Prof. Dr. Arnd Bauerkämper - Freie Universität Berlin

Interview zur Leifheit-Aufarbeitung

Historiker Bauerkämper: "Leifheits Vergangenheit sollte weiter erforscht werden"

Stand
Autor/in
Kathrin Freisberg
Foto von Reporterin Kathrin Freisberg unterwegs in der Region Koblenz

Verantwortliche der Leifheit-Stiftung in Nassau, der Stadt und des Leifheit Campus haben angekündigt, gemeinsam die SS-Vergangenheit von Günter Leifheit aufzuarbeiten. Der Historiker Arnd Bauerkämpfer, Professor im Ruhestand an der FU Berlin, begrüßt weitere Untersuchungen.

SWR Aktuell: Wie sinnvoll ist es Ihrer Meinung nach, nach so vielen Jahren bzw. Jahrzehnten die Biografie eines Menschen wie Günter Leifheit und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus zu untersuchen?

Prof. Dr. Arnd Bauerkämper: Es ist meines Erachtens sehr sinnvoll. Denn es zeigt im Grunde die Komplexität dieser Biografien. Und es zeigt, dass man Menschen auch manchmal nicht ganz in bestimmte Kategorien einordnen kann - also vereinfacht gesagt in Gut und Böse. Es werden die verschiedenen Schattierungen sichtbar. Solche Untersuchungen zeigen auch die Wandelbarkeit, die Veränderung von Menschen und die Bedingungen, unter denen sie handelten. Und dieses Handeln kann man nur erklären, wenn man es in den historischen Kontext einbettet.

Zugleich muss man sie auch kritisch mit Distanz betrachten. Solche komplexen Biografien wie die von Günther Leifheit zeigen auch sehr viel über die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts auf. Untersuchungen dazu müssen nicht in einer pauschalen moralischen Verurteilung enden. So würde ich es auch gegenüber den Angehörigen und auch der Stiftung vermitteln. Die Gemeinden Nassau und Garmisch-Patenkirchen haben sicher von den Projekten, die Leifheit gefördert hat, profitiert. Und zweifellos ist es unangenehm, sowohl für diese Institutionen als auch für die Familie, wenn man sich jetzt an seine NS-Vergangenheit erinnert. Aber es ist gleichwohl, denke ich, notwendig. Man muss sich damit auseinandersetzen. Das Bild der meisten Deutschen dieser Generation ist eben nicht nur hell, sondern hat auch Schattenseiten.

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SWR Aktuell: Das heißt, Sie begrüßen es, wenn es weitere Untersuchungen zu Leifheits Verhältnis zum Nationalsozialismus gebe?

Bauerkämper: Unbedingt sollte man das weiter untersuchen - mit kritischer Distanz, aber auch mit dem Versuch, zu verstehen, wie Günter Leifheit handelte. Nachzuvollziehen ist der erste Schritt einer solchen Studie. Und dann kommt die kritische Distanzierung: Was hat er mitbekommen von den Verbrechen der "Leibstandarte Adolf Hitler"? Er muss irgendetwas davon wahrgenommen haben. Hat er nicht schon früh diese verbrecherische Ideologie des Nationalsozialismus mindestens erahnen können? Historiker sind immer in dieser Spannung, das Handeln von Protagonisten zu verstehen und zugleich eine kritisch-distanzierte Haltung einzunehmen. Und genau diese Vermittlung muss glaubwürdig und gut gelingen. 

Unbedingt sollte man das weiter untersuchen - mit kritischer Distanz, aber auch mit dem Versuch, zu verstehen, wie Günter Leifheit handelte.

SWR Aktuell: Wie bewerten Sie, dass Günter Leifheit Mitglied der Waffen-SS und "Leibstandarte Adolf Hitler" war? Unterscheidet ihn das etwa von einem Wehrmachtssoldaten?

