SWR Aktuell: Herr Haase, Sie sind jetzt 100 Tage im Amt des Mainzer Oberbürgermeisters. Wie gestresst sind Sie?
Nino Haase (parteilos): Also ich gebe zu, dass es schon mal Momente gibt, wo man tief durchpusten muss, weil es eine Mords-Terminlast ist. Wir haben in den ersten 100 Tagen 830 Termine gezählt und da ist noch keine Büroarbeit drin und diese gehört ja auch dazu. Aktuell kann ich mit dieser Arbeitslast aber noch sehr gut leben.
SWR Aktuell: Wie gehen Sie damit um? Wie verschaffen Sie sich Pausen?
Haase: Über lange Phasen gar nicht. Der letzte freie Tag war an diesem Sonntag und der zuvor war der 23. Mai. Ansonsten habe ich durchgehend auch Samstag und Sonntag gearbeitet. Das ist jetzt nicht überraschend, dass viel Wochenendarbeit bei diesem Job anfällt, und das mache ich auch gerne. Aber natürlich muss ich mir ab und zu schon einen freien Tag organisieren.
Erste Bilanz 100 Tage Oberbürgermeister Nino Haase - so findet es Mainz
Seit Ende März ist Nino Haase Mainzer Oberbürgermeister. Konnte er politisch schon etwas bewegen und was ist der Eindruck der Menschen, die mit ihm zusammenarbeiten?
SWR Aktuell: Wir haben uns in der Stadt umgehört und auch den Eindruck bekommen, dass Sie bisher sehr präsent waren. Allerdings hört man auch, dass Sie kaum eigene politische Akzente gesetzt haben. Würden Sie das unterschreiben?
Haase: Nein, das würde ich nicht unterschreiben, weil man es ins Verhältnis setzen muss: 100 Tage sind drei Monate. Wir haben gerade ein großes Kitapersonal-Paket in den Stadtvorstand gebracht, was ich sehr intensiv mit Herrn Dr. Lensch (Eckart Lensch (SPD), Sozialdezernent, Anm. d. Red.) und den Fachämtern vorbereitet habe in den letzten drei Monaten. Das war mir ein Herzensanliegen. Wir haben einen hohen Krankenstand und eine hohe Arbeitslast in den Kitas und wir haben einen leergefegten Fachkräftemarkt. Deswegen war es mir wichtig zu schauen: Was ist denn realistisch unter diesen Bedingungen?
Wir haben 111 Stellen, die wir in den Haushaltsplan einbringen wollen. Da geht es darum, Verwaltungsarbeiten wegzunehmen, Hilfskräfte und Hauswirtschaftskräfte zu beschäftigen und wir führen jetzt Sozialarbeit in den Kitas ein. Das ist in meinen Augen schon eine sehr umfassende Maßnahme. Für 100 Tage bin ich zufrieden, wie wir ins Arbeiten gekommen sind.
SWR Aktuell: Sie hatten bisher keine Erfahrung mit der städtischen Verwaltung. Jetzt konnten Sie sich ein eigenes Bild machen. Haben Sie es sich einfacher vorgestellt?
Haase: Ein Vorteil der Verwaltung ist, dass es eine sehr konformistische Organisation ist. Das heißt, du kannst in bestehende Strukturen reingehen und wirst mehr oder minder durchgetragen. Da gibt es Abläufe und die funktionieren. Das ist ein Vorteil. An manchen Stellen ist das natürlich auch ein Nachteil, weil es vielleicht unflexibel macht.
Jede Nachbesetzung für jede Stelle in der Stadt landet zum Beispiel bei mir auf dem Schreibtisch. Dieses permanente Absichern – das müssen wir reduzieren. Wir haben genügend Leute hier, die kompetent genug sind, und das muss nicht alles beim OB landen. Ich möchte mehr Verantwortung an die Ämter zurückgeben. Ich glaube, das ist ein Weg, mit dem wir die Arbeitslast in der Zukunft deutlich reduzieren können.
SWR Aktuell: Das heißt, Sie empfinden die Verwaltung als zu komplex, wenn Sie das jetzt ändern wollen?
