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Serie zu Armut und sozialer Teilhabe

Das Geschäft mit der Vergangenheit - das letzte Spielwarengeschäft in Pirmasens

Stand

In Parks kommen Menschen verschiedener sozialer Schichten zusammen. Wir haben sie im Strecktalpark in Pirmasens getroffen. Sieben Tage, sieben Gespräche. Heute: Leerstand.

"Ich bin das letzte Fossil", sagt Dieter Babilon mit dem Stolz eines Einzelhändlers, der sein Geschäft in dritter Generation betreibt. Und es bleibt die Frage: Wie lange macht er das noch?

Ein Spielwarengeschäft von innen
Stofftiere, Lego-Sets, Minion-Luftballons und alte Puppen: In Dieter Babilons Geschäft in Pirmasens finden sich Spielwaren aus mehreren Jahrzehnten.

Dieter Babilon, 69, kniet zwischen Ferrari und Motoryacht. Er klebt ein rotes Preisetikett an die Yacht: 125 Euro. Dann blickt er hoch, kriecht aus dem Schaufenster, tritt in seinen Ladenraum. Einen Moment: Erst den Schweiß von der Stirn tupfen, dann die Begrüßung.
"Hallo, Dieter Babilon, herzlich Willkommen". Wie ein Zirkusdirektor schwenkt er nun mit seiner Hand durch den Spielwarenladen. Alles da: Wunderkerzen neben Schwimmnudeln. Skat-Karten gegenüber der Minionfiguren aus Lego. Märklinbahnen, die kleinsten Spur-Z-Schienen genauso wie Märklins Transformator 60 VA mit 230 Volt. Und ganz hinten im Ladenraum die Softair-Pistolen - zu jeder Waffe 1.000 Schuss Munition gratis.

Das Inhaberehepaar steht vor einem Regal
Gabi und Dieter Babilon stehen auch mit fast 70 noch hinter der Ladentheke ihres Spielwarengeschäfts in Pirmasens.

Die Schuhindustrie hat die Stadt groß gemacht. Aber der Mensch lebt ja nicht vom Schuh allein. "Spiel" und "Spaß" steht am Schaufenster des Ladens, eröffnet 1948. Als Pirmasens in Trümmern lag, zwei Drittel der Stadt ausgebombt und zerstört, da verkaufte sein Großvater Zigaretten und Zeitungen, später kamen dann die Spielwaren dazu. So erzählt es Babilon. Während alle Freunde ins Schwimmbad gingen, stand er, auf Zehenspitzen stehend gerade so groß wie die Ladentheke, schon im Geschäft.  
"Früher", sagt Babilon und spult die Zeit zurück, "ja, früher standen sich die Leute hier auf den Füßen." Ein Spieleparadies auf drei Etagen, 1.000 Quadratmeter, alles da, alles voll. Einmal musste sein Vater die Ladentür verriegeln. "Ging nicht mehr, zu viele Leute", sagt Babilon. Und während er das erzählt, mitten in seinem verlassenen Laden, wird einem klar, wie weit weg dieses "früher" zurückliegen muss. 

Ein Anruf.
"Babilon, Hallo. Ja, die Heuballen für die Miniatureisenbahn. Nein, im Moment nicht lieferbar. Alles andere erklärt Ihnen meine Frau."

Er reicht den Hörer weiter und seine Frau Gabi erklärt: Sie erklärt, wie alles mit allem zusammenhängt, die kleine Modellbahnwelt mit der großen Politik. Der Ukraine-Krieg führe zu Engpässe bei den Lieferketten und so sind die Heuballen, Marke: Faller, Maßstab 1:160, gerade so groß wie eine Haselnuss, gerade schwer zu bekommen. 

Von der einen Krise in die nächste Krise

Und dann war da noch Corona. In Summe ein Jahr mussten die Babilons ihren Laden schließen. Klar, alle hätten ihnen zum Online-Shop geraten. Doch das hatten sie schon vor der Pandemie probiert und schnell verworfen. "Da reißen die Kinder den Pappkarton auf, spielen einmal und wenig später habe ich wieder die Retouren", sagt Babilon. Stattdessen hat er die Spielwaren an der Ladentür verkauft.  

