Vor mehr als 20 Jahren hat Willi Pudlich sein Augenlicht verloren. Für den Speyerer ist der Augenblick, in dem das neue Tastmodell enthüllt wird, ein großer Moment. Pudlich ist einer der Ersten, die das Innere des Doms mit Hilfe des neuen Modells ertasten können. Seine Hände wandern über die eher kalten Erhebungen des 1,40 Meter langen Bronzemodells. Er kann die Säulen der zwölf Arkaden im Dom genau wie den Altar ertasten. "Das ist toll gelungen", lautet sein Fazit. Noch sind seine Erinnerungen wach an damals, als er noch als Sehender den Dom besuchte: "Für mich ist jetzt das Modell hier natürlich ideal, um Erinnerungen wachzurufen, wie was da drinnen aussieht.", sagt Willi Pudlich.
Weite Reise von der Westpfalz nach Speyer
Diese Chance auf Erinnerungen hat Walter Warth nicht. Von Geburt an hatte er eine äußerst geringe Sehkraft von nur zwei Prozent. Als junger Mann erblindete er vollständig. "Es ist wunderbar, dass man sich einen Eindruck verschaffen kann", zeigt sich der 72-jährige begeistert von dem neuen Tastmodell und stört sich auch nicht am strömenden Regen. Eine "nette Begleitung" hat ihn dafür 120 Kilometer weit mit dem Auto nach Speyer auf den Domplatz kutschiert: Walter Warth ist extra aus der Nähe von Kusel aus der Südpfalz angereist. Von der katholischen Blindenseelsorge hatte er von dem Einweihungstermin erfahren. Doch trotz des Modells geht der 72-jährige Organist auch gerne In den Dom, weil er dort anhand der Geräusche die Weite des Gebäudes spürt und: "Wenn da die Orgel spielt, ist das ein Feiertag."
Viel Prominenz bei der Einweihung
Die Enthüllung des neuen Dom-Tastmodells hat viel Prominenz angelockt. Der rheinland-pfälzische Ex-Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) ist am Montag gekommen und spricht ein paar Worte. Auch Alfred Wieczorek, lange Zeit der Generaldirektor der Mannheim Reiss-Engelhorn-Museen, hält als Vorstandsvorsitzender der Europäischen Stiftung Kaiserdom zu Speyer eine kurze Rede. Unter den Zuhörern ist auch Werner Schineller (CDU), der ehemalige Oberbürgermeister von Speyer.
Domdekan ist stolz und hatte die Idee
Besonders stolz an diesem Tag ist Domdekan Christoph Kohl. Er darf dem Tastmodell die Weihe verleihen, und vor allem: Er hatte die Idee. 2020 wurde das erste Tastmodell des Doms ganz in der Nähe der Dom-Informationszentrale präsentiert. Das Modell bildet im Maßstab 1:100 den "echten" Dom von außen ab. "Doch die blinden Menschen möchten den Dom auch von innen sehen" - das dachte er schon damals.
Die Europäische Stiftung Kaiserdom zu Speyer fand sich als Partner und finanzierte die Kosten von gut 30.000 Euro für das neue Modell fast vollständig. Und so bekam der Künstler von 2020, Egbert Broerken, den Auftrag für das neue Modell. Christoph Kohl geht davon aus, dass die beiden Modelle - "der Dom außen und innen" einmalig sind. Ihm ist keine weitere Kirche bekannt, von der es ein Tastmodell gibt.
Auch Sehende blicken durch
Sehbehinderte und Blinde sind natürlich die wichtigste Zielgruppe. Doch immer, wenn Domdekan Christoph Kohl an den Modellen vorbei spaziert, fällt ihm eines auf: Auch die Sehenden drängen sich um die Kunstwerke. Zum einen beginnen an diesem Ort die offiziellen Domführungen. Doch wichtiger ist: die Besucher verschaffen sich mit Hilfe des Modells einen ersten Überblick über den Dom und lernen die Details innen und außen kennen. Vor allem Kinder sind häufig da und sind begeistert, freut sich der Dekan.