- Schichtbeginn
- Übergabe
- Patienten in Zimmer 6
- Schwerer Corona-Verlauf in Zimmer 7
- Herzrhythmusstörungen im Schockraum
- Zwischen Schockraum und Zimmer 9
- Visite
- Arbeiten an der Belastungsgrenze
- Pflege der Patienten
- Zwischen Laken, Pflege und Medikamenten
- Die erste Kaffee-Pause
- Die Nachtschicht kommt
- Wunsch nach mehr Wertschätzung
12:45 Uhr - Schichtbeginn
"Hallo! Ich bin Schwester Steffi", begrüßt mich Stefanie Gessner auf Station 22 - der Intensivstation des Klinikums Idar-Oberstein. Schwester Steffi hat heute die Stationsleitung. Die 40-Jährige arbeitet seit fast 20 Jahren im Klinikum Idar-Oberstein, zwölf davon auf Station 22. Sie werde ich heute eine Schicht lang begleiten.
Die Schicht beginnt für mich in der Gemeinschaftsumkleide. Dort bekomme ich meine Dienstkleidung. Ich tausche Jeansrock und Top gegen blaue Hose, blaues T-Shirt und Turnschuhe. Die Arbeit kann beginnen. Mit Schwester Steffi laufe ich zunächst über die Station. Am "Counter" - dem Herzstück der Station - stehen mehrere Computer. Ab und zu ertönt ein Alarmsignal. Hier werden die Vitalwerte der Patienten überwacht. Immer wieder sehe ich Pflegerinnen und Pfleger von Zimmer zu Zimmer rennen.
13:20 Uhr - Übergabe
Alle kommen am sogenannten "Counter" zusammen. Es ist Zeit für die Übergabe. Die Intensivpfleger von der Frühschicht berichten von den Patienten, deren Entwicklung und den gegebenen Medikamenten. Die Pfleger der Spätschicht schreiben fleißig mit.
Es könnte eine stressige Spätschicht auf Station 22 werden: Acht Patienten müssen derzeit auf der Intensivstation versorgt werden, sechs von ihnen werden intubiert, also künstlich beatmet.
Schwester Steffi muss mit ihrer Kollegin, Schwester Bettina, die Arbeit zu zweit stemmen, ein Kollege hat sich krankgemeldet. Thu Hang wird die beiden Schwestern unterstützen. Sie befindet sich noch in der Einarbeitung, wofür am Nachmittag jedoch nur wenig Zeit bleiben wird. Denn die Patientinnen und Patienten müssen versorgt werden.
13:50 Uhr - Die zwei Patienten in Zimmer 6
Steffi und Bettina teilen sich die Zimmer auf. Schwester Steffi geht ins Zimmer 6. Sie streichelt die Hand einer Patientin, die über eine Kanüle in der Luftröhre beim Atmen unterstützt werden muss. Die Patientin liegt wegen eines schweren Verlaufs der Lungenerkrankung COPD hier. "Sie haben viel mitgemacht, aber bald kommen Sie in die Reha und dann wird es besser", sagt Schwester Steffi mitfühlend zu ihr.
Ob die Frau aus Zimmer 6 morgen wirklich in Reha kann, hängt auch davon ab, ob ihr heute in einer Operation noch eine Magensonde gelegt werden kann. Eine Uhrzeit für die OP steht noch nicht fest.
Im Bett nebenan liegt ein Mann, der wegen eines Herzinfarktes eingeliefert wurde. Er kann sich bewegen und reden. Er berichtet, dass er schlecht Luft bekommt und will wissen, wie es mit ihm weitergeht. Schwester Steffi erklärt ihm geduldig, dass er zunächst auf der Intensivstation bleiben muss, um dort überwacht zu werden. Währenddessen kommt vom "Counter" draußen ein Warnton.
