstrukturierung durchbrochen wird.
Um die manchmal allzu schematische Maschinerie zu unterlaufen, werden einige numerische Zusatz-Menüs eingesetzt: zum Beispiel random-Situationen oder Pausen-Summationsreihen oder auch Doppeltakt-Scans.“
(Hermann Kretzschmar, 2024)
Ein Wort zur beinahe 10-jährigen Entstehungsgeschichte der „Revisited“. An der Neukomposition oder kompositorische Interpretation arbeitete Kretzschmar seit 2014. Sie wurden am 2016 im Pianola Museum Amsterdam uraufgeführt, die Klaviereinspielung im Kubus des ZKM-Karlsruhe erfolgte 2018, die Sendung in edukativ parzellierte Einzelteile mit Erläuterungen 2020 im Musikprogramm von SWR2 und schließlich 2024 die Postproduktion als durchgehende Hörspiel-Performance mit den Elementen sprachspielerisch verkürzter Werk- und Scanangaben, in der die Ästhetik der Ansage auf eine des O-Tons mit Erläuterungen und der entsprechenden Klaviereinspielung folgt. Ein neues Werk ist so über eine Neustrukturierung im Schnitt‚ ‚in meinen Ohren‘, wie Kretzschmar sagt, entstanden, das den Hörer auch ein enthierarchisiertes Hören gestattet; er kann immer wieder, besser 32 x neu aus- wie einsteigen und sich in Sinnzusammenhänge einfinden.
Mit: Michael Rebhahn als Stimme Ansage und Hermann Kretzschmar im O-Ton
Klavier Steinway D: Hermann Kretzschmar
Tonmeister Musikaufnahme: Sebastian Schottke
Ton und Technik Wortaufnahme: Michael Rebhahn
Technik Postproduktion: Uwe Strack
Komposition und Realisation: Hermann Kretzschmar
Redaktion und Dramaturgie: Manfred Hess, Michael Rebhahn
Produktion: SWR 2020 / 2024 - Premiere
Bericht zu Hermann Kretzschmars 32 Scan-Sonaten
Wie gelingt es dem Pianisten und Komponisten Hermann Kretzschmar alle 32 Beethovensonaten in 2 Stunden zu spielen? Neukomposition oder Arrangement? Michael Rebhahn, SWR Redakteur Neue Musik, erläutert gemeinsam mit dem Komponisten Hermann Kretzschmar das Konzept seiner „32 Scansonaten“, die alle Beethoven Sonaten in 32 x zwei bis fünf Minuten-Stücken aufführen.
Mit: Michael Rebhahn
Produktion: SWR 2019