Rollstuhlfahrerin hält am Straßenrand

Internationaler Tag behinderter Menschen

"Niemals so übergriffig sein und einfach den Rollstuhl anfassen"

Stand

Der 3. Dezember ist der "Internationale Tag behinderter Menschen". Er soll uns auf die Situation und Probleme von Menschen mit Beeinträchtigungen aufmerksam machen.

Ob zu hohe Bordsteine oder zu schwere Türen - "Fallstricke" und Probleme im Alltag behinderter Menschen gibt es auch 2022 noch genug.

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Unterwegs sein ist oft abenteuerlich

Allein das unterwegs sein gleicht manchmal einem Abenteuer, zum Beispiel dann, wenn der Behinderten-Parkplatz mal wieder zugeparkt ist von jemandem, der gar nicht darauf angewiesen ist.

Das kennt auch Sarah Palazzo-Hauser. Mit 19 Jahren hatte sie einen Autounfall. Seitdem ist sie querschnittsgelähmt, sitzt im Rollstuhl und ist zu 100 Prozent auf Pflege angewiesen.

Nicht in jedem "barrierefrei" steckt auch Barrierefreiheit

Ein Problem sind die baulichen Barrieren. Das, was angeblich barrierefrei sein soll, entpuppt sich oft als nicht rollstuhltauglich - so wie die Rampe zu Sarahs Wohnungseingang. "Die ist so steil, dass kein Rollstuhlfahrer sie allein nehmen kann", sagt Sarah.

Auch die "barrierefreie" Dusche sei gut gemeint, aber zum Badezimmer gebe es eine Schwelle, so hoch, dass man mit festen Rollstuhl-Reifen nicht unter die Dusche komme. "Ich brauche da wieder Hilfe, obwohl ich es eigentlich allein könnte."

Pflastersteine, Treppen, zu steile Rampen - Sarah ist Mama und oft mit Rollstuhl und Kinderwagen unterwegs und meint, "wenn du dann noch diese Barrieren hast, dann ist es doppelt und dreifach schwierig, denn auch die Begleitung kann nicht alles auf einmal machen."

ÖPNV mit Hindernissen

Der Mainzer Yannik Becker kann auch ein Lied singen von Barrieren. Der 28-Jährige hat eine angeborene Beeinträchtigung und ist ebenfalls auf den Rollstuhl angewiesen. Wenn er mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) verreist, ist das oft mit großem Aufwand verbunden.

Insbesondere Züge und Bahnsteige sagt er, seien nicht so gebaut, dass man sie ohne Hilfe nutzen könne. Ohne Rampe komme man nicht in den Zug und diese könne nur durch den Schaffner ausgelegt werden.

"Außerdem wird man immer wieder gefragt, ob man sich vorher bei der Bahn für die Fahrt angemeldet hat, damit die große Rampe genutzt wird, welche am Bahnsteig steht. Die Anmeldepflicht gilt jedoch nur für den Fernverkehr und bei der Erklärung entstehen immer wieder unnötige Konflikte."

Mit kleinen Mitteln viel erreichen

Yannik weiß sofort, was man verbessern könnte: Im ÖPNV beispielsweise sei es dringend notwendig, Züge und Bahnsteige einheitlich hoch zu bauen, damit man keine fremde Hilfe mehr benötige.

"Außerdem sollte jeder Rollstuhlfahrer die Möglichkeit haben, eine kleine mobile Rampe zu kaufen, um Barrieren überwinden zu können. Die Finanzierung sollte vom Staat unterstützt werden", meint Yannik.

Zudem, sagt er, sollten Fahrdienste zu Zielen, die nicht mit dem ÖPNV erreichbar sind, mehr unterstützt werden - zum Beispiel, was die Kostenübernahme durch öffentliche Träger angehe.

Behörden und Ämter: "Ein ständiger Kampf"

Sarah Palazzo-Hauser nennt noch ein Ärgernis: "Was mich am meisten aufregt, ist, dass genau diejenigen, die helfen müssten, einem ununterbrochen Hürden und Probleme bereiten - und das sind nicht die Menschen auf der Straße, weil die im Zweifel gar nichts mit mir zu tun haben, sondern es sind die Behörden und Ämter."