14:15 Uhr - Ein schwerer Corona-Verlauf in Zimmer 7
Schwester Stefanie eilt in Zimmer 7. Die Patientin, die dort liegt, ist schon 28 Tage hier. Die 70-Jährige ist vierfach gegen Corona geimpft. Dennoch erkrankte sie an Covid-19 und einer Lungenentzündung. Die Rentnerin war eigentlich auf dem Weg der Besserung. Doch die Situation kippte. Bei der Frau, die schon eine Nierentransplantation hinter sich hat, versagten die Nieren und die Lungen. Sie musste intubiert werden und liegt nun in einer Art künstlichem Koma. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich durch das Beatmungsgerät gleichmäßig.
Schwester Steffi überprüft die Werte der Patientin. Ihr Zustand hat sich in der vergangenen Nacht noch einmal verschlechtert. Sie streicht mit der Hand sanft über den Arm der Frau.
Schwester Steffi betritt anschließend leise Zimmer 9. Hier gibt es ebenfalls keine guten Nachrichten. Der Patient hat Krebs, in seinem Körper sind Metastasen. Er wurde unter anderem wegen schwerer Herzrhythmusstörungen eingeliefert.
Der 67-Jährige ist intubiert und wird über eine Magensonde ernährt. Er erhält über mehrere Schläuche acht verschiedene Medikamente. "Seine Prognose ist schlecht", erzählt mir Schwester Steffi vor dem Zimmer. Die erfahrene Krankenschwester sieht besorgt aus. Es ist unklar, wie lange das Herz des Mannes noch durchhält.
Ich fühle mich schon jetzt überfordert. Die wenigen Eindrücke von der Intensivstation belasten mich bereits kurz nach Dienstbeginn stark. Es fühlt sich an wie ein Stein, der in meinem Bauch immer schwerer zu werden scheint. Die Schicksale der Patienten gehen mir nah.
Ich frage Schwester Steffi, wie sie damit umgeht, mit der Arbeit zwischen Leben und Tod. "Wer auf Station 22 arbeitet, muss eine gewisse Distanz aufbauen, auch wenn das nicht immer einfach ist", sagt sie mir.
Es bleibt uns jedoch keine Zeit, um weiter darüber nachzudenken oder zu sprechen, der nächste Einsatz steht bevor.
14:45 Uhr - Herzrhythmusstörungen im Schockraum
Im Schockraum wartet eine Patientin mit Herzrhythmusstörungen. Bei ihr soll eine sogenannte Kardioversion durchgeführt werden. Dabei erhält das Herz über Elektroden an der Brust einen Stromstoß. Der normale Herzrhythmus soll so wiederhergestellt werden.
Schwester Steffi erklärt der Patientin den Ablauf des Eingriffs und bereitet sie vor. "Ich habe noch keine Zeit zum Sterben, ich habe drei Enkelkinder", sagt die Frau. "Das werden sie heute auch nicht", antwortet die Intensivschwester freundlich. Während sie die Elektroden an der Frau befestigt, kommt ein lautes Hupen aus Zimmer 7, dem Zimmer, in dem die Corona-Patientin liegt.
Schwester Steffi rennt in das Zimmer, schnappt sich ein paar blaue Gummihandschuhe, hängt der Patientin eine Infusion an und überprüft das Dialysemedikament. Die Patientin hängt rund um die Uhr an der Dialyse. Sie braucht unter anderem Blutdruckmedikamente. Wir laufen zum Medikamentenraum.
Ich beobachte, wie die Intensivkrankenschwester Schublade für Schublade öffnet. Sie zieht Nadeln, Kanülen und Spritzen heraus und damit verschiedene Flüssigkeiten auf. Schwester Steffi markiert die Spritzen. Auf den Markierungen steht, was wie und wann verabreicht wurde. Danach sind die Aufgaben in Zimmer 7 erstmal erledigt. Die Corona-Patientin ist vorerst versorgt. Jetzt geht es zurück in den Schockraum. Die Patientin mit den Herzrhythmus-Störungen muss weiter behandelt werden.
