Im August 1992 macht ein Spaziergänger in Meerbusch bei Düsseldorf einen grausigen Fund: Die teilweise entkleidete Leiche einer Frau, erstochen in einem Maisfeld. Die Polizei nahm die Ermittlungen auf, doch den Täter konnte sie nicht finden.
Die Frau hatte sich in ihrem Todeskampf verzweifelt gewehrt. Unter ihren Fingernägeln befand sich ein Hautstück - für den damaligen Stand der Wissenschaft zu klein, um daraus einen genetischen Fingerabdruck zu erstellen, doch für die Forensiker heute reichte der winzige Fetzen. So konnte der mutmaßliche Täter vor kurzem identifiziert werden. Es handelt sich um einen Mann, der drei Jahre nach der Tat in Meerbusch eine Zwölfjährige ermordet hatte und seit 28 Jahren im Gefängnis sitzt.
Kleinste DNA-Spuren reichen aus
Die Wissenschaft macht es möglich: Immer wieder werden lange zurückliegende Kapitalverbrechen durch nachträgliche DNA-Analysen aufgeklärt. Egal ob Blut, Sperma, Speichel, Haare oder Hautschüppchen - kleinste Spuren genügen heutzutage, um eine verwertbare DNA-Probe zu extrahieren und sie einem bestimmten Menschen eindeutig zuzuordnen.
Englische Polizei ist Vorreiter
1987 wurde in England erstmals ein Mörder mittels DNA-Analyse überführt. Es handelte sich um einen 24-jährigen Bäcker, der nahe der Stadt Leicester zwei Schülerinnen umgebracht hatte. Damals war die Methode neu, heute ist sie aus der Polizeiarbeit nicht mehr wegzudenken.
DNA-Extrakte lagern in Mainz bei -20 Grad
In einem riesigen Gefrierraum im Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz stapeln sich in meterlangen Regalen blaue Aufbewahrungsboxen. Ihr Inhalt: deutlich über hunderttausend Proben. Reste von ursprünglichen Spuren, etwa kleine Stückchen Stoff mit Blut oder Sperma, werden hier in säuberlich beschrifteten Tütchen verwahrt. Vor allem aber lagern in den Boxen winzige Gefäße mit DNA-Extrakten, gezogen etwa aus Blutspuren, aufbewahrt bei minus 20 Grad in flüssiger Lösung.
Eine ideale Aufbewahrungsmethode - doch DNA kann auch etwa an Kleidungsstücken aus der Asservatenkammer noch nach Jahrzehnten gefunden werden. "DNA an sich oder auch die Spuren haben kein festes Verfallsdatum", sagt Dr. Stefanie Grethe vom Dezernat Biologie/DNA-Analytik des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz. Nicht umsonst könne man schließlich bis heute Dinosaurier-DNA oder genetisches Material von im Permafrost eingefrorenen Mammuts untersuchen.
UV-Licht zerstört DNA
Unzerstörbar sind die DNA-Spuren allerdings nicht: Durch Feuchtigkeit, Wärme und vor allem UV-Licht gehen sie kaputt. Gute Bedingungen für den Erhalt von DNA sind nach Angaben von Grethe: kühl, trocken, dunkel.
Viele Beweismittel aus den 70ern kontaminiert
Bedingungen, die in den Asservatenkammern der Polizeipräsidien grundsätzlich herrschen - wäre es jetzt also nicht ein Leichtes, sämtliche Beweisstücke aus Zeiten, in denen es noch keine DNA-Analyse gab, mit den heutigen Methoden zu untersuchen und so zahllose ungesühnte Verbrechen aufzuklären? Leider nein, weiß Grethe. In den 70er Jahren, als es noch keine DNA-Analysen gab, seien die Beweisstücke durch zahllose Hände gegangen. Handschuhe habe damals niemand getragen. So befänden sich zumeist viele DNA-Spuren auf den Beweisstücken, viele davon stammten von den damaligen Ermittlern. Dies mache die richtige Zuordnung der Spuren ausgesprochen schwierig, so Grethe.
Lehren aus dem Fall des "Phantoms von Heilbronn"
Wie schnell ein Beweismittel mit einer irreführenden DNA-Spur kontaminiert werden kann, zeigte auch der Fall des "Phantoms von Heilbronn", nach dem zwischen 2007 und 2009 umfangreich gefahndet worden war. An verschiedenen Tatorten hatte man die DNA einer unbekannten Frau gefunden. Sie wurde mit einer ganzen Reihe von Verbrechen in Verbindung gebracht, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun hatten. Eines davon war der Mord an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Im März 2009 stellt sich dann heraus, dass die Spur das Produkt einer Verunreinigung war: Es handelte sich beim "Phantom von Heilbronn" um eine Frau, die an der Produktion der Wattestäbchen beteiligt war, mit denen die Spurensicherung gearbeitet hatte.
