Abschlussbericht zu sexuellem Missbrauch

Sonderermittler: Bistum und Behörden haben im Fall Dillinger jahrzehntelang versagt

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Autor/in
Lena Bathge

Der Abschlussbericht zum Fall des verstorbenen Priesters Edmund Dillinger liegt vor: Jahrzehntelang beging der Priester demnach sexuellen Missbrauch. Das Bistum Trier schaute weg, so die Sonderermittler.

Der verstorbene Priester Edmund Dillinger hat im Zeitraum von 1961 bis 2018 insgesamt 19 Personen sexuell missbraucht. Sowohl das Bistum als auch staatliche Behörden hätten im Umgang mit den Vorwürfen gegenüber Dillinger jahrzehntelang zu wenig oder gar nicht gehandelt. Das ist das Ergebnis des Abschlussberichts, den zwei Sonderermittler am Dienstag vorgestellt haben.

Der ehemalige Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer und der frühere stellvertretende Leiter der Staatsanwaltschaft Trier, Ingo Hromada, hatten vor fast einem Jahr von der Unabhängigen Aufarbeitungskommission des Bistums Trier den Auftrag bekommen, die Missbrauchsvorwürfe um den Priester Dillinger aufzuarbeiten. Der Neffe Dillingers hatte nach dessen Tod im Jahr 2022 mehrere tausend Fotos, sowie Kalender und Akten im Haus seines Onkels gefunden, die Hinweise auf Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Dillinger enthielten.

Bistum Trier handelte erstmals 2012 gegen Dillinger

Die ersten beiden Zwischenberichte hatten bereits kein gutes Licht auf das Bistum geworfen. Obwohl bereits in den 1960er-Jahren erste Vorwürfe gegen den Priester erhoben worden waren, handelte das Bistum erst 2012. Aus dem zweiten Zwischenbericht von Brauer und Hromada von Dezember 2023 geht hervor, dass das Bistum Edmund Dillinger erst 2012 bei der Staatsanwaltschaft anzeigte - allerdings nur für Fälle aus den 1960er und 1970er Jahren. Diese waren zu dem Zeitpunkt längst verjährt.

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Über fünf Jahrzehnte war Dillinger als Geistlicher in Schulen und Pfarreien in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Nordrhein-Westfalen tätig. An beinahe allen seinen Einsatzorten kam es laut Abschlussbericht zu sexuellen Übergriffen oder anderem Fehlverhalten Dillingers, von dem das Bistum Trier nach Ansicht Brauers und Hromadas teilweise in Kenntnis gesetzt wurde. Dass man sich der Tragweite des Falls im Bistum damals durchaus bewusst war, würden Notizen und Schriftverkehr aus den Akten des Bistums belegen. Die Verantwortlichen im Bistum Trier hätten aber insbesondere 1964 und 1970 unangemessen auf Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs reagiert und diese vertuscht.

Foto des verstorbenen Priesters Edmund Dillinger
Edmund Dillinger hat laut dem Abschlussbericht über Jahrzehnte Jugendliche und junge Erwachsene missbraucht.

Keine Aufklärung und keine Konsequenzen für Dillinger

So seien Vorwürfe gegen Dillinger immer wieder nicht ordentlich aufgeklärt worden: Das Bistum habe weder Kontakt mit den Opfern aufgenommen, noch mögliche Zeugen angehört. Auch die Konsequenzen für Dillinger seien unzureichend gewesen, heißt es im Bericht. Die Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses, zweiwöchige Exerzitien im Kloster und der Wechsel in ein Studium seien keine angemessene Ahndung für sexuellen Missbrauch.

Darüber hinaus habe es auch nach den Vorfällen in den 1970er Jahren keine weitere Überprüfung Dillingers gegeben. Wenn der verstorbene Priester an einen neuen Arbeitsplatz versetzt worden war, seien seine neuen Vorgesetzten vom Bistum auch nicht immer über die Vorwürfe gegen ihn informiert worden.

