Am hellen Tag in einem Modehaus in Neuwied: Ein Frau nimmt sich mehrere Kleidungsstücke und betritt eine Umkleidekabine. Dort packt sie alles in Tüten. Beim Rausgehen schnappt sich die dreiste Diebin noch eine Jacke aus dem Schaufenster und verschwindet. Mit Ware im Wert von rund 700 Euro. Inhaberin Arlette Kaballo ist auch eine Woche nach dem Diebstahl noch fassungslos. "Innerlich ist man so wütend und so aufgebracht. Also es ist unfassbar."
In ganz Rheinland-Pfalz gibt es immer mehr Ladendiebstähle. 2023 waren es laut Kriminalstatistik rund 13.600 Fälle, fast ein Viertel mehr als noch fünf Jahren. Und das sind nur die angezeigten Taten. Die Dunkelziffer liege laut Experten deutlich höher.
Arlette Kaballo betreibt ihr Geschäft seit mehr als 40 Jahren. Auch sie erlebt, dass immer mehr geklaut wird.
Ladendiebstahl für Händler existenzbedrohend
Die meisten Diebstähle passieren laut einer Studie im Lebensmittelhandel. Die Gründe sieht Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel, in der gesunkenen Kaufkraft und den stark gestiegenen Preisen. Auch die Bandenkriminalität habe zugenommen, so der Experte. Nach Angaben des Landeskriminalamts sind 2023 in Rheinland-Pfalz Waren im Gesamtwert von 1,4 Millionen Euro gestohlen worden. Das könne für manche Händler Konsequenzen haben, sagt Stephan Rüschen.
Die Gewinnmargen der Händler seien niedrig. Keiner könne sich drei bis vier Prozent Diebstahl vom Umsatz leisten. Das würde in die Verlustzone führen, so Rüschen.
Die meisten Ladendiebe sind - so das Landeskriminalamt - Gelegenheitstäter. Kriminelle Banden verübten nur einen geringen Anteil der Delikte. Die Täter kämen aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten, fast 60 Prozent seien Deutsche.
Ladendiebe in RLP sind gewaltbereiter
Nicht nur die Anzahl der Diebstähle ist ein Problem. Kaufhausdetektiv Ali Abbas sagt, die Ladendiebe seien auch immer gewaltbereiter. Er ist Betriebsleiter bei einer Trierer Sicherheitsfirma und auch selbst bei der Überwachung im Einsatz. Er schildert einen drastischen Fall, bei dem er drei Diebinnen verfolgt hatte. Bei ihrer Flucht in einem Auto fuhren sie den 43-Jährigen an. Er kam schwer verletzt ins Krankenhaus.
Auch Arlette Kaballo fühlt sich unsicher. Ihre Läden sind zwar kameraüberwacht und ihr Personal gut geschult. Aber das reicht ihr nicht mehr. "Wir müssen alle hinter der Theke irgendwas stehen haben, womit wir uns verteidigen können", sagt sie. Und denkt laut über Pfefferspray nach.
Von dieser Art Selbstverteidigung hält das Landeskriminalamt allerdings nichts. "Wir können davon nur abraten", so Pascal Widder vom LKA. Er warnt vor Pfefferspray oder anderen Waffen. Damit bringe man sich nur selbst in Gefahr. Er rät zu Wachsamkeit. Zudem sollten Händler nicht versuchen, Diebe selbst zu überwältigen, sondern die Polizei rufen.
Handelsverband will härtere Strafen für Ladendiebstahl
Der Handelsverband Rheinland-Pfalz fordert, Ladendiebe konsequenter zu bestrafen. Es sei falsch, wenn Ermittlungsbehörden und Gerichte mit Ersttätern zu milde umgingen. Das signalisiere den Tätern, es passiere ihnen nichts, kritisiert eine Verbandssprecherin gegenüber dem SWR. Diebstahl kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Laut Staatsanwaltschaft Koblenz werden Verfahren gegen Ersttäter aber in der Regel eingestellt oder mit Geldbußen bestraft.
Das rheinland-pfälzische Justizministerium sieht keinen Anlass, das Strafmaß für Ladendiebe zu erhöhen. Dass die Strafrahmen nicht ausreichten, sei aus der Praxis bislang nicht an die Behörde herangetragen worden.
Die Behörden sehen also keinen Handlungsbedarf. Arlette Kaballo fühlt sich alleingelassen. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Die Polizei konnte zumindest die Diebin aus der vergangenen Woche fassen. Arlette Kaballo bekommt ihre Ware wieder.