Wer auf Tiktok geht und den Suchschlitz öffnet, bekommt zumindest hier in Rheinland-Pfalz derzeit ungefragt Begriffe zum Gewaltverbrechen an Luise vorgeschlagen. Versehen mit der "TikTok-Flamme" für stark nachgefragte Themen, für einen Trend.
Emotionale Bilder, Musik, Texte, die zum Trauern aufrufen oder den mutmaßlichen Täterinnen drohen. Die Nutzerinnen und Nutzer werden aufgefordert, ein R.I.P. zu hinterlassen oder werden gebeten, den Inhalt zu teilen und weiterzuverbreiten. Andere suchen nach Aufmerksamkeit, indem sie sich als Freundin des Opfers ausgeben. So fluten die Kommentare zum Gewaltverbrechen an der 12-jährigen Luise seit Tagen die TikTok-Welt.
Informationsbedürfnis gibt die Initialzündung
Es gibt ein enormes Informationsbedürfnis zum Thema, auch unter jungen Menschen und Kindern. "Viele suchen nach dem Namen, dem Fall, wollen mehr darüber herausfinden. Gerade junge Menschen, die auf TikTok aktiv sind, teilen Informationen, kommentieren das Geschehen", erklärt Deborah Woldemichael, Leiterin der EU-Initiative klicksafe.de bei der Medienanstalt Rheinland-Pfalz. Durch diese häufigen Interaktionen erkenne der TikTok-Algorithmus die Relevanz des Themas. Die Welle ist angeschoben: Die Beiträge werden häufiger ausgespielt und höher platziert.
Tiktok-Algorithmus ist rein technischer Natur
Der Algorithmus spielt das Thema "Luise" dann sogar TikTok-Nutzerinnen und Nutzern aus, die nicht aktiv danach gesucht haben - das Thema wird als immer relevanter gewertet. Was ein Trend bei TikTok wird, ob es ein neuer Tanz oder der Tod eines Mädchens ist - der Algorithmus entscheidet und ist doch nur rein technischer Natur. Einen inhaltlichen Filter gibt es nicht. Alles wird gleichermaßen gepusht. Hauptziel des Unternehmens: Immer mehr Interaktionen generieren, immer längere Verweildauern erzielen.
Emotional erschütternde Themen generieren dabei nach Erfahrung von Woldemichael besonders viele Interaktionen - und das ist dann nicht nur für den Dienst, sondern auch für Influencer interessant, erläutert die Klicksafe-Leiterin. Die Spirale dreht sich weiter.
Das Internet und die Persönlichkeitsrechte
Für Medienrechtlerin Josephine Ballon zeigt sich an dem Fall Luise deutlich, welchen Effekt Soziale Medien haben können. Im Gegensatz zur Presse seien Soziale Medien nicht an presserechtliche Standards gebunden. Diese sehen vor, nicht namentlich über mutmaßliche Täterinnen zu berichten, Persönlichkeitsrechte zu wahren und gerade, wenn es um junge Menschen geht, mit großer Vorsicht vorzugehen.
"In den Sozialen Medien dagegen können alle Menschen einfach alles reinschreiben", kritisiert Ballon. Sie könnten hochladen was sie wollten und würden dann nicht mal mit ihrem Klarnamen in die Öffentlichkeit treten. "Das entfaltet eine Dynamik, die aber faktisch von einer Presseberichterstattung kaum noch zu unterscheiden ist, weil sie natürlich die gleiche Öffentlichkeit generieren kann."
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Ballon betont, dass auch Bedrohungen gegen mutmaßliche Tatverdächtige strafbar sind - genauso wie Beleidigungen, ebenso wie der Aufruf zu Straftaten. Dabei sei es ganz egal, was die Beschuldigten vielleicht gemacht hätten.
Emotionen im Spiel - besser nichts posten
Wie kann man sich diesem Drang entziehen etwas zu kommentieren, wenn man emotional sehr betroffen ist? Woldemichael rät wie viele andere Medienexperten: "Think before you post". In emotionalen Situationen sollte man generell nicht posten. Allerdings sei es schwierig, dieses fast schon reflexartige Verhalten zu kontrollieren.
Eltern rät die Expertin dazu, bei TikTok auf das korrekt angegebene Alter zu achten - denn dann greifen Sicherheitseinstellungen, die die Kinder schützen. Wichtig sei aber auch: Kinder und Jugendliche müssten sensibilisiert werden. "Wie wollen wir miteinander umgehen?" Eltern sollten klarmachen, dass der Umgang mit anderen Menschen im Netz nicht anders sein sollte als in der realen Welt.
Und wenn die Gefühle einen überwältigen, ist die klare Empfehlung: Detox, also eine konsequente Social-Media-Pause einlegen.