Im Park mit Logo Themenwoche

Serie zu Armut und sozialer Teilhabe

Folge 3: Über die Leere und neue Möglichkeiten

Stand

In Parks kommen Menschen verschiedener sozialer Schichten zusammen. Wir haben sie im Strecktalpark in Pirmasens getroffen. Sieben Tage, sieben Gespräche. Heute: Leerstand.

In der dritten Folge sprechen die Bürger aus Pirmasens über Leerstand. Aus der alten Post ist eine Jugendherberge geworden. Doch nicht überall gelingt es, die leerstehenden Gebäude umzufunktionieren.

Laura Bräcklein (links im Bild) ist nicht nur selbstständige Hebamme, sie engagiert sich auch viel für die Stadt. Mit ihren zwei Kindern lebt sie in Pirmasens.
Dominic Gerlach (Mitte) war zehn Jahre lang arbeitslos. Dank einer Initiative der Stadt hat er jetzt täglich etwas zu tun: Er ist Gärtner im Strecktalpark.
Maike Schmelzer (rechts) studiert Angewandte Informatik in Zweibrücken, wohnt aber mit ihrer Freundin Sinah in Pirmasens. Hier will sie erst einmal bleiben.

Die Folgen im Überblick

Ich finde es schon sehr eindrücklich, wenn man durch Pirmasens geht und den Verfall der wirklich schönen Immobilien sieht.

Die ehemalige Hauptpost in Pirmasens war früher Postamt und Postbahnhof. Heute ist dort die Jugendherberge der Stadt untergebracht.

Leere Gebäude prägen das Stadtbild von Pirmasens. Ein Beispiel für die Wiederbelebung eines leerstehenden Gebäudes, auf das man hier stolz ist: Die Jugendherberge in der ehemaligen Hauptpost. 1928 als modernes Postamt erbaut, stand der Komplex in der Innenstadt seit 2005 leer. 2019 zog die neue Jugendherberge ein und hat seitdem viele Touristen in die Stadt gezogen. Ähnlich lief es bei der ehemaligen Schuhfabrik Rheinberger, in der sich heute das Technikmuseum Dynamikum befindet. Trotzdem: Viele Bauwerke in der Stadt verfallen. 
Bei den Geschosswohnungen lag die Leerstandsquote zum Jahreswechsel 2020/21 bei 9,3 Prozent - Höchstwert in der Bundesrepublik. Im Innenstadtkern sind es gar 30 Prozent. Wenn man durch die Pirmasenser Einkaufszone läuft, stechen zudem die vielen leeren Schaufenster ins Auge. Etwa jedes dritte Geschäft steht hier leer.

Eine leere Gaststätte in Pirmasens
Die Kneipe "Pfälzer Stuben" in Pirmasens steht schon einige Jahre leer. Bild in Detailansicht öffnen
Eine Häuserfront mit leerstehenden Ladenflächen
Auch Wohnhäuser und kleine Gewerbeflächen sind ungenutzt. Bild in Detailansicht öffnen
Leerstehende Geschäftsräume in Pirmasens
Beim ehemaligen Laden "Bilder Rapp" in Pirmasens sind die Scheiben kaputt. Bild in Detailansicht öffnen
Leeres Geschäftshaus
Auch moderne Gebäude in der Innenstadt von Pirmasens finden teils keine Mieter. Bild in Detailansicht öffnen
Ein leerstehendes Kaufhaus in Pirmasens
Mehrere alteingesessene Kaufhäuser mussten in den vergangenen Jahren schließen. Bild in Detailansicht öffnen
Leere Ladenflächen in Pirmasens
In der Fußgängerzone von Pirmasens reihen sich mehrere leerstehende Läden aneinander. Bild in Detailansicht öffnen
leere Ladenlokale in der Innenstadt von Pirmasens
Die Mieten in Pirmasens sind günstig - trotzdem finden sich oft keine Interessenten. Bild in Detailansicht öffnen

Besuch bei Erich Weiss. Der 72-jährige ist einer von fünf Gesellschaftern einer bundesweiten Haushaltswarenkette und seit 1977 Vorsitzender des Handelsverbands Pirmasens. Seit einigen Jahren sitzt er zudem für die CDU im Stadtrat. Weiss, grauer Schnurrbart, Karo-Kurzarmhemd, nimmt Platz unter einem Plakat mit einem großen Auge. Inschrift: Die Konkurrenz schläft nicht. 

Dass der Einzelhandel derart paddele, habe einerseits mit Problemen zu tun, die auch Unternehmer in anderen Städten kennen, erklärt Weiss: Eine große Konkurrenz durch den Onlinehandel, fehlende Nachfolger, sinkende Gewinne. Doch da sind eben auch die ganz Pirmasens-spezifischen Hindernisse. Neben der hohen Arbeitslosigkeit lässt sich vor allem eine Tatsache nicht verleugnen: Die Einkaufsstraße ist heute zu groß für eine Stadt, deren Bevölkerung in den letzten fünfzig Jahren um rund ein Drittel geschrumpft ist. "Und für einen strategischen Rückbau fehlen schlicht die Mittel", gibt Weiss zu. 