Haase: Ja, finde ich. Man kann nicht alles an Vorgängen und Prozessen wegschneiden. Aber ich glaube, wir machen uns an vielen Stellen das Leben noch ein bisschen zu kompliziert.
SWR Aktuell: Die Sozialen Medien wie Instagram machen Ihnen offensichtlich richtig Spaß und sind Ihnen wichtig: Verstehen Sie Ihre Rolle als OB vor allem als Repräsentant und Kommunikator der Stadt?
Haase: Natürlich ist das Repräsentieren eine wichtige Aufgabe. Man kann es aber auf verschiedene Weisen interpretieren. Ich kann jetzt überall Grußworte bei Vereinen halten und bei Jubiläen sprechen oder ich versuche, ein Image der Stadt Mainz aufzubauen. Das ist das, was ich anstrebe. Deswegen ist es für mich wichtig, dass wir die Social-Media-Kanäle - zusammen mit unserer Pressestelle und der Öffentlichkeitsarbeit - gemeinsam professionell aufstellen.
Ich möchte ein Stadtbild aufbauen, das Mainz als Arbeitgeber attraktiv macht und Mainz auch als Standort für zukünftige wirtschaftliche Ansiedlungen attraktiver macht. Diese Bilder möchte ich kreieren, und das ist eine ganz wichtige Aufgabe des OBs.
SWR Aktuell: Ein bisschen spricht da der Geschäftsmann aus Ihnen, oder?
Haase: Ja, aber das müssen wir ja auch sein. Das ist oft nicht so weit weg voneinander: Die Arbeitsweisen sind hier vielleicht andere, aber wenn Sie so wollen, haben wir einen Konzern mit unglaublich unterschiedlichen Aufgaben: Von Kita über Grünpflege bis zur Wirtschaftsförderung, der Planung eines Biotechnologie-Clusters oder der Kulturförderung und der klimatologischen Vorsorge. Es ist sehr, sehr komplex.
Ich glaube, man sollte da schon so ein paar unternehmerische Ideen gerade bei der Außendarstellung einer Stadt einfließen lassen. Das ist eine Marke. Sollte sie zumindest sein. Mir ist wichtig, ein Leitbild zu erzeugen, auf dem die Stadt Mainz langfristig aufbauen kann. Ganz egal, wer da politisch vorne steht.
SWR Aktuell: Sie haben die unterschiedlichen Felder angesprochen: Jeder will was von Ihnen, alle haben unterschiedliche Interessen. Allen werden Sie es aber nicht recht machen können. Wie gehen Sie damit um?
Haase: Natürlich muss man irgendwann auch mal Prioritäten setzen. Das ist mir hier auch schon zugetragen worden. Ich sage es dann sehr offen und das funktioniert bis hierhin eigentlich ganz gut. Aber ja, man kann es auch nicht immer allen recht machen. Muss man auch gar nicht. Ein guter Freund sagt immer über mich: Du kannst sehr böse Sachen sehr nett sagen und das ist wichtig. Man muss seinen Standpunkt klarmachen - ohne, dass man danach verbrannte Erde hinterlässt.
SWR Aktuell: Im Wahlkampf haben Sie für Einwohnerversammlungen in den Ortsteilen geworben. Wann gibt es die erste?
Haase: Ich hoffe, dass wir das noch bis Ende des Jahres hinbekommen. Es ist eine Terminfrage. Wir haben ja auch außerordentlich viele Bürgerbeteiligungsformate jetzt in diesem Jahr. Beispielsweise beim Regierungsviertel. Wenn ich mich irgendwo vielleicht terminlich übernommen habe, dann ist es bei diesem Thema.
SWR Aktuell: Sie haben im Wahlkampf auch vorgeschlagen, dass Anwohner ihre Autos künftig in Parkhäusern abstellen sollen. Gibt es dazu mittlerweile etwas Konkretes?
Haase: Wir bekommen jetzt im Juli das erste Konzept zu dem Thema. Ich habe mit der PMG (Parken in Mainz GmbH, Anm. d. Red.) intensiv gesprochen und das ist ja ein ganz wesentliches Thema - für Flächengewinnung, für den Ausbau der Radwege und für generell mehr Aufenthaltsqualität und mehr Grün bei uns in der Stadt. Grundsätzlich sind die Anwohnerparkausweise aktuell deutlich zu günstig. Wir dürfen die Gebühr ja mittlerweile selbst erhöhen und sie muss auch deutlich erhöht werden. Mit dieser Erhöhung besteht auch die Möglichkeit zu sagen: Dann gibt es aber auch eine Servicedienstleistung obendrauf.
