Herbert Broschart sitzt am Küchentisch und blättert durch ein Buch, das sich mit Fußballgeschichte beschäftigt. (SWR)

"Das Gefühl war unbeschreiblich"

70 Jahre "Wunder von Bern": Ein Augenzeuge aus Kaiserslautern erinnert sich

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AUTOR/IN
Christina Fleischanderl

4. Juli 1954: Die deutsche Nationalmannschaft spielt im WM-Finalspiel in der Schweiz gegen den Favoriten Ungarn. Herbert Broschart, heute 89 Jahre alt, hat an diesem Tag das "Wunder von Bern" live im Stadion miterlebt.

"Dann kam das Tor von Max Morlock mit der Fußspitze nach dem Eckball und dann der zweite Eckball, Helmut Rahn mit dem Innenrist und - Tor."

70 Jahre ist es her und doch erzählt Herbert Broschart am Esstisch in seinem Haus in Kaiserslautern von dieser Weltmeisterschaft 1954, als wäre es erst gestern gewesen. 19 Jahre alt war er damals, fußballbegeistert und er hatte Tickets für das WM-Finalspiel in Bern. Er war dabei, als die Deutsche Nationalmannschaft Fußballgeschichte schrieb. Und mit der jungen Bundesrepublik jubelte im Berner Wankdorfstadion auch der junge Herbert Broschart, denn: Deutschland wurde Weltmeister – zum ersten Mal!

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Einer der letzten lebenden Augenzeugen, der das "Wunder" live miterlebt hat

Heute ist Herbert Broschart 89 Jahre. Auch für ihn ist 2024 ein Jubiläumsjahr, er feiert bald seinen 90iger. Damit ist er wohl einer der wenigen Überlebenden, die von diesem denkwürdigen WM-Sieg im Berner Stadion überhaupt noch berichten können. "Ich war überglücklich und dankbar, dass ich so ein Ereignis miterleben durfte", meint Broschart heute dazu. "Das ist ja nicht selbstverständlich."

Ich war überglücklich und dankbar, dass ich so ein Ereignis miterleben durfte.

Anreise zur WM 1954 inklusive Fritz-Walter-Wetter

Die Tickets für das WM-Endspiel hatte Herbert Broschart in Kaiserslautern gekauft. Am Tag des Spiels war dann Abfahrt in die Schweiz. "In aller Herrgottsfrüh sind wir da mit dem Auto nach Bern gefahren", erzählt er. Für die kurzen Pausen auf der Fahrt wurden Brote eingepackt. Unterwegs in die Schweiz waren an diesem Tag unter anderem Herbert Broschart, sein Cousin, seine Großeltern und auch der damalige Lauterer Oberbürgermeister Alexander Müller mit seiner Frau.

"Je näher wir an unser Ziel gekommen sind, desto dunkler wurde der Himmel", erinnert sich Herbert. Am Nachmittag, als die Gruppe in Bern angekommen war, hat es dann auch geregnet. Wenn der 89-Jährige zurückdenkt, muss er schmunzeln. "Da haben wir dann gesagt, jetzt ist Fritz-Walter-Wetter. Jetzt kann nur alles gutgehen." Regnerisches Wetter, so sagt man, mochte der Kapitän der deutschen Mannschaft, Fritz Walter, nämlich am liebsten zum Spielen.

Herberts Cousin und er selbst hatten Karten für die Vortribüne, ganz nah am Spielfeld – "Genau rechts vom Aufgang, wo die Spieler dann aus diesem Tunnel rauskommen", erklärt er. Und dann war Anpfiff im Wankdorfstadion in Bern.

Da haben wir dann gesagt, jetzt ist Fritz-Walter-Wetter. Jetzt kann nur alles gutgehen.