Doch aus dem Fall habe man gelernt, sagt Grethe. Um Irrtümer wie diesen auszuschließen, gebe es inzwischen interne Datenbanken, in denen die DNA-Profile von Mitarbeitern anonym erfasst seien, die in einem Kriminalfall mit den Ermittlungen und Analysen zu tun haben. Spuren, die man gefunden habe, würden automatisch mit diesen Profilen abgeglichen. Auch Firmen, die Verbrauchsmaterial für die Spurensicherung und DNA-Analyse herstellen, hätten inzwischen solche DNA-Datenbanken.
Pilotprojekt: "Rentnercops" in NRW sichten Cold Cases
Dass zu früheren Zeiten andere Qualitätsstandards galten, macht die Arbeit zwar schwieriger, aber nicht unmöglich.
Anfang Mai hat das nordrhein-westfälische Innenministerium Bilanz eines bis jetzt in Deutschland einzigartigen Projekts gezogen: Anderthalb Jahre lang hatte am Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen eine Sonderkommission aus pensionierten Mordermittlern ungelöste Todes- und Vermisstenfälle der vergangenen 50 Jahre auf neue Ansatzpunkt hin untersucht. 403 Altfälle sollen nun neu aufgerollt werden, denn die "Rentnercops“ sahen gute Chancen, dass sie mit den heutigen Methoden gelöst werden können - nicht nur, aber auch mit den Methoden der DNA-Analyse. Bei ihrer Arbeit klärten die pensionierten Polizisten auch gleich selbst sechs Fälle auf - unter anderem den der toten Frau im Maisfeld.
Auch in Rheinland-Pfalz werden Cold Cases neu überprüft
Auch wenn in Rheinland-Pfalz derzeit kein solches Projekt wie in Nordrhein-Westfalen geplant ist, klopfen die Ermittler regelmäßig in der Abteilung von Grethe an und bitten sie darum, in einem alten Fall Beweismittel mithilfe der aktuellen Methoden neu zu untersuchen.
Reihentests im Fall Hemmerle laufen weiter
Prominentes Beispiel für einen Cold Case, in dem die Ermittler in Rheinland-Pfalz auch nach 34 Jahren hoffen, den Täter zu schnappen, ist der Mordfall Beatrix Hemmerle. Im Sommer 1989 war ein Unbekannter nachts durch die offene Balkontür in die Wohnung der damals 32-Jährigen eingedrungen und hatte mit einem Messer auf sie eingestochen. Ihr damals zwölfjähriger Sohn fand seine Mutter blutüberströmt, sie starb noch am Tatort. Die Mordkommission Trier rollte den Fall 2017 neu auf, seitdem läuft eine Reihenuntersuchung. Neue Erkenntnisse gibt es nach aktuellen Angaben der Polizei aber bisher nicht.
Doch auch die Auswertungen bei Reihentests werden immer feiner. Inzwischen kann die Polizei beispielsweise feststellen, ob jemand mit der Person, deren DNA an einem Tatort gefunden wurde, verwandt ist. So haben Ermittler die Hoffnung, dass sie Täter, die lange unentdeckt blieben, in Zukunft doch noch entlarven können.
Fall Lolita Brieger zeigt Grenzen der Ermittlungsarbeit
Die DNA-Analyse allein ist allerdings kein hundertprozentiges Mittel, um etwa einen Mörder zu überführen. Menschen, deren DNA an einem Tatort oder an einem Opfer gefunden werden, müssen nicht immer zwangsläufig die Täter sein. Auch Motivlage und Tathergang müssen ermittelt werden, und das ist gerade bei lange zurückliegenden Fällen manchmal nicht mehr möglich - zum Beispiel im aufsehenerregenden Fall Lolita Brieger. Die Leiche der damals 18-Jährigen aus Frauenkron in der Eifel war erst 29 Jahre nach der Tat gefunden worden, angeklagt wurde daraufhin ihr ehemaliger Freund. Das Gericht zeigte sich zwar davon überzeugt, dass er Lolita getötet hatte, konnte jedoch nicht mehr feststellen, ob es Mord oder Totschlag war. Da Totschlag anders als Mord verjährt, kam der Mann im Juni 2012 frei.