Durch die Fackelstraße in Kaiserslautern strömen in der Woche vor Heiligabend hunderte Menschen. Eilig laufen sie vom Einkaufszentrum in die Fußgängerzone. Stadtbusse schieben sich langsam vorbei. Dem Hochhaus aus den 50er oder 60er Jahren an der Ecke widmet kaum jemand einen Blick. In den Schaufenstern im Erdgeschoss liegen Brillengestelle zum Verkauf. Einige Meter weiter ist eine Bankfiliale. Dass dieses Haus einst Ziel der RAF war - davon merkt man in der Fußgängerzone nichts mehr.
Rockmusik zu Raub
1971 war in diesem Haus noch die Filiale der Bayerischen Hypotheken und Wechselbank. Sie wird Ziel eines Überfalls der RAF. Am Morgen des 22. Dezember laufen mit Strickmützen maskierte Täter bewaffnet in die Bank und schalten einen Kassettenrekorder ein. Während die Musik der Rolling Stones durch die Räume dröhnt, stehlen die Maskierten rund 134.000 D-Mark.
Lauterer Polizist wird Opfer der RAF
Vor der Tür wartet ein Komplize in einem roten VW-Bus, der im Halteverbot steht. Dieser fällt dem zufällig vorbei laufenden Kaiserslauterer Polizisten Herbert Schoner auf. Als er den Fahrer darauf ansprechen will, schießt der dem 32-Jährigen in den Rücken. Der Polizist läuft zum Schutz in die Bank und trifft dort auf die anderen Täter - sie schießen auf ihn. Als der Rettungswagen im Krankenhaus eintrifft ist Schoner bereits tot - er ist eines der ersten Opfer der RAF.
"Mit dem Überfall in Kaiserslautern wollte die RAF die Bevölkerung verunsichern und zeigen: Sowas kann immer und überall stattfinden", sagt Caroline Klausing vom Historischen Seminar der Universität Mainz. Der Anschlag falle in die Gründungsphase der RAF. "Das waren keine politischen Taten, sondern die galten dem Aufbau dieser Organisation", sagt ihre Kollegin Verena von Wiczlinski. Mit den mehreren Hunderttausend Mark aus mehreren Bankrauben habe die Gruppe unter anderem Wohnungen angemietet und Fälschungen von Ausweisen erstellt.
Von 1970 bis 1972 bauen die RAF-Terroristen ihr Netzwerk auf. In den folgenden Jahren schlagen sie dann immer aggressiver zu. Die Anschläge, Entführungen und Morde der Terrorgruppe führten zu großen Gerichtsprozessen. Der bekannteste fand in Stuttgart Stammheim statt - auch Baader-Meinhof-Prozess genannt. Auch Täter des Anschlags auf die Bank in Kaiserslautern kamen im sogenannte kleinen Baader-Meinhof-Prozess vor Gericht. Dieser fand unweit des Fritz-Walter-Stadions in einer extra dafür umgebauten Halle statt.
Der Kaiserslauterer Bert Spuhn erinnert sich noch gut daran. Als junger Polizist war er Teil der Motorrad-Staffel und brachte die Gefangenen aus der Haft zum Gericht. Später wurde er als Personenschützer zum SEK abgeordnet. Seine Aufgabe: Die Familie des zuständigen Richters schützen. Er begleitet die Söhne des Richters jeden Morgen schwer bewaffnet zur Schule.
Der Personenschutz war für Spuhn eine erfüllende Aufgabe: "Ich bin zur Polizei gekommen, um sinnvolle Arbeit zu leisten. Als ich diese Aufgabe bekam war ich begeistert". Trotz der ständigen Anspannung und der drohenden Gefahr - wenn der heute 72-Jährige zurückblickt, war es die spannendste Zeit seines Lebens. "Ich konnte das Leben der wehrlosen Familie sicherer machen", erzählt er stolz.
1998 löste sich die RAF nach 28 Jahren selbst auf. Die Mitglieder der Terrorgruppe sind tot oder haben ihre Strafen abgesessen. Heute ist die Gefahr der RAF weitestgehend gebannt. Laut den Mainzer Wissenschaftlerinnen hat das Thema aber trotzdem weiter große Relevanz, denn noch immer sei nicht alles vom Netzwerk der RAF bekannt.