Schulleitungen reagierten falsch oder gar nicht

Ob die jeweiligen Bildungsministerien der Bundesländer, in denen Dillinger als Religionslehrer tätig war, über die Vorwürfe gegen den Priester Bescheid wussten, konnten Brauer und Hromada nicht abschließend rekonstruieren. Die Vorfälle in den 1970er Jahren in Hermeskeil legten jedoch nahe, dass die Verantwortlichen auf allen Ebenen über die Vorwürfe gegen Dillinger Bescheid gewusst hätten, so der Bericht. Schon nach damals geltender Rechtslage wäre die Schulleitung verpflichtet und berechtigt gewesen, disziplinarische Maßnahmen gegen Dillinger zu ergreifen. Das sei aber nicht geschehen. Stattdessen habe man es als ausreichend erachtet, dass der Priester nicht mehr an der Schule oder in der Region Hermeskeil gearbeitet habe, schreiben Brauer und Hromada.

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Auch gegen einen Schulleiter aus dem Saarland erheben die beiden Sonderermittler Vorwürfe. Dieser habe ihnen gegenüber zum Teil widersprüchliche Angaben gemacht, die sich durch Akten und Schriftstücke aus den 1980er Jahren widerlegen lassen. Gerüchte und Hinweise auf Dillingers Verhalten habe der Schulleiter nicht ernst genommen.

Es ist kaum zu begreifen, dass eine Persönlichkeit wie Dillinger über Jahrzehnte im Dienst der Kirche verbleiben konnte - trotz allen Wissens über seine Übergriffigkeiten und Missbrauchstaten.

Das vom Schulleiter gezeigte Verhalten ist exemplarisch für den Umgang mit Dillinger: Egal, ob im Bistum Trier, bei Bruderschaften und Vereinen, oder innerhalb der Schulen, die Vorwürfe gegen Dillinger wurden immer wieder totgeschwiegen, Gerüchte wurden nicht ernst genommen, Zeugen als unglaubwürdig abgetan. "Es ist kaum zu begreifen, dass eine Persönlichkeit wie Dillinger über Jahrzehnte im Dienst der Kirche verbleiben konnte - trotz allen Wissens über seine Übergriffigkeiten und Missbrauchstaten", heißt es im Abschlussbericht.

Bistum Trier räumt Fehlverhalten der Verantwortlichen ein

In einer Stellungnahme zum Bericht der beiden Sonderermittler, erklärt das Bistum Trier: "Das damalige Handeln entsprach in keinster Weise einer Betroffenenorientierung. Es werde offenkundig, dass ein Priester der Trierer Kirche Kinder und Jugendliche missbraucht hat, und dass dies auch möglich war, weil Verantwortliche früherer Zeiten es unterlassen hätten, zu handeln oder unangemessen reagiert haben." Die Ergebnisse des Falls Dillinger würden dem Bistum Trier erneut zeigen, wie wichtig es sei, Präventionsarbeit zu leisten und immer wieder zu überprüfen, welche Hinweise sich aus den Aufarbeitungsprozessen für ein Handeln in der Zukunft ergeben.

Harsche Kritik an Staatsanwaltschaft Saarbrücken

In ihrem Abschlussbericht üben die beiden ehemaligen Staatsanwälte auch harsche Kritik an der Staatsanwaltschaft Saarbrücken.

Mit der Vernichtungsaktion hat die Staatsanwaltschaft unser Akteneinsichtsgesuch nach unserer Auffassung bewusst übergangen und als mögliche Folge die Aufarbeitung in weiten Teilen vereitelt.

Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hatte im Juli vergangenen Jahres die Vernichtung von wichtigem Beweismaterial angeordnet. 7.000 Fotos aus dem Nachlass Dillingers wurden durch die Staatsanwaltschaft zerstört, außerdem seine Terminkalender aus mehreren Jahrzehnten. Die Informationen und Hinweise daraus sind für Brauer und Hromada unwiderbringlich verloren, was ihre Aufarbeitungsleistung erheblich behindert habe.

"Mit der Vernichtungsaktion hat die Staatsanwaltschaft unser Akteneinsichtsgesuch nach unserer Auffassung bewusst übergangen und als mögliche Folge die Aufarbeitung in weiten Teilen vereitelt - heißt es im Abschlussbericht."