Modellbahnen in einer Vitrine
Modelleisenbahnen sind Dieter Babilons Leidenschaft. Die momentan teuerste Lok in seinem Angebot kostet über 600 Euro.

Dieter Babilon deutet jetzt in Richtung Fußgängerzone, keine 300 Meter Luftlinie, eine große Drogeriemarktkette mit vier Milliarden Euro Jahresumsatz. "Die hatten weiter auf, nur weil die Desinfektionsmittel verkaufen, versteht doch keiner, oder?!", sagt Babilon. Wie hoch sein monatlicher Verlust in der Pandemie war, möchte er nicht im Internet lesen müssen, tut auch so schon genug weh.  

Ich bin das letzte Fossil.

Die Kaufhalle am Exerzierplatz abgerissen, das Warenhaus Merkur mehrfach umbenannt, ehe es komplett aus dem Stadtbild verschwand. "Spielwaren Schwarz" ist weg und selbst die großen Ketten wie Douglas oder Hussel haben ihre Filialen in der Innenstadt dicht gemacht.
"Ich bin das letzte Fossil", sagt Babilon und legt in diesen einen Satz den ganzen Stolz eines Einzelhändlers, der sein Geschäft in dritter Generation führt. Nur stellt sich unweigerlich die Frage: Wie lange noch? Die Konkurrenz sitzt längst nicht mehr in der Einkaufszone, klebt keine roten "Reduziert"-Aufkleber auf die Verpackungen. Die Konkurrenz ist nur einen Klick entfernt. Beim E-Commerce-Riesen Amazon gibt es die ferngesteuerte Motoryacht 36,11 Euro günstiger.

Kleinstadt versus Giga-Outlet

Und in Zweibrücken, zwanzig Autominuten entfernt, haben sie ein Fashion-Outlet. Das könnte Babilon egal sein, wenn es nur um Fashion, bunte Hemden und High-Waist-Jeans gehen würde. Doch jetzt soll der zweitgrößte Outlet Deutschlands vergrößert und das Sortiment auf Spielwaren erweitert werden. Die Stadt Pirmasens sieht Vertragsabsprachen verletzt und den Einzelhandel vor Ort gefährdet. Oberbürgermeister Markus Zwick vermeidet das Wort Klage, aber spricht von "rechtlichen Möglichkeiten", die die Stadt prüfen werde, sobald sich die Planungen des niederländischen Investors konkretisieren. 

Ein Lagerraum im Spielwarengeschäft in Pirmasens
Früher gab es bei Babilon in Pirmasens Spielzeug auf drei Stockwerken - heute wird nur noch im Erdgeschoss verkauft. Darüber lagert die Saisondeko.

Dieter Babilon sagt schon jetzt: "Das Outlet wird erweitert, jede Wette." Und dann? "Tja". Er habe Anfang des Jahres nochmal Öl für die Heizung gekauft. Das reicht für den Winter. Zwei der drei Etagen stehen jetzt schon leer. Ein verlassener Rentierschlitten im zweiten Stock erinnert an die Kaufrausch-Zeiten, als 16 Mitarbeiter durch den Laden eilten. Heute sind es zwei. Babilon deutet erst auf sich, dann auf seine Frau, die an einem Schaukelpferd aus Holz schraubt.

Zwei Etagen stehen schon leer und bald der ganze Laden?

"Schreiben Sie, dass wir einen Nachmieter suchen. Das kann ich nicht oft genug betonen", sagt Babilon. Und ja, er könne verstehen, dass niemand direkt "hier" schreit. Sein jüngeres Ich würde ja selbst keinen Spielwarenladen mehr eröffnen. Sondern? Babilon überlegt. "Ich würde irgendwas mit Elektronik oder Unterhaltung machen." Die Ladenfläche zwei Häuser weiter hat er vermietet. Da ist jetzt ein E-Zigaretten-Shop drin und der Laden ist immer gut besucht. Und der Betreiber sagt: "Beim Nikotin sind die Kunden noch treu."

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Autor/in
SWR