Kunden aus dem Umkreis fehlen in Pirmasens

Spricht man mit Vertretern der Stadt über die vielen leeren Geschäfte in der Innenstadt, kommt die Sprache fast zwangsläufig auch auf das große Outlet-Center im benachbarten Zweibrücken. Nachdem dieses 2001 eröffnet wurde, sei wichtige Kundschaft aus dem Umkreis weggebrochen, erklärt Mark Schlick, der das Amt für Wirtschaftsförderung leitet. Das sei schon "hart genug" gewesen. Mit Unmut blickt man im Stadtrat daher auf Pläne, das Outlet nochmals auf fast 30.000 Quadratmeter zu erweitern, Drogerieartikel, Bücher und Spielwaren ins Sortiment aufzunehmen. 

Das Outlet in Zweibrücken ist nicht Schuld an der Pirmasenser Misere

Der Stadtrat hat die geplante Erweiterung im Juli fast einstimmig kritisiert und die Sorgen der zuständigen Raumordnungsbehörde geschildert. Sollte der Erweiterung doch stattgegeben werden, erwägt man eine Klage. Das Outlet zum alleinigen Sündenbock machen will man dann aber doch nicht. Anfang der Zweitausender gab es in Pirmasens noch drei große Kaufhäuser, heute gibt es keines mehr. Aber, erklärt Erich Weiss, "an anderen Städten hat kein Outlet aufgemacht und die Kaufhäuser haben trotzdem zugemacht. Man kann nicht sagen: Das Outlet hat die umgebracht."

Wie schwierig es ist, Geschäfte in der Innenstadt anzusiedeln, zeigt das geplante Schuhstadt-Center. Auf dem Baugrund einer ehemaligen Kaufhalle sollte hier ein großes Fachmarktzentrum für Schuhe entstehen, allein: Wegen der Coronakrise fanden sich kaum Mieter. Nur ein Bruchteil dessen, was geplant war, wird tatsächlich gebaut. Und Schuhe finden im Schuhstadt-Center nun überhaupt nicht mehr statt.  

Das Geschäft mit der Vergangenheit - das letzte Spielwarengeschäft in Pirmasens

"Ich bin das letzte Fossil", sagt Dieter Babilon mit dem Stolz eines Einzelhändlers, der sein Geschäft in dritter Generation betreibt. Und es bleibt die Frage: Wie lange macht er das noch?

Ein Spielwarengeschäft von innen
Stofftiere, Lego-Sets, Minion-Luftballons und alte Puppen: In Dieter Babilons Geschäft in Pirmasens finden sich Spielwaren aus mehreren Jahrzehnten.

Dieter Babilon, 69, kniet zwischen Ferrari und Motoryacht. Er klebt ein rotes Preisetikett an die Yacht: 125 Euro. Dann blickt er hoch, kriecht aus dem Schaufenster, tritt in seinen Ladenraum. Einen Moment: Erst den Schweiß von der Stirn tupfen, dann die Begrüßung.
"Hallo, Dieter Babilon, herzlich Willkommen". Wie ein Zirkusdirektor schwenkt er nun mit seiner Hand durch den Spielwarenladen. Alles da: Wunderkerzen neben Schwimmnudeln. Skat-Karten gegenüber der Minionfiguren aus Lego. Märklinbahnen, die kleinsten Spur-Z-Schienen genauso wie Märklins Transformator 60 VA mit 230 Volt. Und ganz hinten im Ladenraum die Softair-Pistolen - zu jeder Waffe 1.000 Schuss Munition gratis.

Das Inhaberehepaar steht vor einem Regal
Gabi und Dieter Babilon stehen auch mit fast 70 noch hinter der Ladentheke ihres Spielwarengeschäfts in Pirmasens.

Die Schuhindustrie hat die Stadt groß gemacht. Aber der Mensch lebt ja nicht vom Schuh allein. "Spiel" und "Spaß" steht am Schaufenster des Ladens, eröffnet 1948. Als Pirmasens in Trümmern lag, zwei Drittel der Stadt ausgebombt und zerstört, da verkaufte sein Großvater Zigaretten und Zeitungen, später kamen dann die Spielwaren dazu. So erzählt es Babilon. Während alle Freunde ins Schwimmbad gingen, stand er, auf Zehenspitzen stehend gerade so groß wie die Ladentheke, schon im Geschäft.  
"Früher", sagt Babilon und spult die Zeit zurück, "ja, früher standen sich die Leute hier auf den Füßen." Ein Spieleparadies auf drei Etagen, 1.000 Quadratmeter, alles da, alles voll. Einmal musste sein Vater die Ladentür verriegeln. "Ging nicht mehr, zu viele Leute", sagt Babilon. Und während er das erzählt, mitten in seinem verlassenen Laden, wird einem klar, wie weit weg dieses "früher" zurückliegen muss. 

Ein Anruf.
"Babilon, Hallo. Ja, die Heuballen für die Miniatureisenbahn. Nein, im Moment nicht lieferbar. Alles andere erklärt Ihnen meine Frau."