Bauerkämper: Ja. Angehörige der Waffen-SS und der "Leibstandarte Adolf Hitler" waren ideologisch überzeugte Soldaten, die mit einem gewissen elitären Bewusstsein angelockt wurden - dem Bewusstsein, einer Elite anzugehören. Und das ist der Unterschied zur Wehrmacht, deren Einheiten ja auch an Verbrechen beteiligt waren, wenngleich in geringerem Ausmaß. Die Waffen-SS hat sich aber bewusst von der Wehrmacht abgesetzt als besonders vom Nationalsozialismus überzeugt und auch als besonders brutal kämpfend. Es war - anders als bei den meisten Wehrmachtssoldaten - eine klare ideologische Überzeugung und Bindung an das nationalsozialistische Regime.

SWR Aktuell: Welche Fragen sind Ihrer Meinung nach spannend, wenn es darum geht, das Verhältnis von Günter Leifheit zum Nationalsozialismus weiter zu erforschen?

Bauerkämper: Es ist schade, dass wir wenig über die Vorgeschichte wissen. Wenn sich jemand 1932 - also vor der so genannten Machtergreifung - dem Jungvolk anschloss, ist ganz stark zu vermuten, dass das Elternhaus eine große Rolle spielte. Denn wenn sich jemand im Alter von zwölf Jahren dem Jungvolk anschließt, ist davon auszugehen, dass da Impulse aus dem Elternhaus kommen. Deshalb wäre die Geschichte der Jugend Leifheits und das Milieu, in das er hinein geboren wurde, interessant. Dies gilt auch für sein Leben von 1945 bis 1954. Man muss versuchen, diese Lücken ein Stück weit zu schließen. Meiner Meinung nach hat Leifheit selbst eine Chance versäumt, all das zu Lebzeiten zu erklären und seine politische Entwicklung nachvollziehbar zu machen. Das wäre für ihn schmerzhaft, aber vielleicht auch befreiend gewesen.

SWR Aktuell: Auch für die Angehörigen, oder? Bislang hat sich seine Witwe, Ilse Leifheit, noch nicht geäußert.

Bauerkämper: Es wäre gut, wenn man versuchen würde, sie zu überzeugen, dass es auch in ihrem eigenen Interesse ist, sich dazu zu äußern. Dass es eben nicht vorrangig darum geht, nur moralisch zu verdammen. Das ist ja oft die Angst der Angehörigen, dass sozusagen sämtliche Verdienste in Grund und Boden gestampft werden und das Totengedenken beschädigt wird. Da müsste man versuchen, Ängste zu nehmen. Das ist sicherlich schwierig. Aber ich denke, dass man unbedingt etwas erfahren müsste über die Zeit vor 1945 und vor allem über die Phase 1945 bis 1954, von der ich annehme, dass Leifheit irgendwie einen Wandel vollzogen haben muss. Es sind vermutlich auch noch Briefe Leifheits oder andere Dokumente vorhanden. Sie könnten dazu beitragen, ein differenziertes Bild zu bekommen. 

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SWR Aktuell: Welchen Eindruck hat die Studie von Stefan Holler, die die Diskussion um Leifheits SS-Vergangenheit in Gang gesetzt hat, auf Sie gemacht?

Bauerkämper: Sie ist meiner Meinung nach eine gute Basis, auf die weitere Forschungen jetzt aufbauen könnten. Holler hat ausführlich recherchiert und auch abwägend - nicht einseitig - interpretiert. Auch deshalb halte ich es für falsch, all das unter den Teppich zu kehren. Vielmehr müsste es darum gehen, sowohl für die Familie als auch für die Stiftung, diese Sache offensiv anzugehen und auch Dokumente bereitzustellen. Da denke ich gerade an die Familie. Und vielleicht hat auch die Stiftung Unterlagen. Denn andernfalls wird man getrieben von der öffentlichen Meinung.

Das Interview führte SWR-Redakteurin Kathrin Freisberg.

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