Die Zahl der Todesopfer im türkisch-syrischen Grenzgebiet steigt weiter an. Mehr als 20.000 Menschen haben ihr Leben verloren. Das Winterwetter behindert die Arbeit der Einsatzkräfte. Hinzu kommt, dass der Zugang zum syrischen Katastrophengebiet wegen der politischen Situation schwierig ist. Der Mainzer Sozialmediziner und Gründer des Vereins "Armut und Gesundheit in Deutschland", Professor Gerhard Trabert, dringt deshalb auf die Einrichtung eines humanitären Korridors.
SWR Aktuell: Was hören Sie von Ihren Helfern in Nordsyrien - wie ist die Lage dort?
Gerhard Trabert: Wir haben direkten Kontakt in die Stadt Kobane. Dort hat unser Verein seit fünf Jahren eine medizinische Ambulanz. Unsere syrischen Ärzte berichten von eingestürzten Häusern, von verletzten Menschen und von Toten. Auch aus der Region Idlib hören wir, dass die Lage katastrophal sein muss, weil die Hilfe nicht ankommt.
Wir brauchen deshalb dringend einen humanitären Korridor, um schweres Gerät ins Katastrophengebiet zu bringen. Damit können die Trümmer beseitigt und vielleicht noch Menschen gerettet werden. Auch Zelte, Decken und Medikamente werden dringend benötigt. Außerdem besteht mit schwerem Gerät die Möglichkeit, Schwerverletzte abzutransportieren.
SWR Aktuell: Was könnte man relativ einfach transportieren?
Trabert: Etwas einfach zu transportieren, das geht derzeit nicht. Das liegt an der Verweigerungshaltung der Türkei, die die Grenzen in dieser Region immer noch schließt. Das liegt aber auch am Verhalten des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Wir haben von der Gesellschaft für bedrohte Völker gehört, dass es nach dem Erdbeben in der Afrin-Region noch Bombenangriffe gegeben hat.
Deshalb appellieren wir auch an die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass die Grenzen geöffnet werden. Dann könnten Zelte, Decken und medizinisches Equipment vor Ort ins syrische Katastrophengebiet gebracht werden. Das ist momentan aber leider immer noch nicht möglich.
SWR Aktuell: Was hören Sie über die Situation bezüglich der Koordination der Hilfsorganisation. Aus der Türkei hat es geheißen, dort sei es sehr chaotisch, sehr unübersichtlich. Wie ist es in Syrien?
Trabert: Im Norden Syriens ist der Kurdische Rote Halbmond aktiv, der versucht, alles zu koordinieren. Das funktioniert in dieser Region, weil man sich gegenseitig unterstützt. Aber wir bekommen von den Vertretern dort immer wieder gesagt: Wir brauchen von außerhalb Unterstützung. Deshalb fordern wir sofort - und die Zeit drängt - humanitäre Korridore, damit die Hilfe in die Katastrophenregion gebracht werden kann.
SWR Aktuell: In Deutschland gibt es eine enorme Spendenbereitschaft. Wäre es im Moment besser, Geld zu spenden?
Trabert: Das ist momentan das, was wir auch tun. Wir haben der Gemeinde Kobane sofort 10.000 Euro Soforthilfe zur Verfügung gestellt. Der Kurdische Rote Halbmond und viele andere Akteure im Katastrophengebiet wissen, wo man vor Ort noch etwas kaufen kann. Auch dort gibt es nichts umsonst. Sie brauchen deshalb eine finanzielle Unterstützung, um die Logistik, die sie vor Ort haben, nutzen zu können.
Aber wie gesagt, und ich muss es immer wieder betonen: Das reicht nicht. Deshalb der Appell gerade auch an die türkische Regierung: Bitte öffnet die Grenzen, damit das dringend benötigte medizinische Equipment in das syrische Erdbebengebiet gebracht werden kann.