15 Uhr - Zwischen Schockraum und Zimmer 9
Ein Arzt ist mittlerweile eingetroffen, um die Behandlung durchzuführen. Schwester Steffi gibt der Frau Sauerstoff und verabreicht über einen venösen Zugang ein Schlafmittel. Ein kurzer Stromstoß: Der Körper der Patientin hebt kurz von der Liege ab - das Herz schlägt wieder im Rhythmus. Bald kann sie wieder auf die Normalstation verlegt werden.
Bei dem Patienten in Zimmer 9 wird währenddessen eine Bronchoskopie durchgeführt. Ein Arzt führt eine Sonde mit einer Kamera in Luftröhre und Bronchien des Patienten ein. Schwester Steffi vergewissert sich, dass alles in Ordnung ist.
Danach hastet sie zurück in den Schockraum, um zu überprüfen, ob die Patientin nach ihrer Kardioversion gut aus der Narkose aufwacht. "Ich höre sie", sagt die Patientin erschöpft. "Das ist gut", sagt Schwester Steffi hörbar lächelnd.
15:50 Uhr - Die Visite
Die Visite steht an. Schwester Steffi geht mit den Ärzten durch die Zimmer ihrer Patienten und bespricht die weitere Therapie. Etwa eine halbe Stunde später sind bei der Patientin in Zimmer 7 Söhne und Ehemann zu Besuch. In gelben Kitteln stehen sie vor dem Bett.
Trotz all dem Stress auf der Station nimmt sich Schwester Steffi Zeit für die Angehörigen. Sie erklärt, was die Ärzte gesagt haben, fragt, ob sie etwas Wasser oder einen Stuhl bringen soll.
Sie will nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Angehörigen da sein - ebenfalls ein wichtiger Teil der Arbeit auf Station 22 im Klinikum Idar-Oberstein, sagt sie.
17 Uhr - Arbeiten an der Belastungsgrenze
Schwester Steffi geht zügig zu Zimmer 9, dem Krebspatienten. Die Ehefrau des Patienten ist gekommen und möchte mit der Intensivschwester sprechen.
Ich nutze die Gelegenheit, mich am Counter hinzusetzen. Es ist ruhiger geworden. Ich beobachte die Monitore mit den Vitalwerten der Patientinnen und Patienten. Immer wieder ist ein Piep-Geräusch zu hören, das nach einiger Zeit wieder verstummt. Ich höre das Rauschen der Maschinen. Im Zimmer gegenüber läuft im Fernseher ein Spiel der Fußball-WM in Katar. Die Stimmen der Kommentatoren hallen durch den Gang.
Weder Schwester Steffi noch ihre Kolleginnen Bettina und Thu Phang haben bisher eine Pause gemacht. Sie hetzen zwischen Patientenzimmern und Medikamentenraum hin und her. Sie haben keine Zeit, zu verschnaufen oder in Ruhe etwas zu essen oder zu trinken. Ich grübele darüber, wie schlimm es um unser Gesundheitssystem steht. Schwester Steffi hat dafür keine Zeit. Sie ist schon wieder in Zimmer 9 verschwunden.
17:34 Uhr - Zeit für die Pflege der Patienten
Die Patientin in Zimmer 7 reagiert nicht auf die Worte der Intensivschwester. Schwester Steffi erzählt ihr dennoch, was sie tut. Sie cremt die Haut der Frau ein, putzt ihr die Zähne.
Die Intensivkrankenschwester erklärt, dass für solche Pflegetätigkeiten kaum noch Zeit bleibt. Denn mittlerweile gebe es zu viele Aufgaben für zu wenig Personal. Immer mehr müsse man stattdessen lernen, wo man Abstriche machen könne. Der Personalmangel ist ein großes Problem - auch auf Station 22 im Klinikum Idar-Oberstein.
17:40 Uhr - Zwischen Laken, Pflege und Medikamenten
Beim Herzinfarkt-Patient in Zimmer 6 muss das Bett neu bezogen werden. Schnell wechselt Schwester Steffi die Wäsche, anschließend übergibt sie dem Mann einen Atem-Trainer. Das kleine Kästchen enthält drei mit Bällen gefüllte Röhren. Mit genügend Puste können die Bälle bewegt werden.
