Marie trinkt keinen Alkohol mehr. "Vor etwa anderthalb Jahren hab ich gemerkt, dass mir das nicht gut tut. Mir hat das immer auf den Magen geschlagen und ich hab Kopfweh bekommen. Und da hab ich mich gefragt, ist das wirklich notwendig, dass ich da mit trinke, nur weil die anderen trinken?" Die 32-Jährige gehört nicht zur Generation Z; findet aber auch, dass unsere Gesellschaft extrem auf Alkohol ausgerichtet ist. "Wenn man mal keinen Alkohol trinken will, wird man gleich gefragt: Bist Du schwanger? Als wäre es selbstverständlich und praktisch alternativlos an einem schönen Abend mit Freunden, Wein oder Bier zu trinken."
In der Gesellschaft herrscht eine weit verbreitete unkritisch positive Einstellung zum Alkohol, heißt es auch auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums. Und es stimmt ja: Weinfeste laden zum Trinken ein. Und ein Glas Wein (oder zwei) zum Essen gehört praktisch zum guten Ton. Im Grunde ist ja auch nichts dagegen zu sagen, Wein, Sekt oder einen guten Gin aus Genuss zu trinken. Aber oftmals trinkt man eben nur aus Gewohnheit, wegen des Gemeinschaftsgefühls oder um überhaupt entspannen zu können. Das alles kann schleichend zu einer Alkoholabhängigkeit führen.
Generation Z trinkt weniger Alkohol
Allerdings scheint es eine Trendwende zu geben. Das Deutsche Weininstitut in Bodenheim erwartet, dass sich alkoholfreie Weine und Schaumweine immer mehr durchsetzen werden. "2022 dürfte sich der Anteil am gesamtdeutschen Weinkonsum noch bei unter einem Prozent bewegt haben“, so Weinexperte Ernst Büscher, "aber Tendenz steigend." Die Generation Z verzichte teilweise vollständig auf Alkohol, dadurch werde sich auch das Angebot verändern.
Und nicht nur die Generation Z. Die Einstellung zu Alkohol scheint sich insgesamt zu verändern. Das Weingut Dautermann in Ingelheim produziert seit 2016 alkoholfreien "Sekt". "Damals sind wir mit 1.000 Flaschen im Jahr gestartet, heute produzieren wir 6.000 im Jahr", sagt Kristian Dautermann. "Die Gesundheitsbewussten und auch die Genussmenschen, die zwar keinen Alkohol mögen, aber dennoch etwas besonderes trinken wollen, werden mehr." Dautermann ist überzeugt, dass sich alkoholfreier Wein und Sekt auf dem Markt etablieren werden. "Vielen Leuten ist Traubensaft zu süß und sie wollen gerne etwas trinken, was vom Geschmack mit Wein vergleichbar ist."
Neuspergerhof experimentiert mit Wein ohne Alkohol
Das Bio-Weingut Neuspergerhof im südpfälzischen Rohrbach hat sich an diese heikle Aufgabe herangewagt. Jochen Gradolph bietet neben alkoholfreiem Sekt auch einen alkoholfreien Weißen und einen Rosé an.
"Auf die Idee bin ich gekommen, weil ich selbst gern alkoholfreies Bier trinke", erzählt Gradolph. "Und da hab ich mich gefragt, geht das auch mit Wein und hab mich mit den Herstellungsverfahren beschäftigt." Das Weingut Neuspergerhof ist nach eigenen Angaben das einzige Weingut in Deutschland, dass den entalkoholisierten Wein "kalt steril" abfüllt. Üblicherweise wird dem alkoholfreien Wein, wie auch Säften, ein Kaltentkeimungsmittel zugefügt oder er wird pasteurisiert, um eine nachträgliche Gärung zu verhindern. "Mit unserer Methode lassen sich viel mehr Aromen erhalten, nachdem ihm der Alkohol entzogen wurde. Und das schmeckt man."
Denn Alkohol ist, wie das Fett beim Kochen, ein wichtiger Geschmacksträger. Fehlt er, muss alles daran gesetzt werden, dass möglichst viel Aromen erhalten bleiben. Gradolph hat 2022 etwa 100.000 Flaschen Wein produziert. Ein Drittel davon seien alkoholfreie Weine. 15 bis 20 Prozent Wachstum verzeichnet er in diesem Segment. "Wichtig ist, dass die Qualität stimmt. Die erste Erfahrung des Kunden muss gut sein, damit der alkoholfreie Wein überzeugt." Die Winzer müssten die Herstellung ernst nehmen und Weine ohne Alkohol nicht als Nebenprodukt ansehen, sagt er.
Weinkellerei Trautwein entalkoholisiert für Winzer
Doch kaum ein Weingut produziert so viel alkoholfreien Wein, dass es sich lohnt, entsprechende Anlagen für den eigenen Hof zu kaufen. Die Weinkellerei Adam Trautwein in Lonsheim entalkoholisiert den Wein für mehr als 100 Weingüter und andere Großkunden im In- und Ausland. Seit diesem Jahr ist die Kellerei auch für kleinere Betriebe interessant, die entalkoholisierten Wein anbieten wollen. Trautwein nimmt nun auch Aufträge ab 2.000 Liter an.
Windspiel-Manufaktur in Daun bietet Destillate ohne Alkohol
Wein und Destillate ohne Alkohol befinden sich praktisch noch in der Experimentierphase. Aber auch beim alkoholfreien Bier, das mittlerweile auf jeder Getränkekarte und in jedem Getränkemarkt zu finden ist, hat es Jahrzehnte gedauert, bis es so gut schmeckt wie heute.
Die "Windspiel-Manufaktur" in Daun in der Vulkaneifel ist 2020 mit alkoholfreiem Gin und Rum auf den Markt gegangen. Gin und Rum dürfen die Getränke nicht heißen, weil ja kein Alkohol drin ist, aber die Produktionsverfahren sind ähnlich. Die sogenannten Botanicals, wie Wacholderbeeren, Zimt, Koriander oder Orangenschalen werden allerdings nicht in Alkohol destilliert, sondern über Wasserdampf. Während also dem entalkoholisierten Wein, der Alkohol nachträglich entzogen wird, ist er bei alkoholfreiem "Gin" nie drin gewesen.
"Wir haben viel rumprobiert", erzählt Sandra Wimmeler, "anfangs auch mit Entalkoholisierung. Mit dem Ergebnis waren wir aber nicht zufrieden." Ein Jahr haben sie an "Windspiel Alkoholfrei" getüftelt. "Unser Destillateur und unser Brennmeister fanden das schon schräg, als wir mit unserer Idee ankamen", lacht Denis Lönnendonker. "Es war irgendwie als würde man einem Metzger sagen: Du musst jetzt Tofu herstellen."
Seit 2020 sei der Absatz kontinuierlich gestiegen. 2022 machten die alkoholfreien Drinks schon um die 40 Prozent ihres Gesamtvolumens aus. "Das hat uns selbst total überrascht", sagen beide. 20 Prozent ihres Gesamtumsatzes macht Windspiel inzwischen mit alkoholfreien Destillaten. Ihnen sei früh klar gewesen, dass sich da ein Trend und eine Lebenseinstellung anbahnt. "Das merkt man bei Freunden und auch in der Familie. Da steht bei Festen inzwischen auch alkoholfreier Sekt auf dem Tisch", sagt Lönnendonker.