"Wie stellen Sie sich das vor, hätte ich einfach sagen sollen: Dein Mann hat mich vergewaltigt?" Am vergangenen Mittwoch, dem bereits vierten Prozesstag für sie, rang die Jesidin Naveen A. merklich nach Worten, als sie die Frage eines Verteidigers von Nadine K. beantwortete. Das war der bereits vierte Prozesstag für die Jesidin.
Die heute 28-Jährige soll eine Woche später zum wiederholten Mal schildern, ob die Angeklagte Nadine K. von den mutmaßlichen Vergewaltigungen ihres Ehemannes während der Zeit beim IS wusste. Falls ja, würde das die Angeklagte belasten. Denn die Bundesanwaltschaft wirft Nadine K. - neben Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrororganisation und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - auch die Duldung sexueller Handlungen (§ 177 StGB) vor.
Tatort: Mossul, Irak
Nadine K., die aus Idar-Oberstein stammt, war im Dezember 2014 Richtung Syrien ausgereist. Mit ihrem Mann, einem syrischen Arzt, den sie bereits in Deutschland kennengelernt hatte, schloss sie sich mutmaßlich der Terrormiliz IS an. Die beiden bezogen in der Stadt Mossul im Irak ein Haus. Laut Bundesanwaltschaft bekam das Paar im Frühjahr 2016 eine "Sklavin". Ihr Name: Naveen A..
Die Jesidin ist die zentrale Zeugin im Prozess gegen Nadine K.. Sie ist eigens aus dem Irak eingereist und steht während des Prozesses unter Zeugenschutz. Als sie vor zwei Wochen das erste Mal einen deutschen Gerichtssaal betritt, fällt es ihr erkennbar schwer, über ihre Erlebnisse zu berichten. Erst 2019, nach dem Ende des IS, war sie freigekommen und sie konnte zu ihrer Familie zurück. Nun muss sie mit dem deutschen Justizsystem klarkommen: Sowohl die Vorsitzende Richterin, als auch Vertreter der Bundesanwaltschaft und nicht zuletzt Nadine K.s Verteidiger haben ein Fragerecht.
Die Übersetzungen durch eine Dolmetscherin vom Kurdischen ins Deutsche und umgekehrt sind manchmal mühsam. Naveen A. bittet immer wieder um kurze Pausen. Unterstützung erhält sie von einem britischen Journalisten, der ihr geholfen hatte, zu ihrer Familie zurückzukehren. Auch er ist extra angereist, wirft der Jesidin aus dem Zuschauerraum Mut machende Gesten zu.
Als "Geschenk" von IS-Kämpfer zu IS-Kämpfer
Vor dem Angriff des IS auf das Jesiden-Gebiet im Nordirak habe sie eine "zufriedene" Zeit mit ihrer Familie gehabt, berichtet Naveen A.. Sie habe sieben Jahre lang die Schule besucht und später als Radio-Moderatorin gearbeitet. Dann, so berichtet sie, fiel sie zusammen mit anderen Familienmitgliedern in die Arme der selbst ernannten Gotteskrieger. Bevor sie das Paar aus Deutschland kennenlernte, sei sie bereits vier anderen Männern übergeben worden, teilweise als "Geschenk". Dabei sei es zu sexueller Gewalt gekommen. Nadine K. hört den Schilderungen aufmerksam zu, macht sich Notizen.
In Mossul und später auch in Syrien, habe Abu Saffiyah, Nadine K.s Mann, sie oft vergewaltigt. Zum Teil in einem Krankenhaus, zum Teil zu Hause, sagt die Jesidin. Schon einem Team der Vereinten Nationen, das Beweise für IS-Verbrechen sammelt (UNITAD), hatte sie zuvor berichtet, Nadine K. habe darüber Bescheid gewusst. Ein Anwalt Nadine K.s, Yegor Beitmann aus Remagen, will das genauer wissen: Abu Saffiyah soll der Jesidin gesagt haben, er wolle, dass diese ein kurdisches Kind für ihn auf die Welt bringe. Hat Nadine K. das gehört? Naveen A. kann sich nicht genau erinnern. Die Angeklagte habe jedenfalls gesehen, dass Abu Saffiyah des Öfteren zu ihr ins Zimmer kam. "Sie wusste es mit Sicherheit", so die Jesidin auf Nachfrage.
Kreuzverhör mit "Fingerspitzengefühl"
Zu Beginn ihrer Befragung hatten Nadine K.s Anwälte angekündigt, "Fingerspitzengefühl" und die "notwendige Sensibilität" an den Tag zu legen. Das Leid der Jesiden durch Gräueltaten des IS erkennen sie ausdrücklich an. Dennoch wird deutlich, dass sie im Koblenzer Gerichtssaal nach Widersprüchen und Unklarheiten in den Ausführungen von Naveen A. suchen – mutmaßlich, um für ihre Mandantin belastende Aussagen Infrage stellen zu können.
So will Yegor Beitmann etwa wissen, welchen Einblick die Zeugin in das Schlafzimmer des IS-Paares hatte. Für die Verteidiger wichtig, denn laut Anklage soll das IS-Paar im Haus Sturmgewehre und Sprengstoff gelagert haben. Die Jesidin berichtet, dass sie dort keinen Zutritt gehabt habe und Nadine K. nur einmal durch die Tür gesehen habe. Sie könne sich nicht erinnern, ob sie selbst dort Waffen gesehen habe. Die Geschehnisse liegen gut sieben Jahre zurück.
Naveen A. mit letzten Aussagen
Ab diesem Mittwoch wird die Jesidin weitere Fragen der Verteidigung über sich ergehen lassen müssen. Obwohl die Jesidin hin und wieder in Tränen ausbricht: Menschen, die ihr nahestehen, berichten, sie sei sehr gefestigt. Inzwischen soll sie auch psychologische Hilfe erhalten. Wie ihre Aussagen von Anklage und Verteidigung in deren Plädoyers am Ende genutzt werden, wird Naveen A. nicht mehr im Gerichtssaal verfolgen. Noch in dieser Woche wird sie zurück in ihre Heimat fliegen.