Schwester Steffi überwacht kurz die Versuche des Mannes, die Bälle in die Höhe schießen zu lassen und kümmert sich anschließend um neue Medikamente, die Dokumentation ihrer Arbeitsschritte und die Körperpflege einer anderen Patientin.
19 Uhr - Die erste Kaffee-Pause
Schwester Steffi gönnt sich erst sechs Stunden nach Dienstbeginn ihren ersten Kaffee. Eine kurze Verschnaufpause, in der sie die Frage, ob sie ihre Berufswahl bereut, direkt mit "Nein" beantwortet. Dennoch habe es auch Momente gegeben, an denen sie daran dachte aufzugeben, sagt sie ehrlich.
Die Stimmung in der Pflege sei schlecht. Drei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie habe sich an den Arbeitsbedingungen in der Pflege kaum etwas geändert. Pflegepersonal, Ärztinnen und Ärzte stünden unter Dauerbelastung, sagt sie.
Diese Belastungen seien nur mit einem gut funktionierenden Team auszuhalten, sagt sie. Ihre Kolleginnen und Kollegen seien es, die immer wieder zu ihrer Motivation beitragen. "Mein Team hilft mir da viel. In der Corona-Zeit haben viele Leute gewechselt. Hier waren nur noch eine Handvoll Leute. Die haben alles mit mir durchgezogen. Das sind auch die, weswegen ich denke, es wird alles gut."
Schwester Steffi macht weiter. Sie eilt von Zimmer zu Zimmer, füllt Dialyseflüssigkeit und Infusionen auf, verabreicht Medikamente, dokumentiert, überwacht Blut- und Vitalwerte. Ich habe mich mittlerweile an das ständige Piepen der Überwachungsmonitore gewöhnt - es gehört auf diese Station wie die Luft zum Atmen.
21 Uhr - Die Nachtschicht kommt
Die Nachtschicht kommt. Zeit für die Übergabe. Den pünktlichen Feierabend um 21:30 Uhr können wir allerdings vergessen. Die Patientin in Zimmer 7 soll auf den Bauch gedreht werden. Die Ärzte hoffen, dass die Frau dadurch besser Luft bekommt. Es sei ihre letzte Chance, sagt Schwester Steffi nachdenklich.
Danach lassen wir Station 22 hinter uns, werfen unsere Arbeitskleidung in einen Wäschesack und verlassen das Krankenhaus. Schwester Steffi weiß nicht, wie die Nacht für ihre Patientinnen und Patienten verlaufen wird. Sie geht aber mit einem guten Gefühl in den Feierabend. Sie habe alles, was möglich war, für die Patientinnen und Patienten getan, sagt sie.
23:30 Uhr - Der Wunsch nach mehr Wertschätzung
Für Schwester Steffi geht es direkt morgen früh weiter. Wenn man sie fragt, was sie sich für die Zukunft ihres Berufsstandes wünscht, gibt es eine klare Antwort: Mehr Wertschätzung, gerade von der Politik. Sie wünscht sich Konzepte, um den Job attraktiver zu machen und die Arbeitsbelastung ihrer Kolleginnen und Kollegen langfristig zu senken.
Dass sich schnell etwas verbessert, davon ist derzeit nicht auszugehen. Schwester Steffi gibt mit ihren Kolleginnen und Kollegen weiter alles, um die Station 22 am Laufen zu halten. Und so kann auch ich mit einem guten Gefühl das Klinikum Idar-Oberstein verlassen. Denn es macht Hoffnung, das es Menschen gibt, die sich mit Hingabe um andere kümmern und die selbst unter schwierigen Bedingungen alles versuchen, um ihren Patientinnen und Patienten zu zeigen: "Wir sind für euch da!"
Mir wird dieser Einsatz noch lange in Erinnerung bleiben. Die Schicksale der Patientinnen und Patienten haben mich bewegt. Die Arbeit der Krankenschwestern, die ich begleitet habe, hat mich beeindruckt.