Die PMG arbeitet jetzt gerade an dem Konzept, wie viele Stellflächen in den citynahen Parkhäusern zurückgehalten werden müssten, um das Aufkommen einzelner Straßen quasi in den Parkhäusern abfangen zu können, dass man mit seinem Anwohnerparkausweis dort diese Flächen nutzen kann. Und dafür können wir dann natürlich im Straßenraum Flächen zurückgewinnen. Grundsätzlich haben wir die Kapazitäten dafür und wir werden in ein paar Modellteilen der Altstadt damit beginnen.
SWR Aktuell: Aktuell kostet das Anwohnerparken in Mainz 30 Euro im Jahr. Haben Sie schon eine konkrete Zahl vor Augen, um wieviel es teurer werden soll?
Haase: Wiesbaden ist jetzt bei 120 Euro im Jahr, Freiburg ist bei 420 Euro im Jahr - irgendwo in der Mitte werden wir uns sicherlich bewegen.
SWR Aktuell: Was sich aber zuletzt geändert hat, sind die Gewerbesteuerprognosen der Stadt, nachdem beim Corona-Impfstoffhersteller BioNTech der Umsatz drastisch eingebrochen ist. Macht ihnen das Sorgen?
Haase: Kein Mensch kann sich darüber freuen, auf der anderen Seite kommt es auch nicht unerwartet. Das ist ja klar, dass das Sondereffekte waren und dass sie jetzt zurückgehen. Wir müssen jetzt mit dem Land eine verträgliche Lösung finden, dass die Beurteilung der Haushalte auf eine neue Basis gestellt wird. Es gibt schon die Möglichkeit, dass das Haushaltsjahr nicht mehr einzeln betrachtet wird, sondern als Durchschnittswert der letzten fünf Jahre.
Das würde es für uns natürlich leichter machen, weil wir sagen: Wir hatten so riesige Einnahmen vor zwei Jahren, jetzt aber wird nur das Haushaltsjahr 2023 betrachtet. Das ist unrealistisch, weil wir ja noch über Rücklagen verfügen. Selbst, wenn wir jetzt ein Defizit aufweisen, das viel geringer ist als unsere Rücklagen, werden wir ein Problem bekommen mit der Genehmigung des Haushaltes. Ich hoffe, dass das Land da auch ein bisschen flexibler wird an der Stelle.
Die Möglichkeit dazu besteht, sie wurde halt nur nie gebraucht in den letzten Jahrzehnten in Rheinland-Pfalz, weil es keine Städte gab, die solche Überschüsse gemacht haben und wo das haushaltstechnisch überhaupt Relevanz gehabt hätte.
Nach Umsatzeinbruch im ersten Quartal Mainzer Finanzdezernent Beck bestürzt über Umsatz-Einbruch bei BioNTech
Der Mainzer Corona-Impfstoffhersteller BioNTech verzeichnet einen drastischen Umsatzeinbruch. Die Stadt Mainz wird deshalb deutlich weniger Gewerbesteuer einnehmen.
SWR Aktuell: Sie sind jetzt 100 Tage im Amt. Was war die größte Überraschung?
Haase: Was mich tatsächlich überrascht hat, war, was für ein großer Apparat eigentlich berechtigterweise dem Oberbürgermeister zuarbeiten muss, weil die Arbeitslast so enorm ist. Und ich war auch überrascht, dass trotz der Arbeitslast viele Leute sagen: Nino, du siehst glücklich aus. Meine Mutter hat zum Beispiel gesagt: Nino, wenn du bei uns bist: Ich sehe, dass du nicht ganz so viel schläfst und dass du viel arbeitest, aber du siehst glücklich aus. Ich glaube, das ist dann schon überraschend, dass man sagt: Okay, ich glaube, die Stelle passt ganz gut zu mir.
Das Interview führten Damaris Diener und Alexander Dietz vom SWR Studio Mainz.