SWR Aktuell: Herr Roselieb, viele Kreise haben dem SWR zurückgemeldet, dass sie seit der Flut ihre Einsatzpläne und Aufstellung der Technischen Einsatzleitung überprüft haben, neue Satellitentelefone und Fahrzeuge angeschafft oder zumindest bestellt haben. Außerdem geben die meisten Kreise an, dass die im Katastrophenfall betroffenen Akteure in den vergangenen Jahren eine oder mehrere Schulungen und Übungen mitgemacht haben. Reichen diese Bemühungen? Wenn nein - wo müssten die Kreise nachlegen?
Frank Roselieb: Ein wichtiger Punkt fehlt mir in der Auflistung der Kreise noch. Das Kernproblem während der Ahr-Flut war nicht so sehr die Ausrüstung mit Personal und Gerät, sondern eher die Ablauforganisation, also die Prozesssteuerung der Katastrophenbewältigung. Das bedeutet, dass der Katastrophenschutz zwar immer auf der kommunalen Ebene, also dezentral verortet ist und das auch bleiben sollte. Trotzdem müssen die Schnittstellen zum Land, zu den anderen Kreisen und den ganzen ehrenamtlichen Hilfsorganisationen natürlich funktionieren. Und dazu habe ich in den ganzen Maßnahmen, Plänen und Lehren noch nicht sehr viel gelesen. Da scheint jeder weiter sein eigenes Süppchen vor Ort zu kochen.
Die Suppe schmeckt aber nur dann, wenn sie mit dem Menü als Ganzes abgestimmt ist. Ein Beispiel: Wir hatten damals während der Ahr-Flut aus Schleswig-Holstein rund 700 Einsatzkräfte über einen Zeitraum von sechs Wochen nach Rheinland-Pfalz geschickt. Die standen dann aber zum Teil eine Woche lang auf den Bereitstellungs-Parkplätzen herum, ohne abgefordert zu werden. Das war sicherlich nicht optimal, zumal die Entsendung auf ausdrückliche Anforderung aus Rheinland-Pfalz erfolgt ist.
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Was tun die Kreise in der Region und die Stadt Trier, um auf eine Katastrophe wie die Flut von 2021 vorbereitet zu sein? Der SWR hat nachgefragt.
SWR Aktuell: Also reicht es nicht, nur bei Technik, Fahrzeugen und Schulungen nachzulegen?
Roselieb: Wir unterscheiden in der Katastrophenforschung immer zwischen den harten Faktoren und den weichen. Bei den harten Faktoren kann man mit viel Geld relativ schnell auf gute Werte kommen. Beispielsweise hat erst im Januar 2023 der neue Innenminister Michael Ebling bekannt gegeben, dass 55 zusätzliche Planstellen im Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz geschaffen werden sollen. Das ist recht üppig. Viel entscheidender sind aber die weichen Faktoren. Dazu gehören zum einen die Motivation und die Wertschätzung der vielen tausend Ehrenamtler im Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz, ohne die das Katastrophenmanagement schlichtweg nicht funktionieren würde.
Da zeigt sich die rheinland-pfälzische Landespolitik aber bislang deutlich zurückhaltender als beim Schaffen immer neuer Planstellen. Und zum anderen kommt es entscheidend auf die Sensibilisierung der Bevölkerung an. Die müssen nämlich im Katastrophenfall ihren Beitrag leisten und sich richtig verhalten. Auch da sind andere Länder weiter. Beispielsweise ist die individuelle Katastrophenvorsorge mittlerweile Bestandteil der Lehrpläne in Baden-Württemberg. Rheinland-Pfalz zeigt sich da weitaus weniger innovativ.
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Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe an der Ahr ziehen jetzt auch die Katastrophenschutz-Behörden in der Pfalz Konsequenzen. Das hat sich verändert seit der großen Flut.
SWR Aktuell: Drei Westerwaldkreise haben zurückgemeldet, dass sie sich eng vernetzt haben. Sie halten etwa gemeinsame Übungen ab, haben ihre Abläufe abgestimmt und eine gemeinsame Software angeschafft und ausgerollt. Inwiefern ist so eine Vernetzung von Kreisen sinnvoll oder nicht?
Roselieb: Zusammenarbeit ist auch im Katastrophenschutz richtig und wichtig. Trotzdem darf auch der gesunde Wettbewerb um die beste Lösung im Katastrophenmanagement nicht verloren gehen. Wir wissen aus anderen Fällen einer solchen kreisübergreifenden Zusammenarbeit, dass man sich leider sehr oft auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. Was zählt, ist aber die beste Lösung für alle.
Zum Verhängnis wurde das auch während der Ahr-Flut beim Thema Warn-App. Damals hatte der Bund trotz entsprechender Kritik recht einseitig auf die Nina-Warn-App gesetzt. Die hat im Ahrtal aber nicht besonders zuverlässig gewarnt. Das konnte das Konkurrenzprodukt - die Katwarn-App von der Fraunhofer-Gesellschaft - deutlich besser. Zusammenarbeit ist sinnvoll, aber nur, wenn sie so gestaltet ist wie auf dem Fußballplatz. Das heißt, die beste Mannschaft gibt das Niveau für den Sieg vor und nicht die schlechteste.
Zweiter Jahrestag der Flutkatastrophe Katastrophenschutz in RLP: Das hat sich seit der Flut im Ahrtal getan
Als Folge der verheerenden Flut im Ahrtal soll der Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz neu und besser aufgestellt werden. Das hat sich seitdem bisher verändert.
