Nach Flutkatastrophe in Spanien

Interview mit Katastrophenforscher: "Wir müssen mehr über die Gefahren von Flutwellen informieren"

Stand
Autor/in
Jeanette Schindler

Mehr als 200 Menschen sind bei der Flutkatastrophe in Spanien ums Leben gekommen. Bei der Flut im Ahrtal waren es 135. Die Bilder gleichen sich erschreckend. Warum sind wir immer noch so schlecht vorbereitet?

Überschwemmungen und Flutkatastrophen werden immer häufiger. Im Süden Spaniens stehen ganze Landstriche unter Wasser. Nur ein paar Wochen zuvor hatten starke Fluten in Niederösterreich, Polen, Tschechien und Rumänien gewaltige Zerstörung verursacht.

Und 2021 gab es die Flutkatastrophe im Ahrtal. Die Katastrophe wurde ganz genau untersucht, Lehren daraus gezogen und neue Katastrophenschutz-Konzepte aufgestellt. Warum trifft es die Menschen in Europa trotzdem immer noch völlig unvorbereitet? SWR Aktuell hat dazu mit dem Krisen- und Katastrophenforscher Prof. Martin Voss von der Freien Universität Berlin gesprochen.

SWR Aktuell: In Spanien wurden schon bald nach der Flut Vorwürfe laut, die Regionalregierung hätte nicht rechtzeitig gewarnt. Sehen Sie Parallelen zur Flutkatastrophe im Ahrtal?

Da warnt man lieber nicht zu früh aus Sorge vor Überreaktionen.

Prof. Martin Voss: Was ein allgemeines Problem ist - das wird in Spanien auch eine Rolle gespielt haben - ist das Mindset der jeweilig zuständigen Behörden. Da warnt man lieber nicht zu früh. Also die Sorge, dass man die Menschen verunsichern könnte, dass es zu Überreaktionen führen könnte, die ist irgendwie bei allen Behörden im Kopf tief verankert.

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Etwa zwei Jahre nach der Jahrhundertflut im Ahrtal dauert der Wiederaufbau noch immer an. Wie konnte es zu einer solchen Katastrophe kommen? Noch immer gibt es offene Fragen.

SWR Aktuell: Und ist die Annahme falsch, dass man mit einer zu frühen Warnung Panik hervorrufen könnte?

Voss: Aus der Forschung kann man sagen, dass zu früh warnen eigentlich selten zu Schäden führt. Menschen bringen sich dadurch nicht wirklich in Gefahr, so dass man einen Grund hätte zu sagen, man wartet mit der Warnung lieber lange.

SWR Aktuell: Sie haben in einem Interview 2021 nach der Flutkatastrophe im Ahrtal gesagt, wir hätten den Umgang mit Katastrophen verlernt.

Voss: Ja, letztlich führt es tatsächlich in eine soziale Fragestellung hinein. Wenn wir als Gesellschaft Katastrophen regelmäßig erleben, dann wissen wir auch, was kommen kann und was wir selbst tun müssen, um uns zu schützen. Aber weil wir über Jahrzehnte hinweg verschont geblieben sind, haben wir das bürokratisch organisiert. Das führt aber dazu, dass wir nicht mehr spontan auf Ereignisse reagieren können.

SWR Aktuell: Sie meinen, einerseits sind die Behörden nicht gut genug vorbereitet, aber auch jeder Einzelne sorgt nicht genug vor, weil man sich auf den Staat verlässt?

Voss: Ganz genau. Und jeder hat eine Rolle in der Katastrophe. Der Staat, die Behörden an sich, die Kommunen, aber eben auch jede einzelne Bürgerin und jeder Bürger.

Bei starkem Regen und Überschwemmungsgefahr auf gar keinen Fall in den Keller gehen oder in Tiefgaragen.

Wir müssten mehr darüber informieren, was die Gefahren sind. Damit man zum Beispiel klar im Kopf hat: Bei starkem Regen und Überschwemmungsgefahr auf gar keinen Fall in den Keller gehen, in Tiefgaragen oder auf die Straße! Es sind immer wieder die gleichen Orte, wo gehäuft Opfer gefunden werden.

Am allerwichtigsten ist aber natürlich die Prävention. Ich würde sagen, da machen wir gerade wieder einen Schritt zurück, weil die Finanzen so knapp werden. Da lassen wir es lieber laufen und zahlen dann nach der Katastrophe den viel höheren Schaden. Das ist eine tragische Haltung, die gerade in diesen Zeiten schwer zu durchbrechen ist.

SWR Aktuell: Die Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal, im September die Jahrtausendflut in Tschechien und Nachbarländern. Jetzt Spanien. Gibt es denn einen internationalen Austausch zwischen den Forschenden und werden die Erkenntnisse überhaupt an die Behörden weitergegeben?

Voss: Es gibt einen internationalen Austausch, dafür gibt es auch Konferenzen. Aber man darf sich das nicht wie einen strukturierter Prozess vorstellen: Die Forschenden gewinnen Erkenntnisse und dann geben sie das an die Behörden weiter und die setzen das dann eins zu eins um. Nein, das ist ein hochpolitisches Geschehen. Da wird gekämpft um die richtige Maßnahme, die immer Geld kostet. Und da ist man dann schnell bei der Frage: Geben wir das Geld für den Kindergarten aus oder legen wir Überflutungsflächen an?

SWR Aktuell: Was müsste sich denn konkret ändern, damit Katastrophen nicht diese extremen Auswirkungen haben?

Voss: Zuallererst müssen wir die Katastrophen in ihren Zusammenhängen begreifen lernen. Das sind keine isolierten Ereignisse. Bei Hochwasser muss man den Klimawandel mitdenken, unsere Bauweise, die wir uns über Jahrzehnte geleistet haben, unseren Lebensstil, der uns dazu gebracht hat, nahe an solchen Gefährdungsgebieten zu leben. Das hängt alles aufs Engste miteinander zusammen.

Und zweitens brauchen wir geeignete Institutionen, in denen Wissen gebündelt wird. Die haben wir schlicht nicht. Unser Blick auf Katastrophenrisiken ist partikular organisiert, also arbeitsteilig und jeder ist machtlos. Einer ist Spezialist für dieses und weiß aber von allem anderen nichts. Und so sieht es letztlich auch in den Behörden aus.

Und Drittens müssen wir erkennen, dass wir in ein ganz neues Zeitalter eintreten werden. Wir meinen aber immer noch, was aus der Vergangenheit bekannt ist, wird sich in der Zukunft nur wiederholen. Nein, es wird ein Epochenwandel sein, weil wir jetzt mit den Folgen unseres gesellschaftlichen Handelns konfrontiert sind, das wir uns über Jahre geleistet haben. Wir müssen eine ganz andere Haltung gegenüber Risiken und Gefahren entwickeln.

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