Gedrückte Stimmung zu Beginn des WM-Finalspiels in Bern

"Das Spiel begann gut, unsere Mannschaft war in Topform. Und dann plötzlich haben die Ungarn in den ersten Minuten mit ihrem Kurzballspiel angefangen zu zaubern. Und dann gab`s das erste Tor." Beeindruckt und gleichzeitig etwas bedrückt, beschreibt Herbert Broschart auch heute noch die ersten Minuten dieses Fußballspiels. Wie ging es dem jungen Herbert da auf der Vortribüne in diesem Moment? "Schlecht", antwortet er. "Drei Minuten später hat es das nächste Tor gegeben, da hat es nach acht Minuten 2:0 für Ungarn gestanden."

Das hat die Stimmung im Stadion bei den deutschen Fans und bei ihm selbst etwas gedrückt, sagt er. "Aber man hatte trotzdem das Gefühl, dass die Mannschaft nicht aufgeben will und so ist es ja dann auch gekommen." Mit zwei Toren, noch vor Ende der ersten Halbzeit, hat sich Deutschland dann zurück ins Spiel gekämpft.

Endlich Weltmeister - im Jubeltaumel in Bern

Kurz vor dem Ende der regulären Spielzeit kam dann das 3:2 für Deutschland. Und als der Schlusspfiff ertönte, erzählt Herbert Broschart: "Da war das Glücksgefühl ganz groß, eigentlich unbeschreiblich", wie er sagt. "Man hat einfach gespürt, da ist was ganz Großes geschehen. Und das war auch so."

Dass Deutschland jetzt Weltmeister war, musste man aber erst einmal verdauen, erklärt der 89-Jährige. Neun Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hatte dieser Sieg eine große Bedeutung. "Das Gefühl war, dass wir wieder wer sind oder immer noch wer sind."

Man hat einfach gespürt, da ist was ganz Großes geschehen. Und das war auch so.

In einem Lokal, in der Nähe von Herberts Hotel, war von Feierlaune in dieser Nacht aber gar nichts zu spüren. Als hätte es in den Stunden zuvor kein WM-Spiel in Bern gegeben, erzählt er. "Wir haben dann ein Bierchen getrunken, sind ins Hotel zurück und haben uns schlafen gelegt - und waren glücklich."

Nicht nur Fußballfan, sondern auch selbst am Ball

70 Jahre lang habe ihn dieses Erlebnis begleitet. Der heute fast 90-Jährige war aber nicht nur Fußballfan, sondern hat auch selbst den Ball gekickt. Bei der Turn- und Sportgemeinschaft Kaiserslautern war Broschart im Fußballteam. Seine Position: Abwehrspieler. "Ich war gar nicht so schlecht. Spaßeshalber hab ich mal gesagt, dass ich der beste Stopper in Kaiserslautern war - nach Werner Liebrich (Deutscher Abwehrspieler beim WM-Spiel 1954)." Bei diesen Worten muss der alte Mann lachen.

Ein aufgeschlagenes Buch mit Widmung von Fritz Walter auf der ersten Seite liegt auf dem Tisch. Darüber alte Autogrammkarten der deutschen Fußballmannschaft. (SWR)
Später - nach der Weltmeisterschaft 1954 - hat Herbert Broschart den damaligen Kapitän der deutschen Mannschaft, Fritz Walter, persönlich kennengelernt und auch diese Widmung erhalten.

Was bleibt vom "Wunder von Bern"?

Fotos, Eintrittskarten – Erinnerungsstücke von diesem prägenden Fußballspiel vor 70 Jahren besitzt Herbert Broschart leider nicht. Die WM-Tickets wurden zum Hochzeitsgeschenk für seinen Cousin. "Geld war zu der Zeit einfach nicht so vorhanden und ich dachte mir, was schenke ich ihm. Da hab ich ihm die Karte gegeben."

Und die hat Herberts Cousin dann mit seiner eigenen Eintrittskarte für jeweils 500 Deutsche Mark verkauft und damit seine Hochzeit finanziert. "Das war viel Geld damals." Erst später habe Herbert sich gedacht, er hätte die Eintrittskarten aufheben können. Er zuckt dann aber mit den Schultern und sagt: "Aber die Erinnerung, die ist noch vorhanden – und das ist die Hauptsache."

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