Bindungsarbeit für Menschen mit Beeinträchtigung

Kevins zweite Chance auf dem Hofgut Serrig

Stand
Autor/in
Lara Dudek

Auf dem Hofgut Serrig leben und arbeiten 160 Menschen mit Beeinträchtigungen. Auch Kevin hat sich hier integriert und hat gelernt mit seinem Handicap umzugehen.

Wenn Kevin tief in die Augen seiner Lieblingskühe blickt und ihnen dabei zuschaut, wie sie genüsslich auf dem zubereiteten Fressen herumkauen, ist er sofort entspannt. "Alles gut mein Lieber", sagt Kevin und tätschelt einem der Rinder zufrieden über den Kopf. Die Arbeit mit den Tieren auf dem Hofgut Serrig ist genau Kevins Ding. Natürlich freue er sich auch jeden Tag darauf mit seinen Kollegen im Team zu arbeiten. Aber inmitten der Schweine, Rinder, Kühe und Schafe fühle er sich besonders wohl, sagt der 22-Jährige und strahlt. Diese Arbeit mache ihm Spaß. Und das war bei Kevin nicht immer so.

Auf dem Hof gibt es neben Schafen, Hühnern und Scheinen auch Rinder
Das Füttern der Rinder gehört zu Kevins Lieblingsaufgaben. Bei den Tieren verbringt Kevin die meiste Zeit auf dem Hofgut.

"Wenn Personen etwas von mir wollten, bin ich immer direkt auf Verteidigung gegangen."

Kevin hat in seinen jungen Jahren schon so einige Stationen zurückgelegt. Immer wieder fiel er auf, weil er der Lauteste in einem Raum war, Schwierigkeiten hatte, sich zu konzentrieren und seine Zündschnur in vielen Situationen so kurz war, dass ein Raum schnell zu klein wurde. "Wenn Personen auf mich getroffen sind, die etwas von mir wollten, bin ich immer direkt auf Verteidigung gegangen." Mit seinem erhöhten Stresslevel und der Bindungsstörung wechselte er mehrfach von Pflegeheimen zu Jugendeinrichtungen, wo er immer wieder mit Ablehnung konfrontiert wurde. Auch der Versuch einer Ausbildung als Landwirt auf einem anderen Hof scheiterte.

Neustart auf dem Hofgut Serrig

Sein Weg führte Kevin zu den Lebenshilfe-Werken Trier und schließlich auf das Hofgut Serrig, eine Einrichtung der Lebenshilfe-Werken Trier. Und hier gilt: Alles auf Anfang! Stück für Stück integriert er sich ins Team, erledigt die täglichen Aufgaben auf dem Hof. Er pflegt die Tiere, mäht den Rasen oder mistet die Ställe aus.

Kevin steht im Schweinestall, wo er auch jeden Tag vorbeischaut.
Kevin weiß, dass viele der Tiere, wenn die Zeit gekommen ist, in der hofeigenen Metzgerei geschlachtet und verarbeitet werden. Das gehört für ihn zum Leben mit dazu.

"Wenn ich hier etwas falsch mache, dann bekomme ich es nochmal gezeigt."

Körperliche Betätigung für den Stressabbau

Das kann auch schon mal richtig körperlich herausfordernd sein. Umso besser, dass er die Aufgaben in seinem Tempo erledigen kann. Dabei weiß er auch, dass Fehler, die mal passieren, auch passieren dürfen. "Ich bin es gewohnt, dass man konfrontiert wird, wenn man etwas falsch gemacht hat. Wenn ich hier etwas falsch mache, dann bekomme ich es nochmal gezeigt und habe die Chance es nochmal besser zu machen."

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Dass er seine Chance auf dem Hofgut auch richtig nutzt, hat vor allem einer im Blick: Betreuer Michael Schöler. Er arbeitet nun seit 14 Jahren als Arbeitspädagoge bei den Lebenshilfe-Werken Trier und hat vor mehr als acht Jahren die Gruppe für Jugendliche mit sozial-emotionalem Handicap gegründet.

"Bei seinem zweiten Versuch die Ausbildung zu machen möchte ich, dass er gut durchkommt und Erfolg hat."

Kevin arbeitet gerne im Team auf dem Hofgut. Er kann sich auf seine Teamkollegen verlassen.
Betreuer Michael Schöler (links) ist eine wichtige Bezugsperson für Kevin. 2014 gründete er eine Gruppe für Menschen mit sozial-emotionalem Handicap, die mitlerweile fester Bestandteil auf dem Hofgut Serrig ist.

Er drückt Kevin die Daumen, dass der 22-Jährige bald die Ausbildung als Landwirt auf dem Hofgut antreten darf. Wann das sein wird? Das kann Michael Schöler noch nicht mit Sicherheit sagen. "Bei seinem zweiten Versuch die Ausbildung zu machen möchte ich, dass er gut durchkommt und Erfolg hat." Kevins Fortschritte miterleben zu können, mache ihn stolz. Denn Kevin sei ein gutes Beispiel dafür, dass die Bindungsarbeit funktioniere. Eine Arbeit, die in den vergangenen Jahren wichtiger denn je geworden sei.

Die Schafe auf dem Hofgut haben genügend Auslauf.
Neben Tieren gibt es auf dem Hofgut auch allerhand Gemüse, was selbst angepflanzt und geerntet wird.

Bindungsarbeit werde immer wichtiger

Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes spielen die seelischen und sozialen Probleme von Kindern und Jugendlichen zunehmend eine größere Rolle. So nahm auch in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit emotionalem und sozialem Förderbedarf um mehr als 70 Prozent zu.

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Eine Beobachtung, die auch Diplom-Psychologe Winfried Klaes vom Institut für konstruktive Psychologie, der mit den Lebenshilfe-Werken Trier zusammenarbeitet, über die Jahre gemacht hat. So sei festzustellen, dass Kinder und Jugendliche wie Kevin nicht etwa eine Randgruppe der Gesellschaft ausmachen, sondern einem stärken Phänomen entsprechen würden. Dies hänge, seinen Einschätzungen nach, auch mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und dem zunehmenden Druck zusammen, weshalb beispielsweise Bindungsarbeit wie auf dem Hofgut Serrig, unerlässlich sei.

Alle Erzeugnisse auf dem Hofgut gibt es im eigenen Hofladen zu kaufen.
Die Erzeugnisse auf dem Hofgut gibt es im Hofladen. Außerdem werden mehrere Betriebe in der Region beliefert.

"Ich hatte eine Betreuerin, die nicht an mich geglaubt hat und mir sagte, dass ich den Bach runter fließen werde. Aber seht mich jetzt an: Ich habe es geschafft!"

Kevin für seinen Teil ist glücklich, dort wo er aktuell ist. Natürlich würde er sich über die Möglichkeit der Ausbildung sehr freuen. Wenn er sie absolvieren würde, stünden ihm auch die Türen offen und er könnte sein Glück auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt versuchen. Aber für den Moment ist er dankbar, für alle, die auf ihn setzten. "Ich hatte eine Betreuerin, die nicht an mich geglaubt hat und mir sagte, dass ich den Bach runter fließen werde. Aber seht mich jetzt an: Ich habe es geschafft!"

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Lara Dudek