Er reicht den Hörer weiter und seine Frau Gabi erklärt: Sie erklärt, wie alles mit allem zusammenhängt, die kleine Modellbahnwelt mit der großen Politik. Der Ukraine-Krieg führe zu Engpässe bei den Lieferketten und so sind die Heuballen, Marke: Faller, Maßstab 1:160, gerade so groß wie eine Haselnuss, gerade schwer zu bekommen. 

Von der einen Krise in die nächste Krise

Und dann war da noch Corona. In Summe ein Jahr mussten die Babilons ihren Laden schließen. Klar, alle hätten ihnen zum Online-Shop geraten. Doch das hatten sie schon vor der Pandemie probiert und schnell verworfen. "Da reißen die Kinder den Pappkarton auf, spielen einmal und wenig später habe ich wieder die Retouren", sagt Babilon. Stattdessen hat er die Spielwaren an der Ladentür verkauft.  

Modellbahnen in einer Vitrine
Modelleisenbahnen sind Dieter Babilons Leidenschaft. Die momentan teuerste Lok in seinem Angebot kostet über 600 Euro.

Dieter Babilon deutet jetzt in Richtung Fußgängerzone, keine 300 Meter Luftlinie, eine große Drogeriemarktkette mit vier Milliarden Euro Jahresumsatz. "Die hatten weiter auf, nur weil die Desinfektionsmittel verkaufen, versteht doch keiner, oder?!", sagt Babilon. Wie hoch sein monatlicher Verlust in der Pandemie war, möchte er nicht im Internet lesen müssen, tut auch so schon genug weh.  

Ich bin das letzte Fossil.

Die Kaufhalle am Exerzierplatz abgerissen, das Warenhaus Merkur mehrfach umbenannt, ehe es komplett aus dem Stadtbild verschwand. "Spielwaren Schwarz" ist weg und selbst die großen Ketten wie Douglas oder Hussel haben ihre Filialen in der Innenstadt dicht gemacht.
"Ich bin das letzte Fossil", sagt Babilon und legt in diesen einen Satz den ganzen Stolz eines Einzelhändlers, der sein Geschäft in dritter Generation führt. Nur stellt sich unweigerlich die Frage: Wie lange noch? Die Konkurrenz sitzt längst nicht mehr in der Einkaufszone, klebt keine roten "Reduziert"-Aufkleber auf die Verpackungen. Die Konkurrenz ist nur einen Klick entfernt. Beim E-Commerce-Riesen Amazon gibt es die ferngesteuerte Motoryacht 36,11 Euro günstiger.

Kleinstadt versus Giga-Outlet

Und in Zweibrücken, zwanzig Autominuten entfernt, haben sie ein Fashion-Outlet. Das könnte Babilon egal sein, wenn es nur um Fashion, bunte Hemden und High-Waist-Jeans gehen würde. Doch jetzt soll der zweitgrößte Outlet Deutschlands vergrößert und das Sortiment auf Spielwaren erweitert werden. Die Stadt Pirmasens sieht Vertragsabsprachen verletzt und den Einzelhandel vor Ort gefährdet. Oberbürgermeister Markus Zwick vermeidet das Wort Klage, aber spricht von "rechtlichen Möglichkeiten", die die Stadt prüfen werde, sobald sich die Planungen des niederländischen Investors konkretisieren. 

Ein Lagerraum im Spielwarengeschäft in Pirmasens
Früher gab es bei Babilon in Pirmasens Spielzeug auf drei Stockwerken - heute wird nur noch im Erdgeschoss verkauft. Darüber lagert die Saisondeko.

Dieter Babilon sagt schon jetzt: "Das Outlet wird erweitert, jede Wette." Und dann? "Tja". Er habe Anfang des Jahres nochmal Öl für die Heizung gekauft. Das reicht für den Winter. Zwei der drei Etagen stehen jetzt schon leer. Ein verlassener Rentierschlitten im zweiten Stock erinnert an die Kaufrausch-Zeiten, als 16 Mitarbeiter durch den Laden eilten. Heute sind es zwei. Babilon deutet erst auf sich, dann auf seine Frau, die an einem Schaukelpferd aus Holz schraubt.

Zwei Etagen stehen schon leer und bald der ganze Laden?

"Schreiben Sie, dass wir einen Nachmieter suchen. Das kann ich nicht oft genug betonen", sagt Babilon. Und ja, er könne verstehen, dass niemand direkt "hier" schreit. Sein jüngeres Ich würde ja selbst keinen Spielwarenladen mehr eröffnen. Sondern? Babilon überlegt. "Ich würde irgendwas mit Elektronik oder Unterhaltung machen." Die Ladenfläche zwei Häuser weiter hat er vermietet. Da ist jetzt ein E-Zigaretten-Shop drin und der Laden ist immer gut besucht. Und der Betreiber sagt: "Beim Nikotin sind die Kunden noch treu."

Für mehr Geschichten aus der Stadt, klicken Sie sich über unsere interaktive Karte durch den Strecktalpark!

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Autor/in
SWR