SWR Aktuell: Inwiefern müssen nicht nur die Kreise Bescheid wissen, was zu tun ist, sondern auch Bürgermeister? Wie kann das gewährleistet werden?
Roselieb: Die zentrale Dienstvorschrift 100 des Landes zum Katastrophenfall ist auf Seite 16 eigentlich recht eindeutig. Danach trägt die Verantwortung stets ein politisch Gesamtverantwortlicher, also gerade kein ehrenamtlicher Kreisbrandmeister, sondern stets der Oberbürgermeister oder der Landrat. Und das gilt in ähnlicher Weise, wenn auch abgeschwächt für die hauptamtlichen Bürgermeister der Verbandsgemeinden. Und da geht es darum, insbesondere das Bewusstsein für das Thema bei den Bürgermeistern der Verbandsgemeinden wachzuhalten. Denn Katastrophen kommen nach wie vor eher selten vor. Das könnte beispielsweise durch verpflichtende Schulungen einmal im Jahr geschehen. Und wer die schwänzt, der muss eben nachsitzen. Man darf nicht vergessen, dass diese Personen im Ernstfall über das Leben vieler Menschen entscheiden. Das sollte eigentlich Motivation genug sein, um auch für die Bürgermeister das Thema auf die Agenda ziemlich weit nach oben zu setzen.
SWR Aktuell: Ein Kreis in der Region Trier hat zurückgemeldet, dass der Landrat noch nie an einer Schulung etwa am BABZ teilgenommen hat (er ist elf Jahre im Amt) – inwiefern ist das fahrlässig oder brauchen Landräte solche Schulungen vielleicht gar nicht, wenn sie sich alles auch so "draufschaffen" können?
Roselieb: Kein Landrat und auch keine Oberbürgermeister in Deutschland kann sich im Katastrophenfall drücken. Das zeigt auch ein Blick in die bereits genannte zentrale Dienstvorschrift. Auch der Versuch des Landrats des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, dieses Amt allein an Ehrenamtler zu delegieren, war dadurch im Ergebnis zum Scheitern verurteilt. Und es gilt natürlich auch der Grundsatz, dass in Krisenzeiten immer wieder Helden geboren, aber "Kopf-in-den-Sand-Stecker" hart bestraft werden. Und zwar auf allen politischen Ebenen. Das sehen Sie etwa am Rücktritt von Anne Spiegel auf der einen Seite und auf der anderen Seite am Heldenstatus, den sich ihr Amtskollege Matthias Platzeck 1997 während der Oderflut erarbeitet hat.
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SWR Aktuell: Könnte solch ein Versagen einer Technischen Einsatzleitung, wie sie im Ahrtal stattgefunden hat, wieder in Rheinland-Pfalz vorkommen?
Roselieb: Krisen und Katastrophen kann man nie endgültig verhindern. Auch die vermeintlichen zehn goldenen Regeln zum Katastrophenschutz reichen immer nur genau bis zur nächsten Katastrophe. Daher ist es wichtig, dass die Verantwortlichen in ruhigen Zeiten Handlungssicherheit erlangen. Aus der Perspektive hat die Diskussion um den richtigen Weg im Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz schon sehr viel erreicht und das nötige Bewusstsein auf allen Ebenen geschaffen.
Allerdings darf der Druck im Kessel jetzt auch nicht nachlassen. Wir haben das nach den Terroranschlägen 2001 erlebt. Da hat sich in diesem Bereich sehr viel getan. Als dann aber die zweite Hälfte des Jahrzehnts deutlich weniger krisenintensiv war, hat die Übungs-Motivation, die Investition und die Prävention in diesem Bereich deutlich nachgelassen. Da hat die Politik das Geld dann lieber an anderer Stelle ausgegeben. Das sollte jetzt in Rheinland-Pfalz besser nicht passieren.
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SWR Aktuell: Wenn Sie vom Schreibtisch aus in einer idealen Welt eine ideal aufgestellte Technische Einsatzleitung beschreiben - wie sähe diese aus?
Roselieb: Die Technische Einsatzleitung sollte eigentlich aus einem gut geschulten Lebens- und berufserfahrenen Kopf an der Spitze bestehen, also einer Frau oder einem Mann um die 50. Das sind in der Regel die Kreisbrandmeister, die schon viel Erfahrung mit solchen Fällen gesammelt haben. Die sollten einen überschaubaren Kreis von etwa acht bis zehn Personen um sich versammeln, die alle durch regelmäßige vorherige Übungen vielfältige Katastrophenlagen zumindest am grünen Tisch schon mal durchgespielt haben. Die müssen aber gleichzeitig hellwach genug sein, um auf eine neue Entwicklung sehr schnell reagieren zu können. Unterhalb des Stabs sollten dann Einsatz und Hilfsorganisation verfügbar sein, die bereits in Praxisübungen die Zusammenarbeit vorab trainiert haben und natürlich auch über eine hohe Wertschätzung in der Bevölkerung verfügen, um wirklich den Katastrophenfall gemeinsam mit den Menschen bewältigen zu können. Und wichtig ist schließlich auch die politische Führung an der Spitze, also oberhalb der technischen Einsatzleitung. Die sollte bereit sein, auch harte Entscheidungen zu treffen und auch die nötige Durchsetzungskraft haben, um die Unterstützung anderer politischer Ebenen für die Probleme, die aktuell der Kreis oder die kreisfreie Stadt hat, zu aktivieren.
Das Interview führte Kathrin Freisberg.