"Ich muss erstmal beweisen, dass ich eine Not habe und dann wird wirklich gefeilscht um jede Minute."

Sarah arbeitet in Mainz und ist zum Beispiel auf Begleitung angewiesen, um zu ihrem Job zu kommen. Sie sagt, sie müsse um jeden Cent kämpfen, wenn es darum ginge, dass sie jemand zum Arbeitsplatz begleitet. "Ich muss erstmal beweisen, dass ich eine Not habe und dann wird wirklich gefeilscht um jede Minute."

Belastend seien auch die Flut an Anträgen und das Ausfüllen dieser Anträge. Es gebe kaum jemanden, der einen da unterstütze, so Sarah. Es sei ein ständiger Kampf und das auch noch in der Freizeit. "Das ist gar nicht leistbar für jemanden, der im Leben einfach nur integriert sein möchte."

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Landesbeauftragter hilft bei Schwerbehindertenausweis

Matthias Rösch ist Landesbeauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderungen in Rheinland-Pfalz. An ihn kann man sich wenden, wenn man Hilfe bei Problemen mit Behörden braucht, zum Beispiel beim KfZ-Umbau, beim Beantragen eines Schwerbehindertenausweises oder wenn ein Aufzug nicht funktioniert.

Erst vor kurzem wandte sich eine blinde Frau an ihn, die ihren Blindenführhund nicht mit ins Theater nehmen durfte. Zusammen mit dem Theater fand Rösch dann eine Lösung.

Hemmungen abbauen im Miteinander

Große Defizite gibt es noch im Miteinander von behinderten und nicht behinderten Menschen. Doch wie gehen wir besser miteinander um?

Sarah sagt: "Ich habe ein großes Problem, um Hilfe zu bitten und denke mir selbst immer, ich weiß nicht, wie ich das machen soll und wie soll dann mein Gegenüber wissen, wie er sich mir gegenüber verhalten soll. Von daher einfach nur Offenheit und vielleicht ein bisschen Gespür."

"Niemals so übergriffig sein und einfach den Rollstuhl anfassen, sondern immer erst fragen!"

Sie würde sich wünschen, dass die Leute weniger Hemmungen haben und aufmerksamer sind. Und etwas ist ihr noch wichtig: "Niemals so übergriffig sein und einfach den Rollstuhl anfassen, sondern immer erst fragen!"

Yannik Becker sagt: "Ich bin ein normaler Mensch, der sein Leben so lebt wie es ist und möchte keine Sonderbehandlung oder Mitleid von anderen Menschen haben. Mit mir kann man normal umgehen und so möchte ich auch behandelt werden."

Auch Landesbeauftragter Matthias Rösch kennt die Barriere in den Köpfen von Leuten. Viele würden die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen oft nicht anerkennen und verstehen. Da helfe Bewusstseinsbildung in Kitas und Schulen, um frühzeitiges gegenseitiges Verständnis zu schaffen.

Brauchen wir einen Tag der behinderten Menschen?

Sarah sagt: "Ich habe immer das Gefühl, wenn man solche Dinge macht, grenzt man sich gleichzeitig auch wieder aus. Ich weiß, es ist um auf Situationen aufmerksam zu machen, andererseits will ich einfach nur Teil der Gesellschaft sein."

"Ich sehe aber dadurch in der Gesellschaft oder Politik keine großen Veränderungen im Umgang mit uns."

Yannik findet eigentlich gut, dass es diesen Tag gibt, "weil Probleme immer auch nach außen getragen werden müssen. Ich sehe aber dadurch in der Gesellschaft oder Politik keine großen Veränderungen im Umgang mit uns."

Wichtig für Menschen mit Beeinträchtigungen seien starke Interessenvertretungen in Städten und Gemeinden, so Matthias Rösch. In Rheinland-Pfalz gibt es mittlerweile fast überall kommunale Beiräte und Beauftragte - insgesamt etwa 100.

Die Stadt Zweibrücken, die Landkreise Kaiserslautern und Birkenfeld haben noch keine solche Vertretung, im Landkreis Bad Dürkheim wird sie gerade aufgebaut.

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SWR