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Aus den eingesehenen Akten schließen Brauer und Hromada, dass die im Haus von Edmund Dillinger sichergestellten Terminkalender zu einem großen Teil gar nicht von den Ermittlern der saarländischen Polizei begutachtet und ausgewertet worden sind. Sie gehen daher davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Saarbrücken die Anordnung zur Vernichtung der Beweismittel ausgesprochen hat, ohne diese je selbst in Augenschein genommen zu haben, und dementsprechend die Einschätzung des ermittelnden Polizeibeamten, dass die Terminkalender für die weitere Untersuchung nicht mehr von Bedeutung seien, vorbehaltlos übernommen hat.

Wurden Beweismittel im fall Dillinger vernichtet?
Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hat Dokumente aus dem Haus von Edmund Dillinger vernichtet.

Für die beiden Ermittler hätten die Terminkalender allerdings wichtige Hinweise zu möglichen Mittätern und weiteren Betroffenen von sexuellem Missbrauch geben können, so Brauer und Hromada. Außerdem hätten Betroffene die Terminkalender als Beweise gegenüber dem Bistum Trier nutzen können, um Ansprüche auf Entschädigung geltend machen zu können. Auch das sei nun nicht mehr möglich.

Opferinitiative MissBiT hatte sich mehr erhofft

Die Opferinitiative MissBiT, die Betroffene von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier vertritt und unterstützt, zeigte sich von den Ergebnissen des Abschlussberichts ernüchtert. "Die beiden Ermittler haben sehr viel Arbeit geleistet", erklärt Hermann Schell, Vorstandsmitglied von MissBiT, dem SWR. "Wir hatten uns jedoch erhofft, dass nun endlich konkret die Namen der Verantwortlichen im Bistum genannt werden. Unsere Hoffnung, zu erfahren, wer an welcher Stelle für Vertuschungen im Fall Dillinger verantwortlich ist, wurde nicht erfüllt."

Es bestimmen immer die Betroffenen, wann sie wo, wie lange und mit wem über ihre Erfahrungen sprechen.

Darüber hinaus kritisiert MissBiT den Umgang der beiden Sonderermittler mit Betroffenen des Missbrauchs durch Dillinger. "Es bestimmen immer die Betroffenen, wann sie wo, wie lange und mit wem über ihre Erfahrungen sprechen. Ein anderer Umgang damit ist unprofessionell", sagt Schell und bezieht sich damit auf einen Betroffenen, zu dem die Ermittler nach einem ersten telefonischen Gespräch später keinen Kontakt mehr aufbauen konnten. Für eine erfolgreiche Aufklärungsarbeit müsse jedoch ein Vertrauensverhältnis geschaffen werden. Man hoffe nun darauf, dass die Ergebnisse des Abschlussberichts nicht in irgendeiner Schublade verschwinden und die weitere Aufklärung des Falls Dillinger nicht versandet, so Schell.

Aufklärungskommission kündigt weitere Untersuchungen an

Zumindest dieser Wunsch könnte in Erfüllung gehen: Die Unabhängige Aufklärungskommission im Bistum Trier, UAK, die Brauer und Hromada mit der Aufklärung des Fall Dillinger beauftragt hatte, hat bereits angekündigt, dass es weitere Untersuchungen zu den Vorwürfen gegen Dillinger geben wird. Wichtige Fragen seien offengeblieben, weshalb die beiden Sonderermittler ihre Tätigkeit um ein Jahr verlängern würden, so die UAK in einer Stellungnahme. Unter anderem sollen die Vorwürfe gegen Dillinger im Zusammenhang mit Stipendiaten aus Afrika weiter untersucht werden.

Außerdem sei im Bericht klar geworden, dass Dillinger in zahlreichen Gruppierungen vernetzt gewesen ist, so die UAK. Die Rolle dieser Bündnisse beim Verschweigen und Verdecken der Missbrauchsfälle bedürfe dementsprechend weiterer Aufklärung. Die UAK fordert deshalb vom Bistum, sich auch in diesem Feld der Aufarbeitung erneut um mehr Transparenz zu bemühen.

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Lena Bathge